Leitmedium

Es gibt kein analoges Leben im digitalen.

Caspar C. Mierau arbeitet als technischer Berater und denkt als Medienwissenschaftler, der zur Computergeschichte promoviert, über die Geschichte und Gegenwart von Technologie nach. Er schreibt und podcastet an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, Technik und Kultur. Notiert kurze Gedanken auf Mastodon. Hat "Leitmedium" ganz offiziell als Künstlername im Ausweis stehen.

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RTL sieht sich nicht in der Pflicht, Archiv zu öffnen

9. August 2012 by leitmedium

Das Abenteuer-RTL-Archiv geht weiter. Meine erste Anfrage bei RTL nach einem Archiv wurde so beantwortet, dass man annehmen musste, es gäbe keines. Ein Kommentar hier im Blog machte mich aber stutzig:

In den Jahren 1987 bis 1989 habe ich als Aushilfe (Kabelträger, Studioassistent etc.) während meiner Abizeit bei RTL mein Taschengeld verdient. Damals gab es ein Archiv im Keller, das mir relativ groß vorkam, in dem zahlreiche, meiner Meinung nach sogar alle Sendungen auf Betamax-Kassetten gelagert wurden.

Es war zu unwahrscheinlich, dass RTL kein Archiv vorhält – man denke nur an die gern verwendeten Rückblicke. Ich habe mich daher an die Pressestelle von RTL gewendet und explizit nachgefragt, ob es ein Archiv gibt. Die Antwort folgte umgehend:

Sehr geehrter Herr Mierau,
vielen Dank für Ihre E-Mail.

Hier die Antworten auf Ihre Fragen:

1. Gibt es ein TV-Archiv aller ausgestrahlten Sendungen Ihres Senders bzw. Ihrer Sendergruppe?
Es gibt selbstverständlich ein internes Archiv, das aber nicht für Außenstehende geöffnet ist. Als privater Sender sehen wir uns nicht in der Lage und auch nicht in der Pflicht, unsere Materialien anderen zugänglich zu machen.

2. Wenn ja: Welche Zeiträume sind erfasst und was wird derzeit archiviert?
In unserem Archiv wird aus dem gesamten Zeitraum seit Gründung von RTL am 02.01.1984 alles archiviert, was wir für aufhebenswert erachten. Das Archiv wird nach internen Vorgaben und professionellen Archivar-Richtlinien geführt, aufgrund derer auch regelmäßige Löschungen von Materialien erfolgen.

3. Wenn ja: Wie können ältere Sendungen zu wissenschaftlichen Zwecken angefordert werden?
Wie schon in Antwort 1 erwähnt, sehen wir uns dazu nicht in der Lage.

4. Gibt es ein historisches Archiv mit alten Aufzeichnungen, Verträgen und sonstigen Materialien?
Ein “historisches” Archiv zur Auswertung durch Wissenschaftler gibt es wie erwähnt nicht. Allerdings gibt es evt. die Möglichkeit, beim Museum für Kommunikation Frankfurt am Main Einsicht in die Sendemitschnitte von RTL zu nehmen, die dem Museum überlassen wurden. Wir kennen jedoch nicht den derzeitigen Stand der Aufarbeitung dieser Materialien im Museum. Hier der Link zum Museum, wo Sie nachfragen können:
http://www.mfk-frankfurt.de/

Sie können diese Informationen gerne anonymisiert auf Ihrem Blog veröffentlichen – hierzu noch ein Hinweis: Die Ansprache an Sie als Herr Clemens Mierau erfolgte, weil Sie diese beiden Namen in das Feld “Nachname” auf das RTL.de-Kontaktformular eingetragen haben. Wir haben keinesfalls Ihren Vornamen als “unpassend” angesehen.

