Letzte Woche Donnerstag war ich zu einer Blattkritik in der Redaktionskonferenz des Politik-Ressorts der ZEIT (Print) eingeladen. Der Haupt-Redaktionssitz der ZEIT ist in Hamburg – in Fußweite von Spiegel, Gruner&Jahr und anderen Medienhäusern, also ging es mit dem ICE und nur 50 Minuten Verspätung (hust) an die Elbe.
(Das ZEIT/ZEIT-Online-Gebäude in Hamburg)
In der Konferenz saßen ein Dutzend Personen. Mir ist aufgefallen, dass der Anteil von Frauen und Männern sich gleich verteilte, was mich überrascht und erfreut hat. Ich wurde vorgestellt als Popcorn-Blogger, an einer Dissertation verzweifelnder Kulturwissenschaftler und in der Berliner Startups arbeitende Person aus der Netz-Szene. Das implizierte zurecht einen Bias meiner Kritik und stellte in dieser Mischung den Grund meiner Einladung dar.
Da ich keine genaue Vorstellung hatte, was bei einer Blattkritik erwartet wird, bin ich Seite für Seite des Politik-Ressorts durchgegangen. Ich habe erklärt, ob und warum ich Artikel interessant fand, wie die Sprache auf mich wirkte und welchen Eindruck verwendete Grafiken und Bilder auf mich machten. Ich war offen mit der Kritik, was mir dadurch erleichtert wurde, dass ich die Autoren-Namen nicht den anwesenden Personen zuordnen konnte.
Synthese von Artikeln
Mir haben einige Artikel sehr gut gefallen. Insbesonders längere Stücke, die überraschende Perspektiven bringen oder aktuelle Entwicklungen zusammenfassen, gehen über das hinaus, was ich sonst täglich schnell im Netz konsumiere. Meine Hauptkritik bezog sich mehrfach auf das „nicht-verlinkte“ Nebeneinander von Artikeln. Im Gegensatz zu Online-Artikeln stehen Artikel in einer Print-Ausgabe in einer „örtlichen“ Beziehung zueinander und müssen dem gerecht werden. Es gab beispielsweise eine Artikel-Reihe zu den aktuellen weltweiten Protestwellen. Mir fiel auf, dass die Artikel teilweise sich widersprechende Erklärungsmuster für deren Motive anführten. Das ist zunächst nicht negativ, da verschiedene Sichtweisen interessant sind. Wenn jedoch sich scheinbar konterkarierende Thesen nebeneinander stehen, wünscht man sich als Leser eine Bezugnahme, Aufklärung oder Abgrenzung.
Die Frage ist natürlich, inwiefern das leistbar ist und erfolgen muss. Verschiedene Autoren schreiben eben verschiedene Texte mit verschiedenen Argumentationslinien. Es ist gut, wenn eine Redaktion das zulässt. Und doch ist das Besondere an einer Print-Zeitung der (auch haptisch erfassbare) Zusammenhang. Eine Ausgabe wird rund, wenn das Nebeneinander von Argumenten in eine Diskussion überführt wird.
Den Leser abholen
An einem längeren Artikel bemängelte ich die fehlende Einleitung. Es handelte sich um ein Interview mit einem deutschen Politiker. Die Bedeutung des Interviews konnte man nur durch Kennen der Vorgeschichte wirklich verstehen. Im Print-Bereich scheint man hier vor der Aufgabe zu stehen, einen Kompromiss in der Text-Vermittlung zwischen Stamm- und Gelegenheits-Lesern zu finden. Während man bei Online-Texten mit Verlinkungen arbeiten kann, ist der Platz im Print klar vorgegeben. Man möchte weder vorgebildete Leser langweilen, noch neue Leser vor den Kopf stoßen.
An einem Artikel habe ich Sprache und Schreibstil kritisiert. Eigentlich liebe ich die Ausschöpfung der Möglichkeiten deutscher Satz- und Wortbildungen. Mittlerweile erwarte ich aber von Sachtexten, dass sie Sprache nicht betont als Stilmittel einsetzen. Es ist keine Lyrik. Eine Zeitung liest man häufig in ablenkungsreichen Situationen wie Café oder Bahn. Hier genügt mir die Herausforderung, einen komplexen Sachverhalt zu verstehen. Eine künstlerische Auseinandersetzung mit Schachtelsätzen möchte ich an dieser Stelle nicht. Auch kritisiert habe ich den für meinen Geschmack in einem Artikel übermäßigen Gebrauch von Zitaten und historischen Zeitsprüngen. Hier argumentierte ich etwas sportlich, dass mich der Schreibstil an Julia Schramm erinnere, was eine kurze aber auch lustige Welle der Empörung auslöste. Es ergab sich jedoch eine interessante Diskussion über Zitate als Orientierungshilfen in längeren Texten. Persönlich möchte ich dieses Mittel nur sehr wenig in Sachtexten sehen, verstehe aber durchaus die Intentation dahinter und nehme an, dass es anderen Lesern da anders als mir geht.
