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Es gibt kein analoges Leben im digitalen.

Caspar C. Mierau arbeitet als technischer Berater und denkt als Medienwissenschaftler, der zur Computergeschichte promoviert, über die Geschichte und Gegenwart von Technologie nach. Er schreibt und podcastet an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, Technik und Kultur. Notiert kurze Gedanken auf Mastodon. Hat "Leitmedium" ganz offiziell als Künstlername im Ausweis stehen.

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Mit Kindern fernsehen. Was eigentlich? Zwischen Medienhistorie und Emily Erdbeer

25. Juni 2015 by leitmedium

Vor kurzem hat mich Netflix gefragt, was ich eigentlich mit meinen Kindern für Filme und Serien sehe. Das ist bei uns durchaus ein Thema, über das @fraumierau und ich uns einige Gedanken gemacht haben. Sie hat Kleinkindpädagogik studiert, ich Medienkulturwissenschaft. Da fällt es schwer, nicht über das Thema zu diskutieren.

Ein Ansatz, auf den wir uns früh einigen konnten, war ein medienhistorisches Sehen-Lernen. Die Idee ist, dass Fernsehen historisch zunehmend komplexer wird. Die Produktionsbedingungen werden immer technischer und treten zugleich weiter in den Hintergrund. Je älter Fernsehserien und Filme sind, desto eher sieht man ihnen an, wie sie gemacht wurden. Ich finde das sympathisch und halte es für eine sinnvolle Herangehensweise, Kinder geschichtlich ans Medium Fernsehen heranzuführen. Das Auge lernt mit dem Sehen. Wenn wir uns heute Serien aus den 80ern ansehen, können wir teilweise nicht mehr ganz nachvollziehen, wie sie uns mit ihren groben Pixeln so fesseln konnten. HD-Fernsehen fordert auch seinen geschichtlichen Tribut. Doch junge Menschen haben diese Sehgewohnheiten noch nicht und können sich viel leichter auf alte Inhalte einlassen, die sie noch verzaubern können.

Einer der ersten Filme, den unsere Kinder sahen, war “Das Sams” aus der Augsburger Puppenkiste. Die Geschichte von Paul Maar ist durch Vorlesen und ein Hörbuch streckenweise wortgenau bekannt. Die Augsburger Puppenkiste ist für ein Kind, dass noch nicht gewohnt ist, modernere Serien/Filme zu sehen, optisch durchaus anspruchsvoll. Zugleich kann man irgendwann nebenbei ein wenig darüber sprechen, dass da Puppen an Fäden bewegt werden, warum die eigentlich so komisch laufen, usw. Ein paar weitere Augsburger Puppenkiste Geschichten folgten (zum Beispiel “Das Urmel”). Ein paar Szenen beeindrucken mich von der Machart her noch heute.


(Bildquelle: Augsburger Puppenkiste)

Irgendwie freut man sich als Eltern darauf, seinen Kindern all die Dinge zu zeigen, die man früher selber toll fand. Was habe ich mich darauf gefreut, Pumuckl zu zeigen. Medienhistorisch durchaus interessant: Zeichentrick in einer sonst normal gedrehten Serie. Das führt irgendwann zu spannenden Fragen. Erst mit 25 Jahren Abstand ist mir aufgefallen, wie spitzfindig und witzig einige Details der Serie sind. Scherze, die man als Kind noch nicht versteht. Die TV-Serie mit Gustl Bayrhammer als Meister Eder strahlt noch heute einen beruhigenden Charme aus (Wenn auch einige Stellen, in denen zum Beispiel Kindern Ohrfeigen angedroht werden, durchaus kommentiert werden sollten). Ich wollte die Serie gern auf DVD kaufen. Kostet auf Amazon 80 Euro, ist unvollständig und mit einem von fünf Sternen bewertet. Nein, danke. Bei Netflix war leider auch nichts zu finden. Zu meinem Erstaunen gibt es wahrscheinlich alle Folgen auf Youtube. Man muss sie sich ein wenig zusammensuchen und fragt sich, ob das nun legal ist oder nicht. Aber sie sind da. Lieber hätte ich sie in besserer Qualität gestreamt, aber wer weiß, was die Zukunft noch bringt. Die Pumuckl-Hörspiele wurden übrigens von den Kindern gnadenlos abgelehnt.

