Auf meiner Suche nach einer Aufzeichnung von RTLplus aus dem Jahr 1984 hat mir die RTL-Pressestelle mitgeteilt, dass das eigene Archiv nicht öffentlich sei und die Landesmedienanstalt NRW, dass sie kein Archiv führe. Man sehe sich als privater Sender weder verpflichtet noch in der Lage, eine Öffnung für Wissenschaftler zu leisten. Zugleich wurde ich darauf hingewiesen, dass dem Museum für Kommunikation Frankfurt ein größeres Volumen an Archivmaterial überlassen wurde. Ich habe also beim Museum nachgefragt und erhielt folgende Antwort:
Sehr geehrter Herr Mierau,
vielen Dank für Ihre Mail, die sich gar nicht knapp beantworten lässt. Das Archiv von RTL, das ich selbst besucht und gesehen habe, ist mir als sehr gut ausgestattet und wohlorganisiert bekannt. Natürlich ist es so, dass RTL ein kommerzieller Sender ist, der Geld verdienen muss, um am Leben zu bleiben. Insoweit ist das RTL-Archiv auch – aber nicht nur – ein Kostenfaktor, der Fernsehbeiträge aufbewahrt, die entweder irgendwann einmal für den eigenen Sendebetrieb wieder gebraucht werden oder sich sonst zumindest potentiell wirtschaftlich verwerten lassen.
Anfragen wie die Ihre zu beantworten und zu erledigen macht viel Arbeit – man muss recherchieren, Bänder heraus suchen, Kopien anfertigen, Bänder zurücksortieren. All das kostet Zeit (die eines RTL-Mitarbeiters) und ich bin mir nicht sicher, ob Sie die echten Kosten für so einen Service wirklich bezahlen möchten, der bei Minimum 300,- € anfangen würde. Insoweit ist das vollständig digitalisierte Archiv dieses Senders eben nur für interne Zwecke gedacht.
Neben dem Senderarchiv, das nach Sendungen organisiert ist, gab es bei RTL ab 1983 noch ein zweites Archiv. Dies enthält in chronologischer Reihe alles, was je über den Sender gegangen ist. Aus medienrechtlichen Gründen waren die Sender nämlich verpflichtet, alles, was gesendet wurde, zu dokumentieren. So lief also – quasi parallel zum Ausgang der Sendeantenne – immer ein Videorekorder mit, der ununterbrochen alles je Gesendete aufzeichnete – also auch Clips, Ansagen, Werbung, Zwischeneinblendungen etc. etc. Und das 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr ohne Lücke. Aus medienhistorischer Perspektive ist dieses Material in mancher Hinsicht interessanter als das sorgfältig nach Sparten auseinandersortierte Archiv des Senders.
Dieses chronologische Archiv umfasst rund 45.000 Bänder ab 1983. Es befindet sich heute in unserem Museum und wird von uns gemeinsam mit der Universität Hamburg betreut. Da dieses Bänder auch Material enthalten, an dem auch RTL die Rechte nicht besitzt – etwa Werbespots, Sportübertragungen oder Spielfilme (für die RTL nur die Lizenz zur Ausstrahlung hatte) – ist das Material nur eingeschränkt und nur für wissenschaftliche Zwecke zugänglich.
Allerdings nehmen wir Ihnen hier die Arbeit nicht ab. Sie werden zugeben müssen, dass Ihre Informationen nicht gerade präzise sind: „Tim Pritlove erzählte unlängst auf einer c-base-Party, dass er in den frühen 80er Jahren gemeinsam mit Hans Hübner von RTLplus zu irgendeiner obskuren Sendung eingeladen worden war. Da war irgendwas mit Hackern, Show und einer Weihnachtsmannmaske.“
Wie bitte sollen wir oder ein Archivar bei RTL das finden, wenn Sie nicht einmal den Titel der Sendung, das Jahr oder gar das Sendedatum kennen? Eine alte Fernsehzeitschrift hilft Ihnen da vielleicht weiter. Wenn Sie mir Datum und Uhrzeit der Sendung nennen können, können Sie sich gerne das Band in unserem Archiv anschauen.
Meine Antwort dürfen Sie gerne auf Ihrem Blog veröffentlichen – ungekürzt versteht sich.
Mit freundlichen Grüßen
Dazu gibt es folgendes zu sagen:
1. Das Zitat meiner Anfrage war von meinem Blog, nicht aus meinen Anfragen an den Sender. Hier habe ich natürlich nicht von „irgendwas mit Hackern“ geschrieben, sondern mich erst einmal ganz allgemein nach einem Archiv erkundigt. Bereits diese Anfrage wurde abschlägig beantwortet.
2. Unklar ist, wie die EUR 300,- entstehen, die als Mindestkosten für einen Rechercheauftrag veranschlagt werden. Aus Sicht des öffentlichen und wissenschaftlichen Interesses geht es bei meiner Anfrage aber zunächst generell um die Möglichkeit, nicht um den Preis. Ob jemand bereit ist, den Preis für eine Archivkopie zu bezahlen, sollte weder bei RTL noch im Museum für Kommunikation verhandelt werden. Ich musste bei meinen Archiv-Anfragen aus den Dritten Sendern zunächst schmerzhaft lernen, dass Kopien eben Geld kosten. Dennoch war ich froh, letztlich mein gesuchtes Material zu erhalten.
3. Zudem scheint mir generell ein Irrtum vorzuliegen. Allein ein öffentlicher Katalog von Programm und Aufzeichnungen wäre eine enorme Hilfe und zugleich Entlastung von Archiv-Mitarbeitern. Die hermetische Abschottung von Archiven erst lässt durch schwer zugängliches Wissen Aufwände drastisch steigen. Stattdessen tippen fleißige Menschen Jahrzehnte alte Fernsehprogramme ab und veröffentlichen diese in Community-Projekten wie tvprogramme.net. (An dieser Stelle ein Dank für das großartige und aufwändige Nischen-Projekt.)
