Für eine Recherche brauchte ich ein Facebook Fakeprofil. Die sind eigentlich untersagt und offiziell überprüft Facebook verdächtige Profile. Doch zur Überraschung stellte ich fest: Offenbar mit verbundenen Augen
Ich solle doch bitte meinen Ausweis hochladen, heißt es plötzlich nach dem Login auf Facebook. Man wolle die Echtheit meines Profils überprüfen. „Jetzt haben sie mich endgültig erwischt“, denke ich. Dabei lief es trotz einiger Hürden bisher ganz gut mit meinem Facebook-Fakeprofil. Doch beginnen wir am Anfang: Ende letzten Jahres beschloss ich, eine „Undercover”-Recherche zu Social Bots und gekauften Likes. Die Nachrichtenseiten überschlugen sich nach Trumps Sieg zu diesen Themen, doch so richtig handfest wirkte nichts. Alles war theoretisch, irgendwelche Wissenschaftler wurden zitiert, aber sich mal die Hände schmutzig machen wollte niemand. Namentlich wollte ich das auch nicht, aber mir mal ansehen, wie da eigentlich in digitalen Sweatshops „echte Likes“ gekauft werden: Warum nicht? Ein Facebook-Fakeprofil musste her. Doch wie bekommt man eigentlich in möglichst kurzer Zeit ein glaubhaftes Profil zusammen?
Technische Vorbereitungen
Um nicht durcheinander zu kommen, lade ich mir einen weiteren Browser für meine Recherche runter: Opera. Ja, den gibt es noch immer. Ich überlege, ob ich mit einem VPN arbeiten sollte, damit Facebook nicht mitbekommt, dass mein neues Alter Ego und ich immer dieselbe IP-Adresse haben. Dazu bin ich dann aber doch zu faul und ein bisschen paranoid ist es ja auch. Sollen sie halt denken, er sei mein WG-Mitbewohner, mit dem ich den Netzzugang teile.
Sich ein Profil ausdenken
Ich brauche ein Profilfoto, ein Geburtsdatum und einen Namen. Da man am besten lügt, wenn man nur halb lügt, bekommt mein Profil meinen zweiten Vornamen, den Nachnamen eines Bekannten und das Geburtsdatum als Zahlendreher meines Eigenen. Das lässt sich im Zweifelsfall auf Nachfrage schnell wieder herleiten. Um keine Copyrightverstöße zu begehen, wähle ich ein (zugegeben attraktives) Porträt-Foto eines jungen Mannes von der lizenzfreien Plattform Pixabay. Ich verfremde es ein wenig – schwarz-weiß statt Farbe und ein Ausschnitt statt der Gesamtansicht – um es etwas hochwertiger aussehen lassen.
Doch wie finde ich eigentlich Freunde, überlege ich. Ich erinnere mich daran, dass Facebook einen teilweise zu Tode nervt mit Vorschlägen, mit wem man bekannt sein könnte. Darunter sind oft Personen, die zum Beispiel dieselbe Universität oder Schule besucht haben. Da ich selbst Medienkultur studiert habe, suche ich mir ein Medienwissenschaft-Studium in Potsdam aus. So kann ich ggfs. inhaltlichem Smalltalk standhalten. Als Schule wähle ich mein Gymnasium – nur durch das verschobene Geburtsdatum passt der Jahrgang nicht mehr.
Wollen wir Freunde sein?
Und da ist es, das Fakeprofil. Unbenutzt, leer und keine Freunde. Ein wenig schrecke ich davor zurück, einfach Personen zu befreunden und wüsste auch nicht, welche. Ich google rum nach Tipps wie man Facebook-Freunde bekommt und finde Hinweise auf Gruppen zum Schließen von Freundschaften. Ich trete lokalen „Freunde Finden” Gruppen bei und versuche, eine etwas krampfhaft wirkende Selbstvorstellung:
Ein paar Likes, ein paar Kommentare, erste Direktnachrichten und Freundschaftsanfragen. So läuft das auf Facebook? Ich beantworte die Anfragen vor allem junger Frauen nur sehr knapp, da ich nicht unfair flirty sein möchte. Erstaunt erzähle ich meiner Frau, wie einfach es war, erste Facebook-Freundschaften zu schließen. Sie erkundigt sich verdächtig detailliert, ob nun von Frauen oder Männern. Ich muss zugeben, vor allem von Frauen. Sie wirft einen Blick auf mein Alter-Ego-Profilbild, sieht mich kurz an und kommentiert trocken “Nun ja…”. Ich denke, das soll heißen, dass es mit einem Foto von mir wohl etwas länger gedauert hätte. Geschenkt.
Auch wenn es ein paar neue FreundInnen gibt, brauche ich vielleicht 200, um echt zu wirken. Das Vorstellen in „Freunde Finden” Gruppen funktioniert zwar, ist aber mühselig und dauert. Ich beschließe, etwas dreister zu werden und selber Freundschaftsanfragen zu verschicken. Eigentlich kann ich mir nicht vorstellen, dass das funktioniert. Persönlich frage ich bei Freundschaftsanfragen zumindest nach, wenn ich die Person nicht kenne – einfach, weil es mich nervt, zu vielen Personen im Facebook-Stream zu folgen.
