Leitmedium

Es gibt kein analoges Leben im digitalen.

Caspar C. Mierau arbeitet als technischer Berater und denkt als Medienwissenschaftler, der zur Computergeschichte promoviert, über die Geschichte und Gegenwart von Technologie nach. Er schreibt und podcastet an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, Technik und Kultur. Notiert kurze Gedanken auf Mastodon. Hat "Leitmedium" ganz offiziell als Künstlername im Ausweis stehen.

Über | Links | Impressum

Powered by Genesis

Warum wir uns fremde Texte vorlesen sollten (mit Audiobeispielen von Jens Best, Jürgen Geuter und mir)

26. Mai 2014 by ccm

Ich höre gern Stimmen: Beim Rad- und Autofahren genieße ich Hörbücher, manchmal Podcasts, morgens Deutschlandfunk. Stimmen, die ruhig Inhalte vortragen, gern auch komplexere Texte. Was ich dabei immer wieder vermisse, ist die Möglichkeit, längere Blog-Texte und Artikel, die ich online finde, mir vorlesen lassen zu können, wenn ich Zeit dafür habe. Doch was spricht eigentlich dagegen, es selbst in die Hand zu nehmen?

Automatische Text-to-Speech-Systeme sind mittlerweile ganz gut geworden. Selbst die OSX-eigene Stimme kann zum Beispiel mit zwei Klicks im Browser-Fenster einen Artikel zumindest passabel vortragen (so klingt dieser Artikel hier).  Die Lösungen sind aber noch immer Meilen davon entfernt, Artikel so vorzulesen, dass man gern öfter darauf zurückkommen möchte. (Ich vermute, derzeit werden sie durch den Uncanney-Valley-Effekt noch einmal unerträglich, bis sie endlich überzeugend genug sind).  Es gibt jedoch eine  einfache Alternative, dass sie schon wieder abwegig klingt: Das Netz kann sich gegenseitig vorlesen.

Podreading / Audiosharing / Readsharing

Nennen wir das Ganze einfach “Podreading” – in Anlehnung ans Podcasting (oder doch “Audiosharing”? oder Readsharing? Was meint Ihr?). Man nimmt sich einen Text oder Artikel (die Urheberrechtsdebatte vertagen wir auf später und gehen zunächst von entsprechend frei lizensierten Texten aus), spricht ihn in ein Mikro und veröffentlicht die Aufnahme online. Nicht den eigenen Text – das kann man natürlch auch gern tun – nein, einen fremden. Das ist technisch mittlerweile recht einfach: Mit iPhone/Android, evtl. dem mitgelieferten Headset, der Soundcloud– oder Auhponic-App kriegt man schon einfach Ergebnisse hin, ohne das Mobiltelefon auch nur aus der Hand zu legen. Zeitfaktor: Mit etwas Übung 30 Minuten für einen Text.

Hören wir uns drei Beispiele an…

Jens Best liest Sasche Lobo

Als Sascha Lobo vor kurzem einen seiner “Das-Internet-macht-keinen-Spaß-mehr”-Artikel in der gedruckten FAZ platzierte, griff Jens Best zum Mikro und las den Text unvorbereitet vor:

Jens liest Sascha: Die Digitale Kränkung des Menschen by jensbest

Jürgen Geuter liest Constanze Kurz

Jürgen Geuter hat sich auf meine Bitte ein Interview mit Constanze Kurz vorgenommen (was ob der besetzten Diskursenden von Geuter und Kurz eine lustige  Konnotation hatte):

Wir sind Abhängige by Jürgen Geuter

Caspar Clemens Mierau liest Jürgen Geuter

… und ich nehme Jürgen Geuters neue Kolumne “connected” zum Anlass, selbst einmal auszuprobieren, wie schnell das mit dem Vorlesen und Veröffentlichen klappt:

Das Digitale schmeckt zu MINTy by leitmedium

(Fazit: Man hört mich atmen, Zischlaute, die Pausen sind zu lang, aber hey: Für den ersten Versuch doch auch nicht schlecht)

Allen Beispiel ist gemein: Sie sind technisch alles andere als perfekt, sie sind nicht professionell vorgetragen. Und dennoch bieten sie für interessierte Hörer einen Mehrwert.

Warum?

Warum also sollte man Artikel vorlesen und anderen zugänglich machen?  Es ist vor allem eines: einfach und zugleich wirkungsvoll. Manchmal möchte ich gern etwas zum Diskurs im Netz beisteuern, fühle mich aber weder in der Lage, einen Artikel zu verfassen, noch habe ich Zeit für eine aufwändige Podcast-Aufnahme. Die Zugänglichmachung von Texten durch Vorlesen ist eine noch unterschätzte digitale Kulturtechnik. Mit “zugänglich” meine ich hier nicht barrierefrei, denn erstens ist eine Datei auf Soundcloud wahrscheinlich noch nicht als barrierefrei zu bezeichnen und es gibt natürlich etliche Screenreader-Apps, die den Nutzer nicht abhängig machen vom guten Willen anderer.

Das Vorlesen kann aber eine Lücke füllen. Mir fällt es manchmal schwer, komplexere Texte am Rechner zu lesen und ich würde es gern auf die Bahnfahrt verschieben – dort aber eben akustisch. Oder man geht einer Tätigkeit nach, könnte  zuhören, aber nicht lesen. Das Vorlesen von Texten kann sowohl das zeitlich asynchrone Teilnehmen am Diskurs ermöglichen, als auch die zeitlich nahe Teilnahme an laufenden Diskursen. Durch eine weitere

Zudem empfinde ich persönlich das Vorlesen als eine interessante Form des “flattrns” im Sinne der Bekundung, dass man einen Artikel zumindest für relevant genug hält, ihn auf diese Art  hervorzuheben.