https://www.youtube.com/watch?v=14hVRrICJXk

Pumuckl und Zeichentrick waren eine gute Gelegenheit, sich mit dem Thema Stop Motion zu beschäftigen. Man schon mit einem kleinen selbstgebastelten Daumenkino Kindern toll erklären, wie Zeichentrickfiguren lebendig werden. Oder man probiert es mit einer der vielen Stop Motion Apps aus. Bei uns entstand ein kackender Elefant, der den Kindern viel Freude bereitete:

https://www.youtube.com/watch?v=b_n84dSlCq0

Völlig durchgefallen – bei uns Eltern – sind die Schlümpfe. Ich hatte noch so kleine knuddelige blaue Wesen in Erinnerung und habe mich gefreut, sie den Kindern vorzustellen. Vorher habe ich mit fraumierau eine Folge Probe gesehen. Und zwar die Folge, in der Schlumpfine das erste Mal erscheint. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie sexistisch die Episode ist. Schlumpfine ist nämlich ein Werk von Gargamel, um die Schlümpfe zu verführen und zu spalten. Femme fatale als Untergang der reinen Männerwelt. Oookay.

Ein ähnlich ambivalentes Verhältnis haben wir zu Pipi Langstrumpf. Astrid Lindgren hat wunderschöne Kinderbücher geschrieben. Bei einigen hat sie leider mächtig daneben gegriffen, wenn es um das Thema Rassismus geht. Wer “Pippi im Taka-Tuka-Land” kennt, weiß wahrscheinlich, was ich meine. Das spiegelt sich erfreulicherweise nicht so stark in der TV-Serie wieder, aber wenn man vom Vorlesen gewohnt ist, ständig seitenweise vorzublättern, kann man nicht so richtig entspannt die TV-Adaption sehen.

Wirklich gern sehen wir zusammen “Mary Poppins”. Der über zweistündige Spielfilm wird nur selten angemacht, ist aber liebevoll produziert, bunt und ein Erlebnis. Vor zwei Jahren ist mit “Saving Mrs. Banks” übrigen ein interessanter Film über die Hintergründe veröffentlicht worden.

https://www.youtube.com/watch?v=IirOg9Vz4zc

Und dann sind da noch die “modernen” Sachen. Also all die Inhalte, die man selbst nicht aus der Kindheit kennt. Im Netflix-Kinderbereich gibt es eine Sortierung nach Charakteren. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Kinder auf einer knalligen Figur insistierten. Und so wurde es auf ausdrücklichen Wunsch hin “Emily Erdbeer” (ein Neuaufguss einer älteren Serie).

https://www.youtube.com/watch?v=ZyHrdZ9qO3Y

Der schlummernde Bildungsbürger in mir drehte sich im Grab um (dabei versuche ich, ihn im Zaum zu halten). Doch es kam es dann doch anders: Auch wenn die optische Machart der Serie nicht meins ist, merkt man, dass die Serie pädagogisch begleitet wurde. Die Episoden haben oft eine durchaus unterstützenswerte Nachricht und ich muss zugeben, es gibt durchaus schlechtere Fernsehserien für Kinder. Ok, ja, ich habe sogar schon mal gelacht beim Zusehen.

Letztlich habe ich gelernt: Das Wichtigste beim Fernsehen mit Kindern ist es, mit den Kindern zu sehen. Es ist ein Gemeinschaftserlebnis. Für Kinder sind oft schon Kleinigkeiten aufwühlend und es gut, gemeinsam diese Welt zu erkunden, darüber zu reden, manchmal die Angst nehmen und vor allem viel zusammen lachen. Da beiße ich auch gern in den sauren Apfel, manche Filme immer wieder sehen zu müssen und quietschende Emily-Erdbeer-Stimmen zu ertragen. Wahrscheinlich erinnern sich unsere Kinder in dreißig Jahren an diese Inhalte. Eine generelle Empfehlung, was gute Inhalte sind, würde ich nicht geben wollen. Geschmäcker sind verschieden und es lohnt sich, den Kindern zuzuhören, was sie sehen wollen – und ab und an einen anderen Impuls geben. Ohne darauf zu bestehen.

  • Niedergang und Aufstieg des Filmkorns
  • Kinderfotos im Netz? Ja, bitte.
  • Nach “Hacker im Film” ein Blick auf Hacker im Computerspiel?

Filed Under: Allgemein

Comments

  1. Twutti says

    25. Juni 2015 at 11:11

    @leitmedium Bei uns gerade hoch im Kurs: Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt !

  2. Michael says

    25. Juni 2015 at 11:18

    Wieder ein Post, dem ich insbesondere in seiner Quintessenz vollkommen zustimme. Manchmal ist es wirklich ein saurer Apfel, in den man beisst.

