Triggerwarnung (gilt auch für den verlinkten Artikel): Mord- und Vergewaltigungsdrohungen – auch gegen Kinder.
Im Frühjahr letzten Jahres griff ich in leichter Verzweiflung zum Telefon und rief die mir von einer früheren Kooperation bekannte Journalistin Khuê Pham an. »Ich muss Dir etwas erzählen. Meine Frau und ich haben einen Stalker« – so oder ähnlich habe ich das Gespräch begonnen. Dabei standen wir erst am Anfang einer langen Reise, die mir die schlimmsten Momente meines Lebens beschert hat. Doch das wussten wir damals noch nicht und manchmal ist es auch besser, das Ausmaß erst im Nachhinein zu überblicken. »Wir haben einen Stalker« – das war die Situation, in der wir für acht Monate sein sollten. Sie fühlen sich an wie eine Ewigkeit.
Anderthalb Jahre hat uns Khuê Pham auf unserem Weg begleitet – der Artikel ist jetzt im ZEIT Magazin (2015/52) erschienen. In gelegentlichen Treffen und Telefonaten haben wir ihr berichtet, was passiert. Mit uns, der Polizei, dem Gericht. Wie wir uns fühlen. Wie unser Umfeld reagiert. Sie hat den Prozess begleitet. Meine Frau und ich haben in dieser Zeit viel erlebt und ich bin froh, dass jemand die Geschichte aufgeschrieben hat. Denn jetzt kann ich sie kopfschüttelnd lesen und weiß, was uns im letzten Jahr widerfahren ist. Ich sehe, welche schlimmen Nachrichten auf uns einrieselten. Sie sind alle festgehalten, denn ich habe fast obsessiv über Monate nächtelang Webserver-Protokolle ausgewertet, E-Mails archiviert und Muster in Daten gesucht. Es half mir, im Chaos etwas Ordnung zu suchen. Es half der Polizei, den Täter zweifelsfrei zu ermitteln. Es half, einen Prozess zum Erfolg zu führen. Dennoch hat es uns verändert. Es hat Narben hinterlassen und zugleich sind wir gewachsen. Wir haben es überstanden. Nicht zuletzt durch die unfassbar glückliche Hilfe unseres Anwalts. Wir kennen uns jetzt aus mit Telefon-Fangschaltungen, Nebenklagen und Schmerzensgeld. Wissen, das wir nie haben wollten.
So viele haben mir in den letzten Monaten ähnliche Geschichten aus ihrem Leben erzählt. Unsere war besonders krass, sagen sie mir dann, weil es Mord- und Vergewaltigungsdrohungen gegen eine ganze Familie gab. Doch zugleich sehe ich, wie viel Glück wir damit hatten, von der Polizei und der Staatsanwaltschaft ernst genommen zu werden, eine Gewaltschutzverordnung zu erwirken und letztlich erfolgreich als Nebenkläger in einem Strafprozess mitzuwirken. Für uns waren die acht Monate eine unendliche Ewigkeit. Andere müssen es Jahre ertragen. Vielleicht macht die Geschichte einigen Mut. Sie soll aber auch eine Nachricht an jene sein, denen Menschen aus ihrem Umfeld erzählen, dass sie gestalkt werden: Hört ihnen zu. Das ist das Beste, was ihr für sie tun könnt. Nehmt Euch Zeit und versucht zu verstehen, wie sehr es sie belastet. Bleibt am Ball, auch wenn sie Euch immer wieder ähnliche Geschichten erzählen. Sie stehen unter Dauerstress, werden permanent getriggert. FreundInnen, die empathisch Anteil nehmen, helfen, so eine Situation durchzustehen. Mit Verhaltensratschlägen sollte man sich zurückhalten, sonst ist das Victim Blaming oft nicht weit. Auch das haben wir erlebt und nicht wenige Freundschaften haben darin ein Ende gefunden.
Ich bin froh, dass die Geschichte nun endlich raus ist und für uns der Horror einen Endpunkt findet. Ich bin dankbar, dass meine Familie diesen Angriff durchgestanden hat. Danke, Freunde, die Ihr da wart. Danke Anwaltsfreund, der Du uns die Familie gerettet hast. Und danke Khuê für den ausführlichen Bericht, der sehr nah an Details arbeitet.
Auch meine Frau hat kurz ihre Gedanken zu dem Thema notiert.
p.s.: Am ZEIT-Text selbst haben wir nicht mitgewirkt und ihn erst in der Endfassung im Magazin gelesen.