4. Es gibt generell ein Paradoxon des Archivs: Das Archiv neigt dazu, stetig zu wachsen und von Archivaren gepflegt zu werden, jedoch sich zunehmend dem Selbstzweck anzunähern. Die Antwort aus Frankfurt mutet zumindest so an, als besäße man zwar 45.000 Bänder Archivmaterial, wäre aber nicht unbedingt daran interessiert, diese auch zugänglich zu machen. Man sollte vielleicht einmal »Der Name der Rose« lesen und über die Unzugänglichkeit der Bibliothek nachdenken.
Mein Resümee nach der Erhalt der E-Mail ist ambivalent: Ich freue mich, dass offenbar doch größere Mengen Archivmaterials in Frankfurt konserviert wurden. Zugleich wird deutlich, dass dieses Material auch hier mehr oder weniger unzugänglich ist (allein die Notwendigkeit der Anreise macht es unattraktiv). Nur das beharrliche Nachfragen hat dieses Archiv überhaupt erst auffindbar gemacht. Auch jetzt bleibe ich also dabei: Wir brauchen eine Deutsche Nationalmediathek. Unsere Nachbarn haben eine.
wie man eine so ausführliche (und imho freundliche) antwort derart missverstehn kann…
die beiden ersten absätze (incl. geschätzter kosten) beziehen sich doch eindeutig NUR auf rtl und das rtl-archiv bzw. die arbeit eines rtl-archivars.
und im weiteren macht der verfasser deutlich “du kannst gerne HIER (im mfk in ffm) gucken kommen, suchen musst du aber selber – die arbeit nehmen wir dir nicht ab”
man muss recherchieren, Bänder heraus suchen, Kopien anfertigen, Bänder zurücksortieren […] ist das vollständig digitalisierte Archiv dieses Senders eben nur für interne Zwecke gedacht.
Äh, ja… lieber Mitarbeiter des Museums für Kommunikation, fällt ihnen nicht selbst der Widerspruch in Ihrer Aussage auf?
Wiese sollte man in einem “vollständig digitalisierten” Archiv noch Bänder heraussuchen müssen inklusive all der ach-so anstrengenden Arbeitsschritte der Kopie, mit denen sie die horrenden Kosten zu begründen suchen?
Ist das Archiv digital und in einer halbwegs ordentlichen Datenbank sauber erfasst, ist das Suchen, Kopieren und Weitergeben eine Sache von wenigen Eingaben in eine Maske.
Es ist ja schön, daß hier das nostalgische Bild des Archivars gepflegt wird, der in einem monumentalen Gebäude durch unzählige Ebenen und endlose Regalreihen schreitet, in riesigen staubigen Wälzern blättert, um die Notation der gesuchten Information zu ermitteln, diese dann im hintersten Eck des dunkelsten Gangs findet, vorsichtig herausnimmt, händisch auf den Schapyrograph befördert und die gewünschte Kopie anfertigt, diese sorgfältig in einen Umschlag steckt und dem Wissensuchenden aushändigt.
Das hat nur rein gar nichts mit der aktuellen Realität zu tun und gerade ein Mitarbeiter des Museums für Kommunikation sollte das wissen.
Eine Archivanfrage lässt sich dank Digitalisierung und Vernetzung heute, wenn wie gesagt ordentlich verwaltet, innerhalb weniger Minuten erledigen – je nach Komplexität und Genauigkeit der Anfrage.
Selbst mit ungenauen Angaben wie “Tim Pritlove, frühe 80er Jahre, Hans Hübner, Hacker, Show, Weihnachtsmann” könnte man in einer gut verschlagworteten Datenbank ziemlich fix das Ergebnis bekommen.
Ein guter Archivar macht zudem noch das, was die Maschine nicht kann, nämlich assoziativ sein Wissen nutzen und den Bereich weiter eingrenzen.
Selbst wenn dann am Schluss ein Dutzend Sendungen übrigbleiben, wäre das nicht schlimm, denn Speicherplatz und Übertragung ist überhaupt kein Problem. Bänder müssen eben nicht kopiert und versandt werden, sondern das Material einfach extrahiert und zum Download bereitgestellt werden.
Alles in allem ein eher geringer Aufwand, den man sogar noch reduzieren könnte, öffnete man das Archiv zur crowdgesourcten Verschlagwortung, Kategorisierung, Transkription, etc., aber auf so etwas werden wir dank Urheberrechtskontrollwahn noch lange warten.
@scanlines: keine Ahnung, ob das hier zutrifft, aber “Wiese sollte man in einem “vollständig digitalisierten” Archiv noch Bänder heraussuchen müssen” kann man auch einfach damit beantworten, dass die digitalen Daten auf Bändern gespeichert worden sind. Das war auch in den 90ern noch durchaus üblich, die Festplatten waren teuer, nicht so einfach zu transportieren und zu wechseln …
@Matthias:
Ja, den Gedanken hatte ich auch und natürlich hast Du recht. So abwegig ist das mit den Bändern tatsächlich nicht.
Allerdings wäre es schon für die Sender selbst effizienter und mittelfristig kostengünstiger, ihre Bänder auf Festplatten zu überführen und in Archivdatenbanksystemen zu erfassen.
So oder so, nichts genaues weiß man nicht.
Insofern schließe ich mich Caspars Wunsch nach einer “Deutschen Nationalmediathek” erst recht an. 🙂