Vor kurzem ist das Buch »Der Trost der Flipper« des deutschen Kulturwissenschaftlers, Journalisten und Autors Andreas Bernard bei Klett-Cotta erschienen. Obwohl ich mich eher für weniger physische Historie interessiere, war das Thema Flipper nah genug an meinem Digitalhistorie-Thema dran, um das Buch zu lesen. Die Historisierung durch einen Kulturwissenschaftler versprach zudem eine willkommene Abwechslung zu den vielen sonstigen autobiografischen Werken aus dem „Retro“-Bereich, die nicht selten enthusiastisch im Vergangenen schwelgen, ohne es einzuordnen oder zu problematisieren. Die folgenden Notizen sind weniger eine Rezension als eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte, die ich aus der Lektüre mitnehme.
Erwartet man von Bernard in seiner Historisierung des Flippers eine kulturwissenschaftliche Metanarration, wird man bereits in den ersten beiden Sätzen der Monografie bestätigt: »Seitdem die Flipper verschwunden sind, haben sich die Städte gewandelt. Sie sind gläsener geworden, durchsichtiger.« Auf knapp 120 Seiten entwirft Bernard eine Kulturgeschichte der maschinellen Unterhaltung, ihrer versuchten Transformation ins Elektronische und ihres Scheiterns am Digitalen. Zugleich verwebt er die Geschichte des Flippers mit einer allgemeinen Sozial- und Kulturgeschichte. Dabei sind die Präsentation historischer und technischer Fakten kurzweilig mit einem autobiografischen Narrativ verwoben.
Eine kleine Filmtheorie
Überraschend ist die im Buch mehrfach durchdringende Filmhistorie des Flippers. Während generell argumentiert wird, dass im Film insbesondere der Delinquent am Flipper steht, wird eine Vielzahl an filmischen Beispielen aufgeführt, die ungewohnt deutsch-regional ist. Flipper-Automaten finden sich zum Beispiel im Tatort und bei Schimanski, wobei Bernard nach einer Aufzählung diverser bekannter Flipper-Maschinen, die in den Folgen bespielt werden, von einem gezielten programmatischen Einsatz ausgeht. Ebenso finden sich Beispiele aus der französischen Nouvelle Vague, die den Flipper als romantischen Treffpunkt zeigen. Wäre das Buch etwas strukturierter, könnte es als Nachschlagewerk für filmische Flipper-Referenzen dienen. Es wird jedoch deutlich, dass die präsentierte Filmauswahl über einen längeren Zeitraum gesammelt und geordnet wurde und nicht nur eine Präsentation von Film-Trivia ist, sondern eine freigelegte kleine Filmtheorie des Flippers darstellt.
Eine kleine Kultur-Kritik
Kulturkritisch ordnet Bernard den Umgang mit Freizeit bzw. freier Zeit ein. Während er in seiner Kindheit sich damit beschäftigte, wie er freie Nachmittage verbringen konnte, gäbe es heute einen Druck, nicht mehr Stunden, sondern Minuten und sogar Sekunden mit einer Tätigkeit zu füllen. Die damit formulierte Kritik an einer Smartphone-Kultur, die alle freien Momente ausfüllen müsse, wirkt zunächst ein wenig „spitzerig“, funktioniert im Zuge des Buches aber dennoch im Rahmen einer kulturtheoretischen Veränderungserzählung. Dies insbesondere, da auch die Veränderung der Arbeitswelt und ihre Wechselwirkung mit der Freizeitgestaltung eine zentrale These Bernards ist.
Freizeit im Kapitalismus als Wiederholung der Arbeit
Der Flipper wurde bereits in den 1970er Jahren als maschinell produzierte Unterhaltung für Maschinenarbeiter diskutiert. Freizeitgestaltung im Kapitalismus, so resümiert Bernard andere Theoretiker, orientiere sich an der Arbeit, von der man sich erholen wolle. Wenn der Industriearbeiter in der Kneipe in einer starren Körperhaltung an der Flippermaschine steht und mit wenigen Bewegungen Knöpfe drückt, so sei dies letztlich eine Wiederholung seiner Arbeitshaltung. Diese Genealogie ließe sich weiterführen über die Videospiele, die die Automatisierung der Arbeitswelt reflektieren, bis hin zu den Computer- und Smartphone-Spielen, die nicht selten an die Büroarbeit mit Excel-Tabellen und anderer Software erinnern. Ich lege hier eventuell das Buch etwas frei aus, als es konkret geschrieben steht. Dieser Teil ist für mich aber der wohl am weitest nachhallende nach der Lektüre, da er vom Flipper als konkretem technischen Artefakt ausgehend zu einer weiteren Analyse der kapitalistischen Arbeitswelt und der Wechselwirkung mit Freizeit anregt und mich als Gedanke sicher noch eine Weile begleiten wird.