Wow. Macht mich gerade ein bisschen fassungslos. Aber schön, dass es euch jetzt wieder gut geht 🙂
Danke, dass Du das aufschreibst und auch beschreibst, was Euch in dieser Situation geholfen hat. Es ist so wichtig, dass solche Informationen breit gestreut werden. Gut, dass Ihr Euch befreien konntet und gute Unterstützung hattet! Weiterhin alles Gute!
Important to share. Too many people get stalked and get intimidated into silence. Thanks for this.
@leitmedium Gerade auf zeit.de alles gelesen. Was für ein Wahnsinn. Gut, dass es überstanden ist. Alles Gute Euch ❤️
@leitmedium Keine Ahnung ob man euch für den Ausgang gratulieren soll oder für die ganze Sache bemitleiden. Ich hoffe auf ein happy end!
@leitmedium Ich wünsche euch alles Gute und hoffe euch geht es wieder besser. Der Artikel stößt ziemlich viele Gedanken an muss ich sagen.
@leitmedium @gregorsedlag Heftig. Entspannteres neues Jahr!
Danke für deine Offenheit.
Darf ich fragen, nach welcher Norm der Stalker angeklagt & verurteilt wurde?
Jemand aus meiner näheren Verwandschaft wurde auch gestalkt. Die Identität des Stalkers konnte dank einer Fangschaltung & mit Hilfe der Polizei zwar festgestellt werden, zu einem Prozess kam es aber aus Mangel einer anwendbaren Norm nicht : (
Dem Zeit-Magazin-Artikel zufolge Art 238 StGB
http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__238.html
Wie schon angemerkt: 238 StGB (2). Das Problem mit diesem Paragraphen ist jedoch, dass Stalking allein nicht ausreicht, sondern eine Schädigung nachgewiesen werden muss. Du musst zeigen, dass Dein Leben sich verändert: Telefonnummern wechseln, Umziehen, Therapien. Das macht den Paragraphen fast unerträglich, weil Du abwarten musst, bis es zu spät ist. Daher gibt es auch diese Petition.
https://www.change.org/p/justizminister-maas-%C3%A4nderung-des-stalking-paragrafen-238-vom-erfolgs-zum-eignungsdelikt
Wir können gern bei einem Kaffee mal über Details sprechen.
@leitmedium Uff, das ist echt abartig. Alles Gute euch.
@leitmedium kann ich teilweise nachfühlen, auch wenn es zum Glück nicht so etwas ausgeufert ist bei mir.
@leitmedium ich bin sprachlos. Alles Gute für Ihre Familie.
@leitmedium Das ist furchtbar 🙁 Alles Gute euch.
@leitmedium #supporttweet
@leitmedium Ich sage nicht oft „Puh“. Hier passt es aber. Puh. Alles Gute für euch in Zukunft.
@leitmedium davon wusste ich nichts. Ich bin froh, dass es wenigstens juristisch ein gutes Ende fand und hoffe es geht euch bald wieder gut.
Was mich – u.a. – maßlos ärgert: Dieses „hört doch einfach auf zu bloggen“. Ähnlich wie: „Na, musst dich nicht wundern, dass du vergewaltigt wurdest – wenn du so nen kurzen Rock trägst“. Gibt es für dieses schiefe Argumentation eigentlich einen Begriff?
.@leitmedium „Mein“ Stalker war ganz anders + doch ganz ähnlich.
Entsetzlich, wie besessen von fixen Ideen Menschen sein können
@leitmedium „Caspar Mierau stürzt auf sie zu. „Herr Nagel, verlassen Sie bitte den Raum!“ << sollte das nicht Nagel heißen am Anfang?
@leitmedium @ismail_kupeli Ich will nicht gerade sagen, dass ist krass, aber das ist schon extrem krass.
Google ich mal.
@leitmedium @Fischblog @fraumierau Es tut mir unendlich leid, was euch widerfahren ist. Passt auf euch auf! Frohe Wihnachten!
@leitmedium Danke für das öffentlich machen. Ich kenne das Problem nicht. Es ist aber wichtig das über solche Schicksalsschläge offen 1/2
@leitmedium gesprochen wird. Vielleicht schaffe ich das auch irgendwann mal mit meinem eigenen. 2/2
@leitmedium puh, das ist ja echt krass. Alles Gute für euch!
Was in dem Artikel an Fragen offen bleibt: 1. Wie hat der Beginn des Stalkings, das Erkennen des Täters und die Verurteilung Euer Onlineverhalten verändert?
2. Seid Ihr (jetzt) für eine Vorratsdatenspeicherung?
Sicher verändert so etwas das Verhalten. Da es schwierig ist, das eigene Verhalten einzuschätzen, kann ich nicht genau sagen, wie.