Mit freundlichen Grüßen aus Köln

Um mit dem Positiven zu beginnen: Es ist gut, dass es überhaupt ein Archiv gibt. So besteht die Chance, dass dieses zu einem späteren Zeitpunkt geöffnet oder überlassen wird. Der Hinweis auf das Museum für Kommunikation Frankfurt ist interessant. Ich habe bereits eine Anfrage dorthin geschickt. Damit ist jedoch schon alles Gute aufgezählt. Kommen wir zu den drei Kritikpunkten:

1. Es ist fraglich, ob RTL als privater Sender nicht in der Lage ist, Materialien zugänglich zu machen. Es ist mitnichten so, dass Sendungskopien bei den öffentlich-rechtlichen Sendern kostenfrei erhältlich sind. Die mir bekannten Preise schwanken zwischen 20 und 70 Euro pro Sendung. Damit lassen sich immerhin teilweise Aufwände kompensieren.

2. Es ist richtig, dass RTL rein formal nicht in der Pflicht ist, sein Archiv zu öffnen. Von einer wissenschaftlichen oder ethischen Seite sieht dies schon anders aus. Zunächst kann man prinzipiell die Frage stellen, warum viele Unternehmen historische Archive betreiben, RTL und andere private Sender aber nicht.


3. Auch wenn ausgebildete Archivare im RTL-Archiv arbeiten, ist fraglich, ob die regelmäßigen Löschungen nicht bedauernswertes Vernichten von Kulturgut sind. Die Interessen von RTL ans eigene Archiv sind sicher andere, als die von Außenstehenden.

Je weiter ich nachhake, desto mehr muss ich betonen, dass ich eine Deutsche Nationalmediathek für unabdingbar halte. Es ist unverständlich, wie wir pedantisch Bücher sichern, die oft viel aufmerksamer verfolgten TV-Sendungen aber dem Schicksal überlassen. Man vergleiche nur die Einschaltquoten mit den Auflagen von Büchern: Ein Buch mit einer einstelligen Auflage muss in die Deutsche Nationalbibliothek. Weil es ein Buch ist. Eine Sendung, die Millionen von Menschen gesehen haben, kann weggeworfen werden. Weil sie kein Buch ist.

Wenn RTL betont, dass es nicht in der Pflicht ist, sein Archiv zu öffnen, sollte man es entweder dazu verpflichten, oder eine zentrale Mediathek einrichten, die die Sendungen aller TV-Sender aufnimmt. Das kann nicht so schwer sein. Unsere Nachbarn machen es ja auch.

* Bild von oatsy40/Flickr (nachbearbeitet)

  • Museum für Kommunikation Frankfurt hat 45.000 Bänder RTL-Archiv – zeigt sie aber nicht gern
  • Ich wünsche mir eine Deutsche Nationalmediathek, oder: Das kurze Gedächtnis von RTL
  • Landesmedienanstalten führen keine Archive

Filed Under: Archiv, Bibliothek, Geld, Kritik, Kultur, Kulturgeschichte, Medien, Mediengeschichte, Moral, TV, Wissenschaft

Comments

  1. Heidi Stritzel says

    5. Februar 2013 at 10:53

    Hallo, ich habe am 13.05.1997 an einer Sendung bei Hans Meiser teilgenommen. Das Thema der Talkshow war: Ich geh nie wieder heiraten. Ich würde für eine Kopie der Sendung gerne bezahlen. Meine Mutter hat das damals aufgenommen, aber die Kassette ist irgenwie verschwunden. Wie komm ich an sowas ran?
    Gruss Heidi

Trackbacks

  1. Museum für Kommunikation Frankfurt hat 45.000 Bänder RTL-Archiv – zeigt sie aber nicht gern | Leitmedium sagt:
    17. August 2012 um 11:18

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  2. Die 80er haben angerufen: (M)ein kleiner Streifzug durch die Februar-Ausgaben der BILD-Zeitung 1981 | Leitmedium sagt:
    26. August 2013 um 17:05

    […] zum unprofessionellen Umgang von RTL mit ihrem Archiv, von dem ich bereits berichtete (mit Nachtrag). Kulturwissenschaftlich geben die Ausgaben einiges her. Es ist bedauerlich, dass sie nicht […]