Derzeit findet in Berlin die Konferenz „Digital Backyards“ statt – eine dreitätige Konferenz im Bethanien. Obwohl ich mich gern auf Netz-affinen Konferenzen herumtreibe, wusste ich nach Lesen des Einladungstextes, dass ich an dieser Konferenz mit Nachdruck nicht teilnehme? Warum? Das will ich kurz in drei Punkten zusammenfassen:
1. „Europäische Alternative?“
Haupt-Claim der Veranstaltung ist die Suche nach Europäischen Alternativen zu Google und Facebook (offenbar wörtlich und im übertragenen Sinne). Zum einen interessiert mich diese Fragestellung nicht. Ich verstehe das Internet als Netz, das es mir ermöglicht, über Länder- und Kontinent-Grenzen hinweg Dienste zu nutzen. Ich nutze Dienste, die gut sind. Ob sie in den USA, Deutschland oder auf einer Bohrinsel betrieben werden, ist mir egal. Die Lokalisierung von Hardware wird argumentativ gern missbraucht, um zu problematisieren und zu skandalisieren. Gerade hat die Piratenpartei NRW einen Aufschrei produziert, weil die Mails des Landtags NRW durch amerikanische Server auf Spam geprüft wurden. Willkommen im Internet. Oder: Wie wäre es mit „Euronet“?
Die Suche nach Europäischen Alternativen zu Google und Facebook klingt nach nicht mehr als genau das Samwer-eske Copycat-en, das Europa und Deutschland oft vorgeworfen wird. Warum sollte die begrenzte Zeit zur Entwicklung von Produkten nicht genutzt werden, um etwas eigenständiges und Neues zu entwerfen. Warum muss bestehendes ersetzt werden? Eine, wenn auch nicht die einzige Antwort, ist im Rahmen der #bgdg sicher die Beteiligung der Europäischen Union durch die EACEA. Hier gibt es kultur- und geopolitische Interessen, die gepaart mit handfesten ökonomischen Anreizen sich die Hand reichen mit vorgeschobenen Datenschutzbedenken. Ich weiß nicht, ob „Internet-Kolonialismus“ da das richtige Wort ist, aber in diese Richtung geht es eben. Auch wenn Netz-Konferenzen sich gern avantgardistisch geben: Es ist im Sinne des Wortes re-aktionär, wenn man zum hundertsten Mal das Rad neu erfinden will, weil es auf der falschen Seite des Flusses steht.
2. Bitte nicht das D-Wort
Und was kommt bei raus? Man konnte schon vorher ahnen, dass das mehr als verbrannte Wort „Diaspora“ fallen wird. Kurz zur Erinnerung: Diaspora ist der zerschollene Traum eines antisozialen Netzwerks, das Facebook als dezentrale und freie Alternative angreifen sollte. Geblieben sind ein paar unsympathische Jungs, die Crowdfunding eingestrichen, peinlich programmierte Software abgeliefert und wie eine heiße Kartoffel haben fallen gelassen, um einen Facebook-basierten Mem-Generator per Risiko-Kapital zu finanzieren. Das wird ignoriert, weil Diaspora ein OpenSource-Projekt ist, in das man Hoffnungen auf die Wiedererlangung der Kontrolle über seine Tools projizieren kann. Dabei wird die Angst vor dem Verlust über die Kontrolle oft verwechselt mit Datenschutz. Ich habe vor kurzem bereits mit Hans Hübner über die intime Beziehung von Angst und Datenschutz gesprochen. Nichts jedenfalls könnte die sinnlose und verzweifelte Suche nach einem romantisch Daten-geschützten Internet besser symbolisieren das Diaspora. Und wen verwundert es da, wenn einer der wenigen Tweets vom ersten Tag der Veranstaltung lautet:
Discussing once more whether Diaspora is dead and/or suitable for social change and/or to replace Facebook. High expectations #bgdb
— Anne Roth (@Anne_Roth) October 18, 2012
Irgendwie ist es schon rührselig, wie man einfach nicht aufhören kann, sich an Diaspora zu klammern. Es entwickelt sich zum Strohhalm einer einfallslosen europäischen Datenschutz-affinen und Amerika-skeptischen Szene. Aber, pssst: Selbst Diaspora wurde ursprünglich in den USA entwickelt. Wahrscheinlich während wir irgendwo drüber diskutieren, wie man das mit dem Internet jetzt nochmal in gut und sicher machen könne.
3. Halb geschlossene Veranstaltung
Etwas ist merkwürdig an der Veranstaltung. Neben dem öffentlichen Teil am 20. Oktober gibt es eine zweitätige »semi-open „Networking Lounge“« – ein halboffenes Netzwerk:
Die im Barcamp-Stil gehaltene „Networking Lounge“ findet am 18. und 19. Oktober statt. Jeweils 10:00 bis 18:00 Uhr. BloggerInnen, JournalistInnen, AktivistInnen, WissenschaftlerInnen, UnternehmerInnen, ProgrammiererInnen und Kulturschaffende definieren ihre eigenen Problemstellungen und Fragen. Anmeldung erforderlich: Wir bitten bis zum 30. September um ein kurzes Motivationsschreiben
Ein Veranstaltung im Barcamp-“Stil“ mit Motivationsschreiben? Meine Motivation wäre nach Lesen dieser Zeilen Herumtrollen gewesen. Ich habe allen Beteiligten das Schreiben erspart.
Und so sitzen zwei Tage eine Handvoll kluger Köpfe da und netzwerken ganz europäisch unter halbem Ausschluss der Öffentlichkeit miteinander. Aber man kann ja auch den Netzpolitischen Kongress der Grünen besuchen/verfolgen, der ab morgen stattfindet – und deutlich offener wirkt.
Bildnachweis: Das bearbeitete Bild “Europe at Night (NASA, International Space Station, 08/10/11) [Explored]” stammt von NASA’s Marshall Space Flight Center und steht unter einer CC BY-NC 2.0-Lizenz.