Skrupel?

Irgendwer kann immer besser Vorlesen und Aufzeichnen. Machen muss man es letztlich selber. Und ein nicht perfekt aufgzeichneter Text ist besser als keine Aufnahme. Wirklich.

 [Update]

Marcus Richter hat das offensichtliche getan und diesen Blog-Post eingesprochen. Schön, ihn mit professioneller Stimme und Equipment zu hören. (Danke!)

Ich habe noch einen weiteren Blog-Post eingesprochen: “Warum ich meine Emails nicht verschlüssele”, von Hans Hübner:

Warum ich meine Emails nicht verschlüssele by leitmedium

Quellenangabe:

Foto “Vorlesen II” von Jens-Olaf Walter, veröffentlicht unter CC-BY-NC 2.0 (nachbearbeitet).

  • Gilt das Recht auf Remix auch für unsere Texte? Über das Vorlesen von Blog-Artikeln – the tricky parts
  • Anonymität im wissenschaftlichen Diskurs am Beispiel von »Münkler-Watch«
  • »You should know better« – wie ich mich per Browser-Plugin vor Autoren warnen lasse

Filed Under: Allgemein

Comments

  1. Jens Best says

    26. Mai 2014 at 22:09

    Anekdote und Hinweis:

    Ich las den Text, weil ich parallel mit @PickiHH abends noch versuchte, eine FAS-Ausgabe zu kaufen. Ich bekam noch eine in Berlin, Picki in HH keine. Deswegen beschlossen wir via Twitter, dass ich den Artikel per Chat vorlese. Dies schrieb Picki auf Facebook, worauf andere sagten, dass sie auch zuhören wollten, u.a. Peter Kabel. Damit Nachzügler es auch hören konnten, gab’s die Aufnahme dazu.

    Einige Tage später traf ich einige Redakteure der FAZ zu einem anderen Anlass. Sie konnten es sich nicht verkneifen, mir mitzuteilen, dass dies natürlich eine fragwürdige, aber dann doch ausnahmsweise geduldete Nummer war, denn schliesslich werfen auch eingespielte Lesungen von Texten Urheberrechtsfragen auf. #seufz

    Aber es hat riesigen Spass gemacht und ich werde es wieder tun. 🙂

  2. Jens Best says

    26. Mai 2014 at 22:21

    Ich darf bei der Gelegenheit noch meine Vertonung des Handelsblatt-Artikels des CDU-Hinterbänkerls Ansgar Heveling empfehlen.
    Der Artikel ist Wort für Wort so, wie ich ihn vorlese, zum Start der Printmedien-Kampagne gegen das Netz (LSR, UrhR etc.) im Januar 2012 veröffentlicht worden.

    Ich habe versucht der Tonalität des Artikels durch akustische Vortragsformen aus deutschen Geschichte gerecht zu werden, also quasi eine Soundversion von Godwin’s Law.

    -> https://soundcloud.com/jensbest/ansgar-heveling-perspektiven

  3. monoxyd says

    26. Mai 2014 at 22:58

    Ich habe das offensichtliche getan und mal deinen Artikel eingelesen.

  4. asaaki says

    27. Mai 2014 at 8:04

    Wie wäre es noch mit dem Wort Readcast?

    Ich habe übrigens so etwas vor Jahren einmal gemacht, leider nur nie weiter verfolgt: asaaki liest manniac, sogar mit Musik im Hintergrund, die viel zu laut ist.

  5. junaimnetz2013 says

    27. Mai 2014 at 8:35

    Die Audiobeispiele gefallen mir allesamt sehr gut. Einen gewissen Vorteil sehe ich hier in den tieferen, männlichen Stimmen. Wenn ich etwas einlese, klingt es nach einer Weile piepsig.
    Aber das wollte ich gar nicht schreiben. Ich wollte auf die Barrierefreiheit eingehen. In meinem Umfeld häufen sich die Augenleiden – Elterngeneration, Vorgesetzte. Seitdem das Lesen sie anstrengt und sie es mehr und mehr meiden müssen, bietet sich das Vorlesen sowohl eigener als auch fremder Texte via Podcasting an. Ich sehe darin durchaus einen signifikanten Zugewinn in Richtung Barrierefreiheit. Zumal die Technik die menschliche Intonation (noch) nicht 100%ig hinbekommt.

    Also, unterstützenswerter Vorschlag. Freue mich darauf, mir in Zukunft mehr Artikel vorlesen lassen zu können, und werde mich auch mal daran probieren. 🙂

Trackbacks

  1. ExExEx #027 – Artikel vorlesen | monoxyd sagt:
    26. Mai 2014 um 22:56

    […] Caspar (Blog, Twitter, Die Wahrheit #022) hat eine sehr interessante Idee: […]

  2. Gilt das Recht auf Remix auch für unsere Texte? Über das Vorlesen von Blog-Artikeln – the tricky parts sagt:
    30. Mai 2014 um 16:34

    […] meinen letzten Artikel zum Vorlesen von Blog-Artikeln gab es ein erfreulich breites Echo. Prinzipiell scheint es viele dankbare Hörer und potentielle […]

  3. brew0195 | dailycoffeebreak.de sagt:
    1. August 2014 um 9:08

    […] Warum wir uns fremde Texte vorlesen sollten (mit Audiobeispielen von Jens Best, Jürgen Geuter und m… […]

  4. Mal was anderes: Avoce | die Hörsuppe sagt:
    1. August 2014 um 13:44

    […] geht um eine Idee von Caspar, dervor geraumer Zeit vorschlug, man solle doch mal Blogposts vorlesen. Das machte dann in Folge der Marcus Richter, spülte mir […]