»Hi, ich bin Caspar«. Ich starre in ein paar ausdruckslose Augen. »… also leitmedium« fahre ich fort. »Ah, schön Dich kennenzulernen«! Eine Situation, die ich oft genug erlebt habe. Ich brauche nicht nachzählen, um sicher zu sein, dass mich mehr Menschen unter meinem selbstgewählten Social Media Namen kennen als unter meinem bürgerlichen. Das ist auch statistisch keine Besonderheit. Doch immer wieder muss ich zwischen beiden Namen jonglieren. Account eröffnen? Bitte bürgerlichen Namen angeben, um einen Nicknamen zu wählen! An dem System stimmt etwas nicht. Zeit, »leitmedium« in den Personalausweis eintragen zu lassen.
Eine Grundfunktion des Staates ist es, seine BürgerInnen identifizierbar zu machen. Er bietet auf Basis von Registern und Ausweisdokumenten ein System, mit dem ein bürgerlicher Name überprüfbar einer Person zugeordnet wird. Dieses System kennt keine weitere Identität. Nicht verzeichnete Namen haben keine Relevanz. Das ist bedauerlich und fühlt sich zunehmend falsch an. Immerhin kennt der Staat Künstlernamen. Diese werden bei Bewilligung offiziell in Personalausweis und Reisepass eingetragen. Künstler? Challenge accepted!
Schon öfter habe ich mit dem Gedanken gespielt, meine Online-Identität »leitmedium« als Künstlername in den Personalausweis eintragen zu lassen. Warum dieser rechtliche Vorgang? Ich halte es für inkonsequent, permanent zwischen Namen zu wechseln. Ständig öffnet man irgendwo Benutzerkonten und schließt Verträge ab. Dabei wechselt man immer wieder zwischen bürgerlichem Namen, Login-Providern wie Twitter, Facebook und Google und selbst gewählten Nicknamen. Es wäre schön, diese diversen Identitäten zumindest etwas zusammenzuführen und zugleich dem Teil des Lebens, der im Netz stattfindet und aus diesem zunehmend heraustritt, einen gerechten Platz zuteilen zu können. Wir können uns sicher darauf einigen, dass das Internet so schnell nicht mehr verschwindet.
Die Anforderungen für die Eintragung eines Künstlernamens sind unscharf. Man muss nachweisen, dass man den Namen bereits aktiv in einer künstlerischen Tätigkeit verwendet. Als Künstler gelten Musiker, Darsteller, bildende Künstler, aber auch Schriftsteller, Journalisten und Personen, die anderweitig publizistisch tätig sind. Ich habe bereits 32.000 Tweets veröffentlicht. Also … hmm… publiziert. Von hunderten Blog-Posts und eigenen Magazin- und Zeitungsartikeln abgesehen. Letztlich gibt es keine genaue Definition, wer ein Künstler oder Publizist ist. Es spricht also nichts dagegen, es einfach zu versuchen. Der Künstlername kann formlos beim zuständigen Bürgeramt beantragt werden. Man schreibt einen Brief mit einer kurzen Begründung und fügt Unterlagen bei, die die Tätigkeit als Künstler und Bekanntheit des Künstlernamens belegen. Gern gesehen sind Mitgliedschaft in der Künstlersozialkasse, Presseausweis, VG Wort, Zeitungsartikel, Flyer, Belege über Radio- und TV-Auftritte, Nachweis über Domain-Inhaberschaft, usw.
Einige dieser klassischen Belege konnte ich erbringen. Wenn zum Beispiel die WELT kompakt sich entblödet auf ihrer Seite 1 einen mittelmmäßigen »Tweet des Tages« unter Angabe meines Twitter-Handles abzudrucken: Veröffentlichung in einer Print-Zeitung! Doch spannender sind zeitgemäßere Daten. Eine Reichweiten-Statistik der Twitter-Analytics kann auch für einen Sachbearbeiter Schwindel erregend hohe Zahlen belegen (»Zehntausende Menschen haben in den letzten Wochen meine Tweets gesehen«). Zwei der drei ersten Treffer einer anonymen Google-Suche nach »Leitmedium« führen zu mir. Mit elf Belegen schickte ich den Antrag ab.
