Leitmedium

Es gibt kein analoges Leben im digitalen.

Caspar C. Mierau arbeitet als technischer Berater und denkt als Medienwissenschaftler, der zur Computergeschichte promoviert, über die Geschichte und Gegenwart von Technologie nach. Er schreibt und podcastet an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, Technik und Kultur. Notiert kurze Gedanken auf Mastodon. Hat "Leitmedium" ganz offiziell als Künstlername im Ausweis stehen.

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Das Telefon ist weiblich: Wie Emma Nutt die erste Telefonistin wurde

10. März 2015 by ccm

Heute vor 139 Jahren, am 10. März führten Bell und Watson das erste bi-direktionale Telefongespräch. Anlass, endlich meinen kurzen Text über Miss Emma Nutt aus dem Drafts-Ordner zu holen.

Das Vermitteln von Telefongesprächen war einst eine physisch anspruchsvolle Tätigkeit. Um Teilnehmer miteinander zu verbinden, mussten eilig meterlange Kabel durch einen Raum gezogen werden. In der Frühphase der Telefonie – Ende des 19. Jahrhunderts – wurde diese Aufgabe zunächst den als körperlich geeigneter geltenden männlichen Jugendlichen zugeteilt. Diese hatten bisher Telegrafen bedient. Der Übergang der Arbeit von einem Fernverbindungsdienst zum anderen schien daher konsequent.

(Quelle)

Doch es gab einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Dienst am Telegrafen und der Vermittlung von Telefonaten: Letzteres verlangte die direkte verbale Kommunikation mit den Gesprächsteilnehmern. Jungen und Junge Männer erwiesen sich – und ich kann hier nur die historische Erzählung aufgreifen – als ungeeignet. Sie waren unfreundlich, beschwerten sich, pöbelten gar die Kunden an. Junge Frauen galten hingegen als freundlicher, geduldiger und letztlich preiswerter.


(Bild-Untertext: Emma and Stella Nutt, working alongside boy
operators in Boston in 1878 – ich bin mir unsicher, ob das so stimmt, es zeigt aber die Arbeitssituation gut. Quelle)

Am 1. September 1878 nahm Miss Emma M. Nutt ihre Tätigkeit an der Schalttafel der Telephone Despatch Company in Boston auf. Eine technische Begünstigung war die Einführung der Schalttafel, die das Ziehen langer Kabel im Raum durch das schnelle Stecken von Verbindungen ersetzte. Emma M. Mutt wurde die erste weibliche Telefon-Operatorin an so einer Schalttafel und war die erste Frau, die den Kurznamen „Central“ trug. Sie blieb für über drei Jahrzehnte in diesem Beruf und prägte ihn mit als role model: Telefon-Operatorinnen hatten gepflegt und unverheiratet zu sein. Wenn sie heirateten, wurden sie entlassen.Die „New England Telephone Company“ stellte bis 1942 keine verheirateten Frauen ein.

Bis heute scheint die weibliche Stimme das Telefon zu prägen. Erinnert sei nur an die letzten Jahrzehnte mit automatischen Zeitansagen, Weckrufen usw. (vgl. dazu auch mein Gespräch mit Patricia Cammarata). Es sind oft Frauenstimmen. Interessant ist die Fortführung im digitalen turn. Sprachausgaben von Smartphones und Navigationssysteme werden (in der Standardeinstellung) in der Regel von Frauenstimmen bestimmt. Oder tragen gar weibliche Namen (Siri). Ein bisschen Emma wird hier wohl noch lange bleiben oder sich gar noch intensivieren, wie nicht zuletzt im Film »Her« gesehen.

Dies war ein kurzer Gedankenfetzen aus der Recherche zu meiner Dissertation.

Wer weiterlesen möchte zu Emma Nutt, kann die Wikipediaseite als Einstieg nutzen und einen Blick in das kurzweilige Buch „Ellen Stern & Emily Gwathmey, Once Upon a Telephone. An Illustrated Social History, New York 1994“ werfen. Für meine Forschung interessiert mich übrigens vor allem die Schalttafel, da deren Prinzip später an den ersten Computern zur Programmierung wieder Verwendung findet.

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