Alumni-Suche
Über mein ausgedachtes Studium und meinen zeitlich verschobenen Schulbesuch klicke ich wahllos ein paar Personen an und verschicke Freundschaftsanfragen. Es ist mir unangenehm. Ich identifiziere mich ein wenig mit meinem Alter Ego und schäme mich, so aufdringlich um Freundschaft betteln zu müssen. Schnell klappe ich den Laptop zu und gehe schlafen. Als wäre etwas weniger peinlich, wenn man es nicht sieht.
Am nächsten Morgen die Überraschung. Gerechnet hatte ich mit Ignorieren meiner Anfragen oder etwas pampiger Erkundigungen, wer ich denn sei. Stattdessen haben alle Personen der Verbindung zugestimmt. Ich bin etwas irritiert und werde mutiger. Nachdem ich endlich mehrere Personen aus dem Umfeld einer Uni habe, schlägt mir Facebook von sich aus neue FreundInnen vor, mit denen ich bereits gemeinsame Bekannte hätte. Ich klicke fleißig durch und verschicke Anfragen. Innerhalb weniger Tage sammle ich durch sich immer mehr verstärkende “Ihr habt x gemeinsame Freunde”-Zahlen mehr als 200 FreundInnen. Das war einfacher als gedacht.
Die meisten schweigen, doch einige chatten mich an. Ein Uwe freut sich über meine Anfrage und fragt, ob ich nicht sein Autorenprofil liken könne. Kai sagt einfach nur „Hallo wie gehts”. Sein Profilfoto zeigt ihn vor seiner Schrankwand sitzend, während der Röhrenfernseher läuft. Holger grüßt mich aus Göttingen. Ruprecht verweist mich für weitere Informationen über sich auf seine Homepage. Nadine stellt sich als Fitness-Coach vor und fragt, ob wir nicht gemeinsam neue Ziele erreichen wollen. Dann überlegt sie es sich und fragt, ob ich nicht in ihrem Team etwas dazuverdienen wolle. Eine Kristen chattet mich auf Englisch an, doch dann verschwindet der Text und Facebook notiert, „Diese Nachricht wurde vorübergehend entfernt, da das Konto des Senders überprüft werden muss“. Ha, denke ich. Aufgeflogen, die Kristen.
Facebook wird misstrauisch
Doch Übermut kommt vor dem Fall. Wenige Tage später kann ich mich nicht mehr bei Facebook einloggen. Die Sicherheit meines Kontos sei in Gefahr und ich solle meine Identität bestätigen. Ob es daran liegt, dass ich zwischendurch mein Kennwort verlegt hatte oder meine sonstigen Aktivitäten verdächtig wirken, weiß ich nicht. Jedenfalls muss ich schmunzeln, als Facebook mir zur Identitätsüberprüfung anbietet, mir Fotos meiner Freunde zu zeigen, damit ich sie korrekt identifiziere. Ich kenne keine einzige dieser Personen, nehme aber die Challenge an.
Von fünf Personen solle ich mindestens drei richtig erkennen. Pro Person bekomme ich drei Profilbilder und jeweils sieben Namen präsentiert. So richtig gut funktioniert das nicht, denn manche Paare scheinen mal abwechselnd sich gemeinsam oder die jeweils andere Person hochzuladen, weswegen ich für manche Personen Bilder von Frauen und Männern sehe. Aber dennoch: Durch Ausschlussverfahren und eine schnelle Google-Reverse-Image-Suche kann ich drei der fünf Personen identifizieren und Facebook lässt mich wieder für eine Weile in Ruhe. Denke ich.
Mein Facebook-Profil wird mittlerweile nahezu unerträglich. Der Newsstream überschlägt sich an Dingen, die mich bestenfalls nicht interessieren oder auf die Palme bringen. Hässliche, zusammengeschusterte Grafiken zu politischen Pseudofakten, dumme fremdenfeindliche Gedanken und die AfD hält auch ihre Fahne rein. Oft wird die „Filter-Bubble“ gescholten. Ich lerne sie hier wieder schätzen und erinnere mich an Juliane Leopolds Experiment, jede Freundschaftsanfrage anzunehmen (Hätte ich das früher gewusst!).
Facebook macht ernst
Bis ich eines Tages mein Profil aufrufe und Facebook mich auffordert, meinen Personalausweis hochzuladen. Verdammt. Ich rufe in einer befreundeten Redaktion an und erkundige mich, wie weit man eigentlich journalistisch gehen dürfe.
So ein Fakeausweis ist ja schnell zusammengephotoshoppt – aber er ist ein amtliches Dokument. Nein, das könne man nicht machen, heißt es. Ich solle mir etwas anderes überlegen. In einer langen Dokumentation bietet Facebook auch an, alternativ mehrere Rechnungen und ähnliche Dokumente hochzuladen. Die könnte man ja auch faken und dann wäre es immerhin keine Ausweisfälschung. Aber es geht mir dennoch zu weit. Ich entscheide mich, einfach ehrlich zu sein und lade einfach eine PDF mit meinen eigenen Personalausweis hoch:
… oder doch nicht.
