Leitmedium

Es gibt kein analoges Leben im digitalen.

Caspar C. Mierau arbeitet als technischer Berater und denkt als Medienwissenschaftler, der zur Computergeschichte promoviert, über die Geschichte und Gegenwart von Technologie nach. Er schreibt und podcastet an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, Technik und Kultur. Notiert kurze Gedanken auf Mastodon. Hat "Leitmedium" ganz offiziell als Künstlername im Ausweis stehen.

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Paradiesische Spiel-Arbeit – Andreas Rosenfelders “Digitale Paradiese”

25. April 2008 by leitmedium

Heute morgen in der Berliner Gazette von mir eine kurze Buchbesprechung zu Andreas Rosenfelders “Digitale Paradiese, Von der schrecklichen Schönheit der Computerspiele“:

>Digitale Paradiese< betitelt Andreas Rosenfelder sein unlaengst erschienenes Buch zum Streifzug durch dreissig Jahre Computerspielgeschichte. Mag der Titel zunaechst wie einer jener Buecher klingen, deren Halbwertzeit sie bereits nach zwei Jahren mit dem >Maengelexemplar<-Stempel versieht, erweist er sich waehrend der Lektuere als geglueckter Schachzug. Es sind zwar, das stellt sich schnell heraus, keine Paradiese, ueber die Rosenfelder schreibt, die evident christliche Konnotation jedoch ist es, die einen interessanten roten Faden durch die Betrachtungen zur Kulturgeschichte des Spielens am elektronischen Geraet zieht.

Es wird die Frage aufgeworfen, wieso der Spieltrieb als Antithese zur Arbeitswelt beim Computerspielen paradoxerweise oft genau darin besteht, in einer Ueberspitzung prostestantischer Arbeitsethik Routine-Ablaeufe wie das Ueberspringen eines Grabens wieder und wieder zu vollziehen, um fuer nur einen kurzen Gluecksmoment einen Schritt voranzukommen. Diese Durchdringung des Computers vom Arbeitsethos ist nicht neu – bereits vor knapp zehn Jahren hat sie Pekka Himanen in >The Hacker Ethic< aufgerollt – die zunaechst widerspruechliche Wechselbeziehung von Spiel und Arbeit jedoch ueberrascht.

So sind die digitalen Paradiese bruechig. Was Freizeit behauptet, maeandert zwischen Abwechslung und Sisyphos-Arbeit. Was Freiheit behauptet, bewegt sich zwischen der klaustrophobischen Enge der Labyrinthe [Pacman, Doom] und der zunehmenden Entgrenzung von Horizont und Handlungsfreiheit [Flight Simulator, GTA]. Doch Rosenfelder kritisiert nicht. Er notiert, erzaehlt und oeffnet Diskurse mit einer Schwerelosigkeit, die sie schnell dem Vorwurf einer Beliebigkeit aussetzen. Damit schafft er kein Standardwerk, aber einen wichtigen, wie leichtfuessigen kulturgeschichtlichen Beitrag zum Diskurs des elektronischen Spielens.
Quelle: Berliner Gazette

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Filed Under: Informatik, Kommunikation, Kritik, Kultur, Kulturgeschichte, Literatur, Spiele, Technik

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    25. April 2008 um 19:03

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