Mal eine gute Nachricht: Der US-Aktivist und Internet-Historiker Carl Malamud hat in einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof eine Entscheidung erwirkt, dass Europäische Normen nicht mehr unter Verweis auf das Urheberrecht hinter Bezahlschranken versteckt werden dürfen. Die Verschränkung von Gesetzen und Normen erlaube es nicht, dass Unternehmen aber auch BürgerInnen nicht die Möglichkeit hätten, sich über diese und ihre Einhaltung zu informieren. Die Entscheidung auf EU-Ebene könnte nun nochmal eine Vorlage für weitere Klagen auf nationalen Ebenen sein. Unter anderem das deutsche DIN warnte bereits davor, dass das »gut funktionierende europäische Normungsprozess durch ein entsprechendes Urteil gefährdet würde«.
Man muss das noch einmal wiederholen für die, die es nicht wissen: Verbindliche Normen, die Unternehmen einhalten müssen, können diese nicht einsehen. Sie müssen gekauft werden, zum Beispiel bei der DIN, die diese wie einen Schatz hütet und auch ältere Versionen mit Zähnen und Klauen verteidigt… Ich erinnere mich daran, wie ich im Rahmen meiner Doktorarbeit die DIN-Norm 66001 »Informationsverarbeitung – Sinnbilder für Datenfluß- und Programmablaufpläne« gesucht habe. Gibt es hier ab 85 Euro beim Beuth-Verlag zu erwerben. Eine Web-Suche ergab die Webseite eines Professors, dessen Web Archive Version die DIN Norm noch als PDF hatte, während im Quelltext der aktuellen Version seiner Webseite der versteckte Hinweis als HTML-Kommentar stand:
»Hier hatten wir einmal die Ausgabe von 1966 des DIN 66001 mit der Definition der Flussdiagrammsymbole, aber der DIN meinte, das ginge nicht, da er noch immer die Rechte an dieser Uralt-Norm halte, auch wenn sie längst überholt ist (Ersetzt 1977 und 1983 durch Neufassungen, die aber inzwischen auch zu vergessen sind). Wie sollen so Wissenschaft und Ausbildung funktionieren, wenn Studenten nur noch Sekundär- und Tertiärquellen wie Wikipedia anschauen, aber nie die Chance haben, einmal eine Originalnorm zu sehen, auch wenn diese längst nicht mehr aktuell ist???«
Mit der DIN 66001 wird übrigens diese Schablone (auf der Basis der ISO 5807, die Ihr ab 142 Euro erwerben könnt beim Beuth-Verlag) normiert, die Ihr vielleicht schon mal irgendwo bei den Zeichenmaterialien gesehen habt:
Was soll ich sagen: Ich hoffe, die DIN verliert ihr gut laufendes Modell. Es ist einfach falsch, dass für Normeneinsicht bezahlt werden muss. Ganz grundsätzlich. Natürlich lässt sich die Frage stellen, wie ein Normierungs-Institut finanziert wird. Durch Geheimniskrämerei mit Normen allerdings nicht. Für die Zukunft hat die DIN bereits ein neues Finanzierungsmodell FINA25 geplant. Hoffnung, es werde sich etwas bessern, zerschlagen sich jedoch bereits, wenn es auf der Ankündigung beiläufig heißt »Finanzierung wird weiterhin durch DIN selbst übernommen, indem unter anderem die Erträge aus dem Verkauf der Normen und sowie die Erträge aus anderen Dienstleistungen genutzt werden«.
tl;dr: Normen sollten kein urheberrechlich geschütztes Wirtschaftsgut sein. Es verhindert Zugänglichkeit, Überprüfbarkeit und historische Arbeit.
Quelle: Urteil: Europäische Normen dürfen nicht hinter die Paywall
p.s.: Es gibt ein System von “Auslegestellen” für DIN-Normen, zum Beispiel an einigen Universitäten, wo man diese vor Ort kostenlos einsehen kann. Das bedeutet jedoch, dass man hinfahren ´ und weiterhin in der Arbeit mit den Normen das Urheberrecht beachten muss. Von einem “Open Access” und gesellschaftlich fairem Umgang ist dies weit entfernt und erinnert eher an “A Hitchhikers Guide To The Galaxy”, wo es auf die Beschwerde, man sei überrascht worden vom Abriss der Erde:
„Es gibt überhaupt keinen Grund, dermaßen überrascht zu tun. Alle Planungsentwürfe und Zerstörungsanweisungen haben fünfzig ihrer Erdenjahre lang in ihrem zuständigen Planungsamt auf Alpha Centauri ausgelegen. Sie hatten also viel Zeit, formell Beschwerde einzulegen, aber jetzt ist es viel zu spät, so ein Gewese darum zu machen. … Was soll das heißen, Sie sind niemals auf Alpha Centauri gewesen? Ja du meine Güte, das ist doch nur vier Lichtjahre von hier. Tut mir leid, aber wenn Sie sich nicht mal um Ihre ureigensten Angelegenheiten kümmern, ist das wirklich Ihr Problem. Vernichtungsstrahlen einschalten!“
Quelle: “Per Anhalter Durch die Galaxis”, übernommen von dieser Seite.