Der Personalausweis ist bereits vor einem Jahr abgelaufen und zeigt meinen richtigen Namen, mein richtiges Geburtsdatum und ein ziemlich abgerissenes Foto von mir – das kaum verschiedener vom aktuellen Facebook-Profil sein könnte. Ich rechne damit, dass Facebook mich zumindest ermahnen wird und mich zwingt, Namen und Foto meines Profils zu aktualisieren bzw. meine beiden Profilen zu vereinen. Aber nein, es kommt schlimmer. Und besser:
Facebook entschuldigt sich für die ungerechtfertigte Sperrung! Wie genau wurde denn da bitte hingesehen? Mit zugehaltenen Augen? Ich freue mich zwar, wieder Zugriff auf das Profil zu haben, um meine eigentliche Recherche noch abschließen zu können. Aber zugleich frage ich mich: Warum wird da überhaupt so getan, als prüfe man etwas, wenn das Ergebnis völliges Versagen ist? Offenbar reicht es, einfach irgend einen Ausweis hochzuladen und drauf zu hoffen, dass er nur zur Kenntnis genommen aber nicht geprüft wird.
Ich muss an die vielen Meldungen denken, bei denen Facebook-PrüferInnen z.B. Gewaltdrohungen als Nicht-Verstöße durchgehen ließen und Stillfotos als anrüchig sperrten. Es scheint ein großes Problem bei Facebook zu bleiben, dass sie zwar Mechanismen zur Überprüfung von Inhalten und Profilen haben, damit aber schlicht überfordert sind und schlampen. Auch wenn es paradox klingt: Ein besseres Gefühl hätte es bei mir hinterlassen, wenn mein Facebook Fakeprofil als solches erkannt und mich gezwungen hätte, es zu schließen, einen korrekten Namen einzutragen oder mit meinem richtigen Profilen zusammenzuführen. Statt dessen wirkt es umso hilfloser, wenn zwar eine Ausweisüberprüfung erzwungen, bei dieser aber völlig versagt wird. Es ist nur ein Beispiel für das kontinuierliche Problem Facebooks, Inhalte korrekt zu überprüfen. Wenn man nicht mal in der Lage ist, einen Personalausweis zu prüfen, gruselt es mich dann doch vor dem anstehenden Netzwerkdurchsetzungsgesetz.
Ihr könnt diesem Blog auch auf Facebook, mir auf Twitter und meinem Eltern-Blog folgen.
Solange es kein Postident-Verfahren oder ähnliches braucht, sollte man sich keine Hoffnung machen, dass die Leute bei Facebook “echt” sind. Ich kenne wenigstens ein Dutzend Leute, die mit richtigem Bild und falschen Namen oder … sagen wir Namensfragmenten unterwegs sind …
Wie hat mir einer der Youngster gesagt: Auf Facebook mit dem echten Namen? Wir sind doch nicht bescheuert.
“Für eine Recherche brauchte ich ein Facebook Fakeprofil.” Hä?? Recherche zu DIESEM Artikel oder …?
Ich habe auch ein Fake-Profil auf Facebook. Das habe ich mir vor Jahren angelegt, als ich ein dämliches FB Browser Game gespielt habe, in dem man nur gut voran kommen konnte, wenn man mehrere Freunde hatte, die das auch gespielt haben. Da ich weder meine echten Freunde mit blöden Anfragen nerven wollte, noch lauter Fremde als Freunde adden, habe ich damals einfach ein andere Profil mit einem komplett erfundenen Namen erstellt. Für die ganzen Spiele gibt es extra Gruppen, in denen man Gleichgesinnte findet, die sich einfach alle gegenseitig adden. Obwohl ich das Profil schon lange nicht mehr nutze, habe ich dort noch über 500 “Freunde”, die mir auch regelmäßig zu meinem Fake-Geburtstag gratulieren.
Wie unkritisch andere User mit Freundschaftsanfragen umgehen, fiel mir auch ein paar Jahre später noch mal auf. Eine Freundin von mir hatte Interesse an einem Bekannten und wollte herausfinden, ob er vergeben ist. Darum bat sie mich, ihn mit meinem Fake Profil zu stalken. Ich wollte ihm also eine Freundschaftsanfrage stellen, aber um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass er sie annimmt, versucht ich mich erst mit etlichen seiner Freunde zu connecten. Von denen nahmen über 50% die völlig anonyme Anfrage an, ohne Nachricht oder Rückfragen. Nachdem wir mehr als 10 gemeinsame Freunde hatten, sagte auch das Love Interest meiner Freundin sofort ja und nach nur 24 Stunden wussten wir, dass er in der Tat eine Freundin hat.
Das Profil musste ich übrigens nie in irgendeiner Form gegenüber Facebook verifizieren.
“Nutze” Facebook seit Jahren mit Fake Namen und bis jetzt immer gut gelaufen. 😉 Gebe doch nicht echten an.