Weiße Flipper
Kulturell ordnet Bernard den Flipper als „weiße“ Maschine ein. Die thematisch musikalisch verorteten Maschinen orientierten sich nahezu alle an weiß geprägter Rockmusik, und trotz der Hochzeit der Flipper um die 1980er Jahre gab es keine relevanten Hip-Hop-, Rap- oder Black-Music-thematisierenden Maschinen oder zentral sichtbare Schwarze Personen. Dies mag auch daran liegen, dass die Flipper zwar vor allem in den USA produziert wurden, der größte Absatzmarkt aber in Deutschland und Frankreich zu finden war.
Der romantisierte Tilt
Ein interessantes technik-philosophischs Moment ist der „Tilt“, also die ruckartige Bewegung zur Beeinflussung der Laufbahn der Kugel, die wiederum von der Maschine erkannt und bestraft werden soll. Während die technikhistorische Entwicklung der Tilt-Mechanismen spannend ist, ist sie es gesellschaftspolitisch ebenso. Wenn der Maschinenarbeiter am Flipper steht, sei es der Tilt, der das Symbol einer persönlichen Ermächtigung darstellt, denn trotz des Strafmechanismus ist es eben die Umgehung des Tilt-Triggers, die erlernt und in einem subversiven Akt ausgeführt wird. Leider romantisiert Bernard den Tilt hier im Kontrast zum Computerspiel, bei dem er kein Potenzial mehr für ein „Außen“ sieht. Hier fehlt ihm vielleicht ein Einblick in die Kultur der „Glitches“, bei denen Spieler jeden noch so kleinen Bug eines Spiels auskundschaften und ausnutzen. Die Kultur des Außen sieht nur anders aus als die des Flippers.
Der Kampf um die Legalisierung der Pinball Machines in den USA
Ein flür Flipper-Laien wohl überraschendes geschichtliches Kapitel ist der Kampf um die Legalisierung von Flippermaschinen in den USA. Die Maschinen galten lange als Glücksspielautomaten, bei denen lediglich Zufall, nicht spielerisches Können über den Ausgang eines Spiel entschied. Insbesondere der New Yorker Bürgermeister Fiorello La Guardia, der gegen die teils durch Glückspiel finanzierte organisierte Kriminalität kämpfte, setzte sich für ein Verbot der neuartigen Maschinen ein. Nach dem Angriff auf Pearl Harbor 1941 wurden die Maschinen in den USA staatlich sanktioniert eingesammelt, eingeschmolzen und zu Bomben und Schlagstöcken verarbeitet. Das US-Magazin Mental Floss notiert dazu:
LaGuardia’s crusade got a boost when Japan attacked Pearl Harbor on December 7, 1941. With America at war, LaGuardia argued that pinball machines weren’t just a corrupting influence; they were artillery in camouflage, a waste of metal. […]
Quelle: »How Pearl Harbor Led to a War on Pinball«,
In newsreel-ready stunts LaGuardia smashed machines with a sledgehammer before the pieces were dumped into the city’s waterways. The New York Times headline read “Pinball Machines to Help Win War.” The contribution was real. The military received 10,000 pounds of scrap metal courtesy of pinball machines, enough to make four 2,000-pound bombs. As for the machines’ legs, thousands were turned into billy clubs and distributed to police.
Danach fristeten Pinball-Machines ein Nischen-Dasein in Schmuddel-Ecken, bis 1976 der GQ- und New York Times Journalist Roger Sharpe als talentierter und engagierter Flipper-Spieler eine Anhörung vor dem Senat der Stadt New York erwirkte. In einer öffentlichen Vorführung zeigte er, dass Flippern kein Glücksspiel ist, sondern auf Können basiert. Kommentierend führte er ein Spiel vor, bis der Senat überzeugt war, dass Sharpe gekonnt und strategisch vorging. Fipper-Maschinen wurden vom Fluch der Glücksspielautomaten befreit und in öffentlich zugänglichere Räume überführt. Ikonisch gibt es dazu ein Foto, das Sharpe im Sacko am Flipper während der Vorführung zeigt:
Quelle: Artikel Roger Sharpe im Pinball Wiki. Das Foto steht laut der Quelle als Fair Use bereit.
