Pünktlich zum diesjährigen Muttertag liefert Antilopen Gang mit dem gleichnamigen Song die erste Punk Rock Auskopplung aus ihrem im kommenden September erscheinenden HipHop-Punkrock-Doppelalbums »Alles muss repariert werden«. Der Song ist knapp, spitzt zu und … bleibt dabei ein wenig auf der Strecke. Es lohnt sich, die Geschichte hinter dem Muttertag etwas genauer zu beleuchten, um die allseits vorgetragene Kritik am “Nazi-Feiertag” etwas besser einordnen zu können.
Der Text des eingängig punkrockig gebrüllten Songs »Muttertag« lautet wie folgt:
[Strophe 1: Panik Panzer & Koljah]
Quelle: Transkription auf genius.com
(Hey, hey) Wir hol’n keine Blum’n
(Hey, hey) Wir hol’n keine Pralin’n
(Hey, hey) Keine Ehre und kein Ruhm
(Hey, hey) Es wird kein Mutterkreuz verlieh’n
[Refrain: Panik Panzer, Panik Panzer & Koljah]
Muttertag, Muttertag, Nazidreck
Muttertag, Muttertag, Nazidreck
Muttertag, Muttertag, Nazidreck
Muttertag, Muttertag, Nazidreck
[Strophe 2: Panik Panzer & Koljah]
(Hey, hey) Die Mutter ist nicht heilig
(Hey, hey) Sie ist keine Gebärmaschine
(Hey, hey) Wir haben nicht mehr ’33
(Hey, hey) Wir werden nicht der Wehrmacht dienen
[Refrain: Panik Panzer, Panik Panzer & Koljah]
Muttertag, Muttertag, Nazidreck
Muttertag, Muttertag, Nazidreck
Muttertag, Muttertag, Nazidreck
Muttertag, Muttertag, Nazidreck
Die weit geläufige Kritik am Muttertag lautet in entsprechender Kürze wie folgt: Die Nazis haben den Muttertag als Feiertag erkoren, um Frauen als Gebärmaschinen zu degradieren. Damit stellt sich die Kritik am Muttertag als feministisch dar. Doch die Geschichte ist etwas komplexer und wirft die Frage auf, ob die Kritik so stimmt und vorgetragen werden sollte.
Richtig ist, dass der Muttertag 1933 zum öffentlichen Feiertag erklärt wurde. »Hitler selbst hatte das Kindergebären als “eine Schlacht” bezeichnet, die eine Frau “besteht für Sein oder Nichtsein ihres Volkes”.« (Quelle) Das 1938 gestiftete Ehrenkreuz der deutschen Mutter, kurz »Mutterkreuz«, das für die Geburt von mehr als vier (Bronze), sechs (Silber) oder acht (Gold) Kindern verliehen wurde, sollte die Geburtenrate ankurbeln, wurde aber wohl schon bald als »Rammelbalken« oder »Kaninchenorden« verspottet und brachte nicht den gewünschten Erfolg. (Quelle)
Diese Version der Geschichte ist es, auf die sich der Antilopengang bezieht – und damit recht eindimensional auf die Geschichte blickt. Seinen Ursprung hat der moderne Muttertag in den USA. Die Dichterin, Sklaverei-Gegnerin und Feministin Julia Ward Howe setzte sich ab 1870 dafür ein, einen »Muttertag des Friedens« einzuführen, um gegen Sklaverei und Krieg zu protestieren. (Quelle) In der „Mothers‘ Day Proclamation“ von Howe heißt es:
„Steht auf, all ihr Frauen, die ihr ein Herz habt, gleich ob ihr mit Wasser oder mit Tränen getauft seid.Sprecht mit fester Stimme:
Wir werden nicht zulassen, dass große Fragen von unbedeutenden Regierungsstellen entschieden werden, unsere Ehemänner werden nicht zu uns kommen, stinkend nach Gemetzel, um von uns Zärtlichkeit und Zustimmung zu bekommen.
Wir werden nicht zulassen, dass uns unsere Söhne genommen werden, damit sie alles vergessen, was wir ihnen über Barmherzigkeit, Mitleid und Geduld beigebracht haben.
