Leitmedium

Es gibt kein analoges Leben im digitalen.

Caspar C. Mierau arbeitet als technischer Berater und denkt als Medienwissenschaftler, der zur Computergeschichte promoviert, über die Geschichte und Gegenwart von Technologie nach. Er schreibt und podcastet an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, Technik und Kultur. Notiert kurze Gedanken auf Mastodon. Hat "Leitmedium" ganz offiziell als Künstlername im Ausweis stehen.

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Ogo. Oder wie man Taschengeld sammelt.

2. Januar 2008 by leitmedium

Überdimensionierte Plakate, beklebte Türen, besprühte Wände – eine überraschende Werbekampagne erregt seit einigen Wochen (nur in Berlin?) Aufmerksamkeit: Das mobile Internet-Gerät “Ogo” wirbt mit kleinen, dreiäuigen Monstern, flotten Sprüchen. Chatten, wann und wo Du willst. Mobiles ICQ und MSN für EUR 4.95 flat. Verzeihen wir das unbeholfene “flat” und verstehen darunter einen pauschalen molbilen Internettarif für unter fünf Euro im Monat. Das klingt verlockend, doch ist es das?

Verglichen mit den horrenden Preisen für Geräte wie das iPhone wirken die fünf Euro wie nichts. Da ist man auch bereit, die einmaligen EUR 100,- für das aufklappbare Gerät mit Tastatur, ICQ- und MSN-Programm, Newsreader, Imap-E-Mail-Anwendung und Browser hinzulegen, das überdies auch noch mp3-Dateien abspielen kann. Doch irgend etwas stimmt nicht mit dem Tarif, das merkt man. Beworben wird lautstark die mobile Kommunikation, aber nicht mobiles Internet – und das aus gutem Grund: Der Tarif unterscheidet sehr feingranular zwischen E-Mail, Chat und Surfen. Der Pauschalbetrag, so verrät es das Kleingedruckte, deckt folgende Leistungen ab:

  1. Benutzung eines Chatkontos (entweder ICQ oder MSN)
  2. Benutzung von bis zu drei E-Mail-Konten über Imap

Keine Rede an dieser Stelle vom Surfen, denn das wird erst abgedeckt durch folgende Erläuterung:

“CallYa GPRS EUR 0,20 pro 10 KB, Zuschlag pro Nutzungsstunde EUR 0,07”.
Quelle: PDF auf ogo.com

Huch. Steinzeitpreise. 20 Cent für zehn Kilobyte – eine volumenbasierte Abrechnung, die es in sich hat. Nun ist es mit der zugrundeliegenden GPRS-Kommunikation nicht gerade bequem, Internetverkehr zu erzeugen, aber zehn Kilobyte schafft so manche Präsenz schon auf der Startseite. Doch damit der Tarif auch ausreichend komplex zu berechnen ist, wird dies noch kombiniert mit einer Zeitpauschale von sieben Cent pro Stunde. Für den Kunden wird es völlig unkalkulierbar, wie viel es nun kostet, mal eben eine Suchanfrage zu starten und zwei, drei Seiten zu betrachten.

Da möchte man auch nicht wissen, wie die Benutzung des beworbenen Feedreaders zu Buche schlägt – schließlich baut dieser im Extremfall regelmäßig eine kostenpflichtige Verbindung auf – oder er tut es nur auf Befehl und wird damit  unerträglich langsam.

Ebenso undurchsichtig sind die Preise für SMS und Telefonate: Diese richten sich nach dem monatlichen Volumen der Einzahlung auf der Guthabenkarte. Je mehr eingezahlt wird, desto billiger werden die normalen Telefoniedienste. Doch wer will schon EUR 50,- einzahlen, um einen Monat lang nur EUR 0,09 pro SMS zu zahlen? Schließlich kann man mit einem mobilen Internetgerät prima SMS für diesen oder einen noch geringeren Tarif über das Internet versenden und eigentlich wollte man doch den Ogo haben, damit man nur die knappen fünf Euro im Monat bezahlt? Nun plötzlich schon fast 55 Euro? Vielleicht noch mit Datentarif für Webseiten mit bis zu sechzig oder siebzig Euro? Ja, ein zugespitztes Beispiel, aber es trifft den Kern des Tarifes.

Gute Kampagne. Hinterhältiges Produkt. Dann doch lieber die GPRS-Flatrate des eigenen Mobilanbieters zubuchen oder die wirklich pauschalen EUR 9,99 für den Ogo-Vorgänger Pocketweb bei 1und1, auch wenn dieser von der Hardware deutlich älter wirkt. Oder einfach warten, was in den nächsten Monaten so im mobilen Internetbereich passiert. Um den Ogo sollte man einen großen Bogen machen und hoffen, dass die besprühten Wände bald wieder freie Sicht gewähren.

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