    Was mir auch aufgefallen ist: Dinge, die ich sehr positiv in Erinnerung hatte (E.T. z.B.) haben meinen Sohn (5,5) entsetzt. Pumuckl haben wir auch probiert (fand ich auch gut), er fand es unheimlich.

    Du schreibst von dem sichtbaren Erschaffen, das man in alten Filmen sieht. Ich würde da noch die oftmals ruhigere Machart anführen. Mein Großer und ich gehen zusammen zum Friseur, er darf dort immer irgendwelche Serien im TV schauen und ich denke jedes Mal: Zu laut, zu schrill, zu inkohärent. Ein Framework für das über die Serie zu verkaufende Merchandise. Frage ich ihn danach, was er gesehen hat: Keine Ahnung.

    Star Wars IV aus 1977 zusammen geschaut und erlebt: Er kann mir den ganzen Film erzählen.

  3. Ben says

    25. Juni 2015 at 11:24

    Was ich als Kind geliebt habe, neben der Augsburger Puppenkiste (Der Prinz von Pumpelonien, Das Burggespenst Lülü, Zauberer Schmollo und Die drei Dschungeldetektive sowie Die Wetterorgel (durchaus gruselig) oder auch Schlupp vom grünen Stern) ,die Sendung mit der Maus beziehungsweise mein geliebter Käptn Blaubär waren schreckliche Action-Cartoons mit “Kauft mir das Spielzeug”.

    Wahnsinn, wie ich Saber Rider, Dino Riders, He-Man, MASK oder die Galaxy Rangers vergöttert habe. Als Erwachsener schlägt man sich nur die Hand vor den Kopf. Ich weiß nun, warum meine Eltern mich das nur selten sehen ließen (abgesehen davon, hatten wir auch recht spät Satelliten-TV). Ziemlich lang hatten wir nur Antenne, also ARD, ZDF und N3 (heute ja NDR).

    Was mir da besonder gut in Erinnerung geblieben ist, ist ein Puppentrickfilm namens “Die Spur führt zum Silbersee” https://www.youtube.com/watch?v=dSFX7slFfY8 Grandios gemacht. War eine Zeit in der ich die Lucky Luke Zeichentrickfilme liebte oder auch Asterix.

    Was später noch ziemlich cool für mich war: https://de.wikipedia.org/wiki/Achtung:_Streng_geheim! Die hatten quasi Smartphones! und ziemlich coole Gadgets allgemein.

  4. Sebastian says

    25. Juni 2015 at 11:34

    Zum Thema Fernsehen: Lineares Fernsehen ist ein Konzept, dass unsere Kinder nicht mehr drauf haben. Das kleine Kind mag seine Maus-App auf dem iPad und Dinozug bei Netflix. Das große Kind sucht sich bei Netflix raus, was es will, oder vergräbt sich bei Youtube in Minecraft-LPs.

    Gemeinsam sehen: Ja, das macht Spaß. Aber ich kann Dinozug keine zwei Minuten ertragen. Aber dafür kann das kleine Kind alle Dinosauriernamen zu hundert Prozent besser aussprechen als ich.

  5. Oliver K. says

    25. Juni 2015 at 11:37

    Schöner Artikel, vielen Dank dafür! Er erinnerte mich an einen anderen, in dem eine Familie ihre Kinder an Computerspiele über alte Computerspiele heranführt und quasi die Videospielehistorie von damals bis heute durchläuft, mit dem Ergebnis, dass das Kind heute inhaltliche Qualität vor optischer Opulenz schätzt. Ich finde leider den Link gerade nicht :(. Ging um einen Sohn und war aus der Perspektive des Vaters geschrieben.

    • Michael says

      25. Juni 2015 at 12:34

      “Playing with my son”

      https://medium.com/message/playing-with-my-son-e5226ff0a7c3

      und meine eigenen 5ct http://blog.simons.ac/2014/06/19/frueher-und-heute/

  6. Meise mit Herz says

    25. Juni 2015 at 11:53

    @leitmedium hihihi! Emily Erdbeer hat die Stimme von Rory aus den Gilmore Girls! ?

  7. Nele says

    25. Juni 2015 at 12:51

    Vor einigen Jahren wollte ich meine kleine Cousine, damals im Kindergarten-Alter, für die Augsburger Puppenkiste begeistern und habe mir ihr Urmel aus dem Eis geschaut. Für sie UND ihren kleinen Bruder, der damals vielleicht 2 war, war das meeeegalangweilig. “Da sieht man ja die Fäden” wurde abfällig gesagt. Die Kinder hatten zu dieser Zeit schon “Fernseherfahrung” und haben genauso mit der Nase gerümpft wie wir heute über manche älteren Dinge.

