Gemessen an anderen medialen Formen sind “Web 2.0”-Ausprägungen wie Blogs und “social networks” eine sehr junge Erscheinung. Dennoch und gerade deswegen spitzt sich die Debatte um diese neuen Medien und ihr Wechselspiel zu älteren Medien, Politik und Gesellschaft zu. Ein Klassiker in diesem Diskurs ist mittlerweile Geert Lovinks “Zero Comments: Elemente einer kritischen Internetkultur
Reiters Monographie ist ein Plädoyer für den Erhalt tradierter journalistischer Grundwerte. Der Autor sieht die für eine Demokratie und (Hoch-)Kultur notwendige Arbeit von Journalisten durch Kostenlos-Kultur, inhaltliche Verknappung und unqualifizierten Bürger-Blog-Journalismus gefährdet. Der Journalist sei ganz in publizistischer Tradition “Gatekeeper” und “Kropf” schlechter Informationen. Seine Ausbildung ermögliche ihm die strukturierte Aufbereitung und verifizierende Recherche.
Verstörend an Reiters Buch sind nicht die durchaus konservativen Thesen. Ein Diskurs zu neuen medialen Erscheinungen ist notwendig und polarisierende Meinungen sind an dieser Stelle wichtig. Auch wenn Reiters Thesen äußerst wertekonservativ präsentiert werden, sind sie daher prinzipiell diskussionwürdig. Schwierig jedoch ist die den Thesen völlig konterkarierende Aufbereitung des Stoffes.
Reiter führt eine Generalkritik der oft stark persönlich eingefärbten Blogs an. Paradoxer Weise ist der Schreibstil Reiters genau der eines Blogs. In der ersten Person wird berichtet von persönlichen Erlebnissen, andere Meinungen werden weitgehend unsachlich als “großkotzig” abgetan und diskursive Gegner fortwährend als “Apologeten” tituliert. Das kann in einer Glosse geschrieben werden, ein Buch aber, dass die journalistischen Grundwerte verteidigt, bekommt hier plötzlich einen faden Beigeschmack.
Dieser Beigeschmack bleibt, wenn Reiter der neuen Internetkultur die journalistische Reife zur Quellenrecherche entsagt, zugleich aber dringend notwendige Quellenangaben unterlässt. Studien werden angeführt, Bücher zitiert, Webseiten genannt, ohne selbst nach gängigen Standards entsprechende Nachweise zu liefern. Dass ausgerechnet einige Quellen im Web-Dienst “Delicious” zusammengetragen wurden, macht weder Reiters Standpunkt moderner, noch hilft es bei der Lektüre des Buches.
Reiters Thesen versuchen sich im Stile Kantscher Kritik. Etwas Grotesk erscheint hierbei das Wechselspiel von Reiters Anspruch, dem Journalisten die Rolle des vor-denkenden und strukturierenden Gatekeepers von Informationen zu überlassen und Kants Aufruf, sich gerade seines eigenes Verstandes zu bedienen. Dies ist natürlich zugespitzt, dennoch ist eben jener eigene Verstand des lesenden Publikums der zentrale Angriffspunkt Reiters: Er vertraut ihm nicht. Verlässliche und richtige Informationen liefert nur der geschulte Journalist, alles andere sind im besten Fall Glückstreffer. Reiter ist an dieser Stelle nicht bereit einen Strukturwechsel hinzunehmen, der von einem hierarchisch gefilterten Informationsfluss zu einem breit aufgestellten Prozess übergeht. Die unabstreitbare Tatsache, dass in der Wikipedia falsche Informationen stehen können, wird hier pauschalisiert und Reiter kann nicht nachvollziehbar erklären, warum Fehler in redaktionell gepflegten Lexika das geringere Übel sind.
Zuguter letzt mag auch das knappe Glossar des Buches nicht überzeugen. Da heißt es zum Beispiel zum Thema “Open Source”:
“Dabei handelt es sich um Computerprogramme, Internetservices oder Inhalte, die kostenlos von Nutzern erstellt und im Web allen Interessierten zur Verfügung gestellt werden. Das bekannteste Open Source-Programm ist das Betriebssystem Linux, das von vielen Programmierern weltweit freiwillig und kostenfrei weiterentwickelt wird.”
An dieser Definition ist eigentlich alles falsch und beruht wohl eher auf Vermutungen, als auf recherchierten Fakten. Es ist zum Beispiel ein Irrglaube, dass Open Source-Programme nur von Freiwilligen entwickelt werden: Große Unternehmen wie Sun (OpenOffice.org), Oracle (MySQL) aber auch kleine Firmen bezahlen unzählige Entwickler für die Arbeit an freier Software. Ebenso bedeutet “Open Source” nicht kostenlos, Linux ist kein “Programm” und ob es bekannter als zum Beispiel der Browser “Firefox” ist, sei dahingestellt.
Dies ist auch eigentlich nicht relevant für eine Besprechung des Buches, verdeutlicht aber, dass Reiter eben jenem Anspruch nicht gerecht wird, den er selber erhebt. Im Gegenteil: “Dumm 3.0” wirkt mit der heißen Nadel gestrickt, ja, ein wenig wie genau eines jener Blogs, das Reiter so verteufelt. Schade.
[Aktualisierung]
- 12. Juli 2010: Der Artikel ist nun in einer redaktionell geänderten Fassung in der Berliner Gazette erschienen. Etwas boulevardesk ist es geworden.
- 29. Juni 2010: Markus Reiter hat sich kurz in seinem Blog zum Artikel geäußert.
Hallo,
volle Zustimmung. Man hätte aus dem Buch viel mehr machen können, aber der Titel soll den Buchverkauf anschieben. Sehr bedauerlich.
Gruß
Sven
Eine Erwiderung http://klardeutsch.blogger.de/
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