Als Antwort erhielt ich ein derart unverständliches Formular, dass ich anrufen musste, um zu verstehen, dass auf dem Formular stand, dass ich bitte anrufen sollte. Mein Antrag war bewilligt worden. Der Sachbearbeiter wollte noch einmal wissen, ob ich wirklich im »echten Leben« unter meinem Künstlernamen bekannt sei. Als ich erzählte, dass ich auch auf der Straße als »leitmedium« angesprochen werde, antwortete der Sachbearbeiter etwas schockiert »WAS? WIRKLICH?!« und hatte keine weiteren Fragen.
Vor dem Eintragungs-Termin habe ich lange darüber nachgedacht, ob ich »@leitmedium«, »leitmedium« oder »Leitmedium« verwenden möchte. Das »@« war mir etwas zu hip, wenn auch gutes Zeichen unserer Zeit. Ich entschied mich für »leitmedium« – wer mag schon Großbuchstaben? Bei der Eintragung gestaltete sich das jedoch als unmöglich. Der Grund ist einfach: Auf dem Personalausweis werden ausschließlich Großbuchstaben verwendet. Die nach Windows 3.11 duftende Eingabemaske des Beamten wandelte alle Versuche sofort entsprechend um. Na, was soll‘s. Weitere Entscheidungen mussten getroffen werden: ob ich auch die AusweisApp benutzen wolle? Und wie sieht es mit freiwilligen Fingerabdrücken aus? Reisepass? Ich bestellte All-Features-On. Doch dazu an anderer Stelle mehr.
(Twitter-Statistiken: Nichts besonderes, aber als Nachweis einer Namensverbreitung hilfreich)
Drei Wochen später konnte ich endlich Personalausweis und Reisepass abholen. In beiden Dokumenten ist »LEITMEDIUM« als Künstlername eingetragen. Es ist nun also amtlich, wer das leitmedium ist. Ich leide ja immer ein wenig bei den vielen »Twitter/Facebook/Instagram/Snapchat/Irgendwas ist das neue Leitmedium«-Artikeln. Ab jetzt kann ich mich beschweren. Aber unabhängig von diesem Spaßfaktor, hat der eingetragene Name handfeste Vorteile: Theoretisch können damit Verträge unterzeichnet, vor Gericht geklagt und eventuell sogar ein Impressum bestückt werden. Theoretisch, weil im Einzelfall klar sein muss, um welche Person es sich handelt. Ein Künstlername ist kein Werkzeug, um sich zu verstecken. Und zum Thema Impressum gibt es natürlichen siebzehn juristische Interpretationen, also gebe ich lieber keine Empfehlung dazu ab.
Schade, dass ich den Ausweis nicht schon vor ein paar Jahren hatte. Zum Beispiel als Google mir »leitmedium« als Kurz-URL für GooglePlus verweigerte. Offenbar fand man meinen Anspruch nicht relevant genug. Ein eingetragener Künstlername kann hier noch einmal auf anderer Ebene den Anspruich unterstreichen. Doch die Ablehnung durch Google verweist auf eine andere interessante Fragestellung, die sich anhand der Eintragung des Künstlernamens diskutieren lässt: Wer ist in Zukunft eigentlich Identitätsprovider? Bisher war es der Staat. Er registriert Namen und gibt entsprechende Dokumente aus. Er legt fest, was Name sein darf und was nicht. Er bestimmt, unter welchen Regeln Namen geändert werden dürfen. Mein »Hack«, den Künstlernamen zu nutzen, spielt dieses Spiel gewissermaßen mit.