    Meine Nichte (4,5) und mein Neffe (2,5) hingegen haben die Augsburger Puppenkiste als erste Fernseherfahrung kennen gelernt, und lieben die einzelnen Folgen! Der Favorit meiner Nichte ist dabei überraschenderweise der “Räuber Hotzenplotz” in schwarz-weiß mit unglaublich mieser Bildqualität (aufgezeichnet 1966!!) und mit schweren schwäbisch-bayerischen Akzenten (wir wohnen nicht mal in der Nähe von Bayern). Außerdem liebt sie die Astrid-Lindgren-Filme, allen voran die Kinder von Bullerbü!

    Das bestätigt deine Beobachtung, dass man sich wohl besser “von hinten nach vorn” arbeitet mit den Kindern – zumindest, wenn man möchte, dass auch sie die Sendungen aus der eigenen Kindheit zu schätzen wissen! Ob man das möchte, ist eine andere Frage, aber es ist schon schön, wenn man selbst noch einmal in Erinnerungen schwelgen kann. Das mit der ruhigeren Erzählweise kann ich außerdem ebenfalls bestätigen. Fast (aber nur FAST!) wird es einem manchmal schon etwas langweilig, weil einiges so langsam geschieht. Das ist man heute nicht mehr gewohnt (als Erwachsene muss ich da die alten Original-Doctor-Who-Folgen den neuen Doctor-Who-Folgen gegenüberstellen. Bei den ersten schläft man fast ein, weil alles sooo ausgiebig durchgekaut wird! 😉 Aber das ist zwar auch ursprünglich eine Kinderserie, aber wohl eher für größere Kinder.)! Aber für Kinder ist es sicherlich besser, erst einmal so an das Medium herangeführt zu werden.

    Liebe Grüße
    Nele

  8. Julia says

    25. Juni 2015 at 13:58

    Wir machen es sehr ähnlich. Allerdings ist bei uns Pippi (Hörspiele und Serie) am höchsten im Kurs. Ich liebe es, wenn die Kinder einfach im Gras liegen oder man ewig die Drachen in der Luft schweben sieht. Das Tempo ist einfach so viel entspannter. Die rassistischen Züge, die ich durchaus sehe, bespreche ich mit meiner Tochter altersgerecht. Das finde ich kein großes Problem.
    Danke für die weiteren Empfehlungen.

  9. ◐ Benedict says

    26. Juni 2015 at 13:16

    @leitmedium Wie sieht’s mit Klassikern wie Sendung mit der Maus, Peter Lustig, Wissen macht Ah aus? Der freie Kurzfilm Big Buck Bunny evtl.?

  10. Tatjana says

    2. Juli 2015 at 11:29

    Und keine Erwähnung der DEFA-Märchenfilme?
    Unsere Kinder sind was Filme angeht sehr sensibel – fast alle modernen “Kinder”filme sind für sie gar nicht geeignet, da alles viel zu dramatisch, beängstigend und aufregend ist. Schon die Musik ist viel zu laut.
    Lieblingsfilme sind Drei Haselnüsse für Aschenbrödel und Die Goldene Gans aus der DEFA, dazu noch Mein Nachbar Totoro (aus dem zurecht berühmtesten japanischen Zeichentrickstudio) – da gibt es einen zwar lauten, aber sehr lieben Troll.
    Auf Netflix schauen sie auch manchmal “Tom und das Erdbeermarmeladebrot mit Honig”. Das ist sehr simpel gestrickt, aber wirklich lustig und selbst für uns interessant. Kurz.
    Nachdem selbst die tschechischen “Maulwurf”-Trickfilme für den Kleinen mal eine Weile nicht drin waren (in einer Folge wird ein Igel gefangen), sind sie jetzt wieder sehr beliebt.

    • leitmedium says

      2. Juli 2015 at 11:32

      Es wurde mehrfach kritisiert, dass ich kein DDR-Fernsehen erwähnt habe. DEFA-Märchenfilme gucken wir natürlich auch gern. Das konzentriert sich aber eher auf die Zeit um Weihnachten rum.

      Das Sandmännchen, Pitiiplatsch usw. meide ich auch heute, weil ich es schon als Kind partout nicht ausstehen konnte 🙂