Leitmedium

Es gibt kein analoges Leben im digitalen.

Caspar C. Mierau arbeitet als technischer Berater und denkt als Medienwissenschaftler, der zur Computergeschichte promoviert, über die Geschichte und Gegenwart von Technologie nach. Er schreibt und podcastet an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, Technik und Kultur. Notiert kurze Gedanken auf Mastodon. Hat "Leitmedium" ganz offiziell als Künstlername im Ausweis stehen.

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Ersetzt das Häkchen das Durchstreichen?

2. August 2007 by leitmedium

Vor kurzem wurde ich gefragt, warum ich auf meinem anachrostisch wirkendem Moleskine-Planer erledigte Aufgaben immer durchstreiche, man könne doch ein Häkchen daneben setzen, das sähe gleich viel besser auf. Das mag sein, doch sprechen auch Gründe dagegen: Eine Liste wird (für mich) übersichtlicher, wenn erledigte Punkte durchgestrichen sind und daher dem Auge nicht mehr präsentiert werden.  Darüber hinaus ist der Akt des Durchstreichens eine Art Belohnung am Ende einer Aufgabe, der den Vorgang besiegelt.

Doch das ist nicht der Punkt. Überlegt man genauer, fällt auf, dass das Durchstreichen zunehmend zu verschwinden scheint – es schickt sich scheinbar nicht mehr. Oder es ist einfach mehr nicht notwendig. Am Computer ist man es gewohnt, entweder zu löschen oder mit einem Häkchen zu bestätigen, was in der Regel mit einer farblichen Veränderung (z.B. einem Ausgrauen) einhergeht. Am Computer ist der Akt des Durchstreichens künstlich. Man kann schlichtweg nicht Durchstreichen, nur gekünstelt Selektieren und als durchgestrichen Kennzeichnen. Das ist etwas anderes.

Diese Entwöhnung vom Durchstreichen scheint sich auch auf die Handschrift auszuwirken. Man ist vom Computer klare Flächen zum Schreiben gewöhnt und hinterlässt keine Geschichtsschreibung im Sinne eines Textes, der seine Entstehungshistorie offenbart. Eben dies scheint man auch vom Papier zu verlangen – lieber ein adrettes Häkchen auf die Liste.

Da geht die Schule des Kanzellierens dahin und ihr eine Träne nachzuweinen wäre sicher kulturkonservativ, wenn nicht -pessimistisch. Und dennoch: Durchstreichen ist kein Behelf, es ist ein Akt, eine Aussage, ein Hilfsmittel und eine Tradition. Es mag nicht so schön aussehen wie ein Häkchen, aber Form ist wahrlich nicht das einzige Kriterium für Schrift.

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