Print vs. Online
Erstaunt hat mich die Frage der Redaktion, ob ich beim Lesen von Artikeln auf zeit.de in der Infobox darauf achte, ob ein Artikel von ZEIT Online oder aus der Print-Zeit stammt. Das tue ich nicht und mir ist auch erst vor kurzem klar worden, dass in Redaktionen durchaus Wert auf die Unterscheidung gelegt wird: ZEIT Online versus Print-ZEIT genauso wie Spiegel Online vs. Print-Spiegel. In den Online-Auftritten bemerke ich die Unterscheidung kaum oder finde sie verwirrend. „spiegel.de“ ist „Spiegel Online“. „zeit.de“ ist „ZEIT Online“. Auf spiegel.de und zeit.de gibt es aber wiederum Artikel, die aus den Printausgaben stammen, jedoch in der Corporate Identity der Online-Ausgabe präsentiert werden.
(Ein Print-Artikel in ZEIT Online)
Ich gehe davon aus, dass Print- und Online-Redaktionen ein sehr verschiedenes Selbstverständnis haben. Print liefert wahrscheinlich eher länger recherchierte Artikel, Online dafür zeitnah. Es fragt sich, ob diese Aufteilung der Redaktionen sich weiterhin halten wird. Die historische Entstehung ist nachvollziehbar. Da die Blätter und Verlage sich wandeln, werden hier zukünftig sicher Strukturen umgestaltet. Da dies aber mit der wichtigeren Frage zukünftiger Verwertungsmodelle zusammenhängt, wage ich mich derzeit nicht an eine Prognose.
Autorenfotos, lange Texte, weniger Bilder
Kritisiert habe ich die teils großformatigen Bilder. Ein Foto aus einer Protest-Gegend zeigte zwei vor einer Kamera posierenden Demonstranten vor einem brennendem Auto. Das Foto bewegte mich nicht und zeigte mir auch nichts neues. Ich bin es aus dem Netz gewohnt, in Echtzeit Fotos von Protesten zu sehen – direkt aus der Menschenmenge heraus. Diese Bilder wirken „authentischer“ und sättigen das Bedürfnis, zeitlich nachgelagert Bilder im Print zu sehen, zumal dort gerade der Platz begrenzt ist und für mehr Text verwendet werden könnte.
Man war überrascht als ich die Kritik zusammenfasste mit „Ich wünsche mir weniger oder kleinere Bilder und dafür längere Artikel“. Das ist natürlich Öl in das Feuer einer Print-Redaktion und wahrscheinlich Traum jedes Redakteurs, zugleich aber widerspricht es den Entwicklungen der Printausgaben der letzten Jahre. Einzig eine Sorte Bild wünschte ich mir mehr: Autorenfotos. Ich habe Schwierigkeiten, mir Namen zu merken, empfinde es aber als durchaus bereichernd, über die Zeit einzelne Autoren und deren thematische Bearbeitung kennenzulernen.
Sitzenbleiben
Nachdem die letzte Ausgabe besprochen war, ging es zur Planung der nächsten Ausgabe. Man überließ mir, ob ich die Sitzung verlasse oder weiter sitzen bleibe und zuhöre. Ich blieb sitzen, da ich gespannt war auf ein solches Planungsgespräch. Grundlegend läuft so eine Planung erst einmal unspektakulär ab: Redakteure schlagen eigene Themen/Artikel und Texte externer Journalisten vor. Es wird über die Relevanz der Themen diskutiert. Gelegentlich schimmert ein wirklich sehr dezentes Gerangel um die klar begrenzten Text-Plätze durch, das in der Regel durch eine inhaltliche Diskussion des vorgeschlagenen Themas kanalysiert wird.
Die Redaktions-Interna außen vorgelassen muss ich zugeben, dass ich teilweise beeindruckt war vom Diskussionsniveau und den aufgezeigten Recherchemöglichkeiten. Einzelne Geschichten ließen einen Rechercheaufwand aufblicken, der weltweite Kontakte in Krisengebiete hinein und internationale Reisen erforderte. Aber auch reine Inlandsthemen konnten mit Hintergrundinformationen präsentiert werden, die schon in der kurzen Vorschlags-Diskussion spannend genug waren, um mich mit „gekauft!“ zurückzuhalten.
Hier verläuft für mich die klare Trennlinie zwischen Bloggen, schnellen Online-Texten und aufwändig vorbereiteten Artikel. Das ist kein Online-Offline-Problem, sondern das, was ich mir heute von professionellem Journalismus wünsche: Tiefe. Persönlich bin ich bereit, für Artikel Geld zu bezahlen, die über das mediale Grundrauschen hinausgehen, das ich auch selbst befeuere. Dabei kann zum Beispiel die politische Blog-Berichterstattung sehr weit gehen, wie die Reise zweier metronaut-Blogger nach Istanbul zeigte (und hier ist ein anderer Punkt, an dem ich mich gern in welcher Form auch immer an den Aufwänden beteiligen möchte). Hauptberuflich schreibende und gut vernetzte Journalisten haben ein anderes Ausgangsniveau für fundierte Artikel. Genau darauf sollten sie sich fokussieren. Das schnelle Rauschen übernehmen wir.
[…] [Leitmedium] Seltener Einblick in die Arbeit der “Zeit”, nachvollziehbare Ansprüche des Kritikers. Nicht so das Übliche. Sehr lesenswert. […]