(Auch ein vorgetragenes Argument: anonyme Google-Suche)
Im Alltag setzen wir uns aber mit Anbietern auseinander, die ihren eigenen Regeln für Namen aufstellen. Bei Facebook gibt es eine recht rigide Klarnamenspflicht. Bei Twitter sieht das anders aus. GooglePlus hat diesbezüglich eine bewegte Geschichte hinter sich. Allein die verschiedenen Regeln dieser nicht-staatlichen Akteure zeigen: Sie entscheiden, welche Namen gelten dürfen und welche nicht. Zugleich bieten Sie sogar Login-Funktionalitäten für externe Webseiten. Sie übernehmen zunehmend die bisher rein staatliche Identifizierungs-Funktion. »Ja, das ist Caspar Clemens Mierau« kann Facebook bestätigen. »Ja, das ist @leitmedium« kann Twitter nachweisen. Ich mag diese Funktion und doch ist es auch unangenehm, davon abzuhängen, nicht wegen irgendeines absurden Regelverstoßes kommentarlos den Account geschlossen zu bekommen und damit den Login zu dutzenden Websites zu verlieren. Ein bisschen Rechtssicherheit wäre da nicht ganz verkehrt.
Doch der Staat verschläft das Thema Identität und Internet nicht einfach, stellt der Wissenschaftler Christoph Engemann in seinem Aufsatz »Digitale Identitätssysteme Deutschlands und der USA« (im Erscheinen) fest. Ausgehend von den Snowden-Leaks entwickelt er die These, dass der Staat versucht, Menschen nicht einfach über ihre Namen, sondern über ihr Verhalten in Form von Metadaten zu identifizieren. Nicht mehr nur der Name ist die Adresse gegenüber dem Staat, sondern das Leben. Auch Facebook und andere Dienste sammeln Daten, die ein Verhalten identifizierbar machen. Was hier nur noch gewährleistet wird, ist eine Zuordnung eines Profils zu einem Klar- oder Nicknamen.
Insofern stellt sich die Frage, was uns eigentlich in Zukunft ausweisen wird. Nehmen wir aktiv ein Dokument oder sind wir es selbst? Doch diese Frage führt an dieser Stelle zu weit. Ich habe das Internet auf meinen Personalausweis gebracht und die staatliche Kluft zwischen off- und online überbrückt. Wie geht es weiter? Ich werde in Zukunft eher darauf verzichten, online meinen Klarnamen zu verwenden. Nicht aus Datenschutz-Gründen, das ist alles andere als meine Stärke. Allein der Konsistenz wegen macht es Sinn. Und vielleicht muss ich nicht mehr so oft »Mierau mit IE« brüllend in ein Telefon buchstabieren. Das ist ja auch ein angenehmer Seiteneffekt.
Das Namens- und Ausweisrecht unterscheidet sich übrigens stark von Land zu Land. Im Vereinigten Königreich ist es beispielsweise möglich, Vor- und Nachnamen zu ändern.
tl;dr: Es lohnt sich, einen Antrag auf Künstlernamen zu stellen. Ob er bewilligt wird, hängt von den Nachweisen und dem/der zuständigen SachbearbeiterIn ab.
Sehr interessanter Artikel.
Ich hatte meine erste Erfahrung mit meinem “Künstlernamen” auf dem 31C3, wo ich mich aus Gewohnheit mit meinem normalen Namen vorstellte, und erst lernen musste dass dort jeder sich mit dessen Internetnamen anredet. Meine Reichweite ist noch nicht so groß, dass mir sowas außerhalb des Congresses passieren könnte. Doch ich finde den Gedanken interessant. Für mich ist auch die eigenen Identitätsstitfung interessant, da man einen Namen frei von Eltern oder gesellschaftlichen Namenskonventionen wählt (oder in Deutschland nach Namens-Gesetzen). Was ich mir immer wieder überlege ist meinen Twitterhandel auf den Briefkasten zu schreiben. Die Post akzeptiert ja jeden Namen, solange er auf dem Adressschild steht. Das wäre für viele vielleicht ein einfacher und softer Einstieg.
Was für eine schöne Idee. Das möchte ich auch haben.
Schöner Beitrag – und für mich eine Überlegung wert, auch im richtigen Leben zum Haubentaucher zu werden…
Schöne Idee. Ich würde auch gern offline „Atari-Frosch“ sein, könnte mir aber vorstellen, daß dann Bedenken wegen des Markennamens aufkommen – auch wenn ich den Namen im Netz schon seit 2000 (und in Mailboxen seit 1993) verwende, ohne daß die Firma Atari da irgendwie Streß gemacht hätte.
