Vor kurzem bin ich auf ein Interview mit Claus Hipp gestoßen. Es handelt sich um den nunmehr 76-Jährigen „dafür stehe ich mit meinem guten Namen“-Geschäftsführer des Babykostherstellers Hipp, der vor allem für seine Gläschen bekannt ist. In dem Interview äußert sich Hipp:
War das Geschäft mit der Babynahrung früher einfacher?
Sicher. Weil Frauen heute immer später Mütter werden, wird das Ernährungsthema intellektueller. Sie hören weniger auf ihr Bauchgefühl, obwohl das meistens der richtige Ratgeber wäre.
Viele Eltern folgen diesem Gefühl und kochen ihre Breie selber.
Aber wo kriegen sie ihre Rohstoffe her? Wenn die im Biomarkt eingekauft sind, kann man zwar davon ausgehen, dass sie biologisch angebaut wurden. Aber die Rückstandskontrolle, wie wir sie haben, gibt es da nicht. Wir finden heute in einem 50 Meter langen Schwimmbad eine Prise Salz. Eine noch so gute Mutter kann nicht leisten, was wir leisten.
Ganz schön steile These.
Die Mütter meinen, sie können es selber besser. Aber das stimmt halt nicht.
Sie sprechen immer noch von Müttern als Zielgruppe.
Wir lassen in der Werbung aber mittlerweile auch mal die Väter erscheinen.
Wie ist das in Ihrer Familie geregelt?
Meine Schwiegersöhne füttern schon mal ihr Kind oder wickeln es. Das hätte mein Vater nie gemacht. Das war Frauenarbeit. Wenn die Gefahr bestanden hätte, dass ein Kind nicht ganz trocken ist, hätte es mein Vater nie auf den Arm genommen.
An den Antworten Hipps ist einiges bemerkenswert: Da ist zum Beispiel eine tief verwurzelte Geschlechter-Rollen-Zuschreibung, die weiterhin die Mutter als Koch- und Fütter-Maschine sieht. Es sind zwar „auch mal die Väter“, die angesprochen werden, aber sie sind die Ausnahme. Das bleibt offenbar auch in der Familie Hipp so. Das ist bedauernswert, denn gerade ein Hersteller mit breiter medialer Öffentlichkeit könnte mit seiner Kommunikation dazu beitragen, dass sozial erlernte Rollenbilder verändert werden. Chance verschenkt. Doch das ist wenig überraschend.
Was überraschend ist, ist der abfällige Ton, in dem Claus Hipp Mütter in ihrer (gesellschaftlich zugeschriebenen) Rolle als Köchin disqualifiziert. Er vergleicht die voll durchindustrialisierte Baby-Convenience-Food-Lebensmittelindustrie mit dem heimischen Kochen und wirft Müttern vor, nicht über dieselben Labor-Instrumente zu verfügen. Schließlich könne das Unternehmen Hipp auch noch so kleine Reste chemischer Rückstände aufspüren.
Das ist wissenschaftlich betrachtet sicherlich richtig, aber: Wen kümmert das? Ist die Messlatte zur Essenszubereitung jetzt, dass es Hersteller abgepackter Nahrung gibt, die sie vorher noch im Reagenzglas untersuchen können? Das ist ein eine perfide Pathologisierung des Essens: Es wird als unnatürlich weil gefährlich stigmatisiert, selbst Essen zuzubereiten, denn es gibt immer ein Labor, das sauberer arbeitet. Statt „Mütter an den Herd“ heißt es nun „Mütter an den Babykostwärmer“. Bitte bloß nichts selber machen, Onkel Hipp und seine Labore regeln das schon.
Dass all dies nicht Skandalen schützt, wird in Interviews gern übergangen. Herr Hipp bezieht sich auf die Reinheit der Zutaten und scheint zu vergessen, dass es in Deutschland einen stark durchregulierten Lebensmittelmarkt und eine Lebensmittelüberwachung gibt. Es ist ja nicht so, als seien sämtliche selbst gekauften Zutaten völlig unkontrollierte Gefahrengüter. Oder hat jemand Angst, Kartoffeln und Möhren zu kaufen? Natürlich gibt es auch hier Lebensmittelskandale und eine heimische Küche ist sicher weniger keimfrei als eine Lebensmittelfabrik. Sicher wird die Firma besonders hohe Standards einhalten. Aber Keime, chemische Rückstände und Rückrufaktionen kennt die Firma Hipp auch.
Es ist natürlich Hipps‘ Job, für seine Nahrungsmittel zu werben. Was daher leider auch verschwiegen wird: Allein das Füttern von Babys und Kleinkindern mit Brei ist mitnichten die eine natürliche Art der Ernährung. Sie ist kulturell erlernt und wird nur zu gern von der Lebensmittelindustrie als „so und nicht anders“ verkauft. Doch es geht auch mit wenig oder ganz ohne Brei. Aber das wäre sicher gefährlich, denn in gedünstetem Gemüse könnte sich ein falsches Molekül einschleichen. Schade, denn mit selbst zubereitetem Gemüse geht es preiswerter, ökologischer und oft auch einfacher, denn Eltern können schon früh mit Kindern gemeinsam essen. Das heißt nicht, dass es nicht völlig legitim ist, sich bewusst für Gläschen-Nahrung zu entscheiden. Nur das sollten Eltern eben dürfen: Sich entscheiden. Gläschen, Brei selber kochen oder Gemüse dünsten? Was zum eigenen Leben, den Vorlieben und dem Zeit- und Geldkontingent passt. Herr Hipp darf sich da gepflegt raushalten und nicht als älterer Herr Müttern ein schlechtes Gewissen machen. Denn davon gibt es genug: ältere Männer, die Müttern reinreden.
Bildnachweis: Au marché de la Boqueria à Barcelone von anne arnould, lizensiert unter CC-BY-SA (nachbearbeitet).