Leitmedium

Es gibt kein analoges Leben im digitalen.

Caspar C. Mierau arbeitet als technischer Berater und denkt als Medienwissenschaftler, der zur Computergeschichte promoviert, über die Geschichte und Gegenwart von Technologie nach. Er schreibt und podcastet an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, Technik und Kultur. Notiert kurze Gedanken auf Mastodon. Hat "Leitmedium" ganz offiziell als Künstlername im Ausweis stehen.

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Denken in Textbausteinen oder Nietzsche am Laptop

2. Juli 2007 by leitmedium

Manche Erkenntnisse kommen spät, dabei sind sie schon so alt. Im schön betitelten Artikel “Denken in Textbausteinen” berichtet die Süddeutsche von den Erkenntnissen an Schulen, dass die Nutzung von Computern sich auch auf die Denkweise der Benutzer auswirkt (und damit nicht nur passives Werkzeug ist, als das es gern gedacht wird):

Ob das Ziel, Kinder und Jugendliche Medienkompetenz zu lehren, allerdings mit technischem Aufwand erreicht werden kann, bezweifeln vor allem Psychologen. Zwar werde der Rechner im Unterricht meist sinnvoll eingesetzt, sagt Hans-Jürgen Tölle, Leiter des Zentralen Schulpsychologischen Dienstes der Stadt München. Doch je intensiver Schüler zu Hause den PC nutzten, desto schlechter werde ihre Schulleistung, das bemerke er immer wieder. “Schüler durchdenken Themen nicht mehr richtig”, sagt Tölle. “Schreiben sie zum Beispiel einen Aufsatz am PC, setzen sie ihn oft nur aus Textbausteinen zusammen, statt sich wirklich mit dem Thema zu befassen.”

1882 schrieb Nietzsche in einem Brief an Heinrich Köselitz nach seinen ersten Erfahrungen an einer Schreibmaschine dazu passend, ja fast frappierend ähnlich:

Sie haben Recht – unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken. Wann werde ich es über meine Finger bringen, einen langen Satz zu drucken!

Kein langer Satz an der Schreibmaschine, Denken in Textbausteinen – ein bisschen Kulturpessisimismus gehört eben dazu. Manche Erkenntnisse jedenfalls scheint jede Generation für sich machen zu müssen – zu abstrakt scheint Nietzsches (nicht nur negative) Betrachtung der Schreibmaschine. Interessant nur, dass heute eben jene Schreibmaschine als quasi mythisches, ersehnenswertes Vorgängermodell stilisiert wird. Fragt sich, was in fünfzig Jahren die Gedanken neu formt und den Laptop auf der Schulbank als wehmütiges Sehnsuchtsmodell erscheinen lässt.

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