Mein Ausweisname ist eh noch ein ganz eigenes Thema; da mir Papierchen fehlen, bekomme ich ohne massive Umstände nicht mal meinen „Mädchennamen“ wieder, obwohl ich schon seit über einem Jahrzehnt geschieden bin. Das Verfahren ist ohne Familienstammbuch und ohne am Ort der Eheschließung zu wohnen tatsächlich wesentlich umständlicher als die Eintragung des Künstlernamens. UK, Du hast es leichter …
Ist der Künstlername im Ausweis eindeutig über alle Ausweise hinweg? Oder könnte es doch vielleicht auch mal einen zweiten Künstler mit diesem Künstlernamen geben?
Und was hat es gekostet? (Neben der Neuausstellung der Dokumente)
Ob er eindeutig ist, wurde ich heute schon öfter gefragt. Ich weiß es nicht. Die Datenmaske sah mir nicht so aus. Bürgerliche Namen sind ja auch nicht eindeutig. Aber das ist nur geraten.
Es müssen nur die normalen Ausweis-Kosten übernommen werden.
Dann könnte es also doch mehrere ‘Leitmedium’ geben…
Wow, erstmal ein toller Erfolg, das mit dem “Künstlernamen” ist ja oft gar nicht so einfach, im Ausweis. Du Schreibst: “Ich habe das Internet auf meinen Personalausweis gebracht und die staatliche Kluft zwischen off- und online überbrückt.” Diese Formulierung trifft wohl den Punkt. Ansonsten sehe ich bei diesem Thema nicht ganz die Tiefe des Themas, das Du hier sonst behandelst: Es ist doch sehr schlicht und klar, dass beide Namen in Deinem Leben weiter eine Rolle spielen werden? Ich muss z.B. in Wissenschaftlerkreisen u.U. auch sagen, wie mein Buch heißt, und dann erst sagen die: Achso, aber meinen Namen hatten sie vergessen. Ist doch ähnlich. Wer sich dann wirklich für mich interessiert oder mit mir auseinander setzt, der merkt sich auch meinen Namen. Es läuft also darauf hinaus, dass wir kontextgebundene Identitäten haben, denen Namen zugeordnet sind, und die in einer Struktur miteinander stehen, die dann kontextgebunden abgerufen UND eben auch manchmal miteinander verknüpft werden müssen. Dein Ausweis ist nun so eine Verknüpfung, aber auch, wenn Du den jeweils anderen Namen sagst. Und zu Deinem Problem mit Deinem ja wirklich wunderschönen hugenottischen Namen (oder der so klingt): Hugenotten hatten damit hier in Berlin immer ihre Schwierigkeiten. Es gibt darüber eine Herrliche Passage in Plenzdorf s”Die Neuen Leiden des Jungen W.”, der Held dort heißt Edgar Wibeau, und die nennen ihn immer “Wibau”, und er sagt an einer Stelle bitter und völlig zutreffend: “Kein Mensch sagt doch auch Nivau, statt Niveau!” Herzlich, Giorgio.
ICH hatte meinen Twitternamen direkt vom ersten Tag meiner Twitter-Mitgliedschaft als Name im Ausweis stehen. 😉
Wenn mich Leute persönlich treffen, die mich nur aus meiner digitalen Filterbubble kennen, fragen sie oft, wie ich denn nun wirklich heißen würde. Sie fänden “stoewhase” sei ja ein sehr lustiger Nickname. 😉
Das war (ist) doch mal eine originelle Idee. Was aber steckte hinter dieser Idee? Der Spaßfaktor, die Herausforderung gegenüber der Bürokratie oder schlichtweg nur der Nutzen der Vereinfachung? Ich weiß es nicht, bin ich doch nur ein einfacher Mann. Lese ich den Artikel doch einfach noch einmal – ganz langsam 🙂
Sehr interessanter Artikel. Ich hätte nie im Leben geglaubt, dass das so verhältnismäßig “einfach” ist.