Zur VDS habe ich etwas weiter unten kommentiert. Zusammenfassung wäre: Nein, nicht VDS, sondern eine wirksame QuickFreeze-Lösung.
Besonders schockierend finde ich, daß in punkto Kuscheljustiz nach deutschem Recht Morddrohungen nicht ausreichend sind, sondern nur, wenn jemand wirklich Gewalt oder Mord anwendet.
Wo leben wir eigentlich?
Ich hatte auch schonmal Nachstellen (stalking) erlebt, allerdings zum Glück harmloser.
Wenn man längere Zeit belästigt wird braucht man keine Vorratsdatenspeicherung, sondern dann genügen Fangschaltung/Quick Freeze.
Hat man einen Tatverdächtigen genügt es genau diesen zu überwachen, man muss nicht das ganze Volk überwachen.
Ich werde noch einmal meine Gedanken zu dem Thema aufschreiben. Im Artikel wirkt es so, als wäre ich bedenkenlos für eine mehrmonatige VDS. Dem ist nicht so. Ich halte auch eine Quick Freeze Lösung für den besten Kompromiss. Hier muss allerdings diskutiert werden, wie dieser umgesetzt werden kann, dass Opfer von Straftaten rechtzeitig einen Quick Freeze erwirken können. Dafür gibt es verschiedene Strategien, über die man politisch diskutieren kann.
Dennoch halte ich ich den Satz „das ganze Volk überwachen“ für kein griffiges Argument. Es ist eine rhetorische Floskel, die den Willen vieler prinzipieller über das Unwohl weniger steht. Jedoch sind die Wenigen gar nicht so Wenige und Demokratie bedeutet nicht Rücksichtslosigkeit der Masse gegenüber Minderheiten. Ich bin daher zuversichtlich, dass man einen Kompromiss erarbeiten kann, der Opfern hilft und für die Masse erträglich ist.
Ich bin erst heute dazu gekommen, Euren Artikel zu lesen. Ihr habt einen sehr hohen Preis dafür zahlen müssen, in der Öffentlichkeit zu stehen. Ich finde es großartig, dass Ihr Eure Erfahrungen mit dieser Öffentlichkeit teilt, denn damit bekommt das Thema mehr Außenwirkung. Stalking ist Gewalt und die Auswirkungen lassen sich nicht kleinreden.
Ich bin sehr froh, dass Ihr Eure Blogs weiterführt. Das ist ein sehr gutes Zeichen, sich nicht unterkriegen zu lassen. Ich bewundere Euren Mut, Eure Entlossenheit, Eure nicht vorhandene Sprachlosigkeit und Eure gegenseitige Unterstützung. Danke nochmals fürs öffentlich machen.
Liebe Grüße.
Heftig, es tut mir Leid, dass ihr so etwas durchmachen musstet – gut, dass ihr noch die Kraft hattet, es veröffentlichen zu lassen, es kann sicher einigen helfen.
Im ZEIT-Text steht: „Es gehört zum Selbstverständnis des Bloggers Caspar Mierau, dass er die Speicherung von Daten ablehnt. Hier auf dem Berliner Polizeirevier fällt ihm auf, dass man die Sache auch anders sehen kann. Wäre der Datenschutz in Deutschland nicht so streng, könnten die beiden Polizisten den Stalker vielleicht mithilfe der Pizzabestellungen überführen. Die Vorratsdatenspeicherung, deren Aussetzung Mierau wie die meisten Mitglieder der Netzszene bejubelt hat, wäre für die Lösung seines Falles eine Riesenhilfe gewesen: Sie hätte die Telefonanbieter und Internetprovider dazu verpflichtet, die Verbindungsdaten (wer hat wann und wo mit wem telefoniert, gemailt oder gesimst, wer hat wann und wie lange welche Webseiten besucht) mindestens sechs Monate lang zu speichern. Die Anonymität im Internet wäre quasi beendet.“
Im Text gibt es dazu nicht mehr, wie ist es heute, mit vielleicht etwas Abstand: Hat sich deine Einstellung zur Vorratsdatenspeicherung nachhaltig geändert durch das, was ihr erleben musstet?
Guck mal in die Kommentare weiter oben, da habe ich schon mal was zu VDS geschrieben. Beantwortet das Deine Frage?
Ja, vielen Dank, sorry, ich hatte nicht alle Kommentare gelesen.
Hallo,
habe eure Geschichte gerade im ZEIT-Magazin gelesen. Was für ein Wahnsinn. Toll geschrieben. Ich wünsche euch und euren kleinen Stöpseln alles gute für die Zukunft!
Ute
Unfassbar! Es tut mir sehr leid was ihr erlebt habt. Danke das ihr den Mut habt es öffentlich zu machen.