Wir Frauen eines Landes werden zu zartfühlend gegenüber den Frauen eines anderen Landes sein, um zuzulassen, dass unsere Söhne dazu ausgebildet werden, ihre Söhne zu verletzen.Aus dem Schoß der verwüsteten Erde kommt ein Schrei, der sich mit unserem vereint.
„Waffen nieder, Waffen nieder! Das Schwert ist nicht das Maß der Gerechtigkeit.“
Weder stellt Blut verlorene Ehre wieder her noch ist Gewalt ein Zeichen für Besitz.So wie Männer oft den Pflug und den Amboss verlassen haben, um dem Ruf zu den Waffen zu folgen, so lasst nun die Frauen all das verlassen, was im Hause zu verlassen ist, um einen großen und ernsten Tag des Beratens zu haben. Lasst sie zunächst als Frauen die Toten beweinen und ihrer gedenken. Lasst sie dann miteinander zu Rate sitzen über die Möglichkeiten, wie die Menschheitsfamilie in Frieden leben kann, dass jeder zu seiner Zeit den heiligen Aufruf höre, nicht des Cäsar, sondern Gottes….“
(Quelle)
Jahrzehnte später greift die Feministin Anna Marie Jarvis die Idee eines jährlichen Feiertags wieder auf. Ihre Mutter Ann Maria Reeves Jarvis hgatte bereits »Mothers’ Day Work Clubs« genannte Kurse geleitet, in denen sie Frauen über Hygiene und Pädagogik unterrichtete, insbesondere um der hohen Kindersterblichkeit entgegenzuwirken. Tochter Anna Marie wollte einmal im Jahr die politische Rolle der Frau in der Gesellschaft würdigen und nutzte den dritten Todestag Ihrer Mutter am 9. Mai 1908 für einen Gedenkgottesdienst, an dem sie 500 rote und weiße Nelken, die Lieblingsblumen ihrer Mutter verteilte. (Quelle) Womit auch die besondere Rolle der Nelke am Muttertag geklärt wäre.
Es folge die Geschichte, wie so oft geschah: Der Tag erfreute sich zunehmender Beliebtheit, wurde in den USA und anderen Ländern zum Feiertag, der kommerzielle Apsekt folgte auf dem Fuß, insbesondere die Floristen-Branche besetzte den Tag. In Deutschland wurde der erste Muttertag am 13. Mai 1923 begangen, wohl auf Betreiben des Verbands Deutscher Blumengeschäftsinhaber. In Nazideutschland erfolgte die Festschreibung des Muttertags als Feiertags, was er jedoch heute nicht mehr ist. Er fällt nur immer auf einen Sonntag und hat keinen offiziellen Status.
Damit kommen wir bei der weitaus vielschichtigeren Bewertung des Muttertags an, als dies die wenigen Zeilen Punkgeschrei zweier Männer vermuten lassen: Der Muttertag hat eine ursprünglich sehr starke Verankerung im US-amerikanischen Feminismus der Jahrhundertwende um 1900. Er wurde von Frauen besetzt als Tag, der für Pazifismus, gegen Sklaverei und für selbstbestimmte Frauen stehen sollte. Übernommen und besetzt wurde er von der Floristik-Branche und männlich dominierten politischen Strömungen. Doch ist das Anlass genug, damit sich ausgerechnet wieder Männer hinstellen und die Deutungshoheit über den Tag verlangen? Wie wäre es, sich stattdessen mit Christi Himmelfahrt auseinandersetzen? Diesen Tag haben 1934 Hitler und Goebbels zum gesetzlichen Feiertag erklärt, was er – im Gegensatz zum Muttertag – bis heute ist. Und zugleich ist er inoffiziell Vatertag, oder Herrentag, wie es je nach Region heißt. Was doch vielleicht eine viel bessere Projektionsfläche für männliche Deutungshoheit ist. Aber dann müsste es heißen “Himmelfahrt, Himmelfahrt, Nazidreck”. Das wäre dann vielleicht doch zu viel Punkrock. Aber bis zum Albumrelease sind es ja noch ein paar Monate.