Ein Jahr später veröffentlichte Sharpe das laut Bernard wohl beste Buch über Flipper, das je erschienen sei und das man erfreulicherweise auf archive.org einsehen kann. Echte Exemplare sind nur zu Mondpreisen erhältlich. Das Buch ist eine ästhetische Zusammenstellung von Fotografien und kurzen Artikeln und fällt wohl in die Kategorie coffee-table book.
2023 wurde unter Mithilfe von Sharpe als Produzent die Geschichte um die Legalisierung verfilmt. Inwieweit eine autobiografisch produzierte Heldengeschichte funktioniert, bleibt offen, da manden Film offenbar derzeit nicht in Deutschland streamen kann. Ich habe mal beim Filmverleih angefragt, ob ein Screening machbar sei, bisher aber keine Antwort erhalten.
Was bleibt
Was also bleibt nach der Lektüre von Bernards autobiographischer Flipper-Historie? Auch wenn das Buch keine stark strukturierte Flipper-Geschichte präsentiert, lernt man durch das Buch, dass es verschiedene Hersteller von Maschinen gibt, von denen die meisten in Chicago sitzen, das Flipper-Spieler die Maschinen wie Städte erkunden, in welcher Wechselbeziehung Freizeit und Arbeit in Verbindung stehen und wie sich die Flippermaschinen verändert haben und letztlich untergegangen sind. Es wird aufgeräumt mit dem einfachen Narrativ, dass Computerspiele den Flipper zerstört haben, denn es geht um gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die unser Spielbedürfnis prägen, nicht um eine einfache technologische Verdrängungsgeschichte. Das Buch ist eine kleine Kulturhistorie, die kurzweilig ist und zum Denken über den Flipper hinaus anregt. Es ist zudem eine Medientheorie des Spielens, die die Erweiterung des menschlichen Körpers im Sinne von Ernst Kapp und Marshall McLuhan, eine medienmaterialistische Sichtweise der Spielmaschine nach Kittler, eine Überwachungsgeschichte nach Foucault und eine Kapitalismuskritik nach Marx en passant vermittelt, ohne sie wissenschaftlich zuzuspitzen.
Was fehlt
Schön wäre gewesen, wenn Bernard an einigen Stellen einem weiteren „Warum?“ nachgegangen wäre. Wenn er schreibt, dass er bis auf die ins Buch eingeflochtene romantische Erzählung keine Frau kannte, die Flippern wollte oder konnte, würde man heute erwarten, dieser Feststellung nachzugehen, statt sie nur zu notieren. Etwas unvollkommen wirken einige Übergänge zur Diskussion digitaler Themen, bei denen Bernard, der sich selbst als Flipper-Spieler beschreibt, eben jene digitale Erfahrung zu fehlen scheint, um diese Beobachtungen abzurunden. Ein wenig vermisst habe ich zudem Bilder und Grafiken, die das Thema abrunden, wurde aber durch den Verweis auf das Buch von Sharpe versöhnt, in diese in Fülle enthalten sind. Diese Einwände stecken jedoch nur die Grenzen des Buches ab, die der Text auch nicht zu durchbrechen verspricht. Und so bleibt eine kurzweilige, informative und melancholische Erinnerung an das Früher, das es heute nicht mehr gibt. Und ja, die Städte haben sich verändert.
Bei meinen wenigen Gelegenheiten, Flipper zu spielen, wie hier, in der Arcardehaller am Potsdamer Platz, achte ich nach der Lektüre des Buches nun mehr auf die Geräte, sehe mir die Mechanismen intensiver an und nehme die Maschinen nicht mehr als Randnotiz wahr. Sie sind nun kleine Städte, die es zu erkunden gilt.
Eine schöne, kleine Lektüre. Wer sie noch kleiner mag, kann den 2021 von Andreas Bernard in der taz veröffentlichten Artikel »Blick zurück auf den Flipper: Same player shoots again« ausweichen, der teils wortgleiche Passagen und die Quintessenz des Buches enthält. Wer die empfehlenswerte ausführlichere Version mit historischen Details und technischen Erläuterungen bevorzugt, wird im Buch »Der Trost der Flipper«, EUR 20,-, ISBN 78-3-608-98768-3, fündig.
p.s.: Wenn Dich Technik- und Digitalhistorie interessiert, möchtest Du vielleicht in den neuen Podcast Versionskontrolle reinhören. In Folge 1 »Machine Makes Monkey Out of Man« erzähle ich von der US-Wahlnacht 1952 und dem für alle überraschenden Einsatz eines UNIVAC-Computers zur Wahlprognose. In Folge 2 »Balkan Cyberia« – Großrechner hinter dem Eisernen Vorhang stellt Katharin Tai ein Buch zu einem eher unbekannten Kapitel der bulgarischen Großcomputer-Industrie vor.