Am Freitag hat Jung&Naiv einen Grimme Online Award gewonnen. Herzlichen Glückwunsch! Schon lange wollte ich hier ein paar Zeilen diesem außerordentlichen Format widmen und reiche daher meine Gedanken hiermit nach.
1. Niemand sieht Jung & Naiv
Es lässt sich drüber streiten, ob man Reichweite als Kriterium für den Erfolg eines Youtube-Formates nimmt. Ich tue es. Ich tue es in diesem Fall, denn Jung&Naiv behauptet, Politik für Desinteressierte vermitteln zu wollen. Da steckt der Anspruch drin, es einer breiteren Zielgruppe zugänglich zu machen. Sieht man sich die Zahlen an, weist der Youtube-Kanal knapp über eine Million Views und zehntausend Abonnenten aus. Beeindruckend, oder? Leider nein.
Die eine Million Views verteilen sich auf knapp dreihundert Videos. Damit hat jedes Video durchschnittlich um die 3500 Views. Auch das ist keine Marginalie. Wir reden hier aber über Youtube. Youtube ist ein Massenmedium, deren erfolgreiche Kanäle mit völlig anderen Größenordnungen aufwarten. Nehmen wir zum Vergleich dieses für das ungeübte Auge wahrscheinlich nicht einfach konsumierbare Video “DIE ERSTE BEZIEHUNG !”, in der Youtuberin Dagi Bee mit ihrem Freund über ihre ersten Beziehungserfahrungen spricht:
https://www.youtube.com/watch?v=8zbqHodmrJI
Das Video hat über sechshunderttausend Aufrufe. Ein Video. Und man kann frei behaupten: Jung und naiv ist es auch. Wie auch so einige andere Videos von Dagi Bee, deren Kanal mit ca. halb so viel Videos wie Jung&Naiv über 55 Millionen Views aufweisen. Von anderen Youtubern, wie dem für seine markigen politischen Statements bekannten LeFloid (ca. 190 Millionen Views mit 280 Videos – und dieses Jahr mit einem Grimme Online Publikumspreis versehen), will ich gar nicht reden. Denn eigentlich soll es ja darum nicht gehen: Um die Masse, wie beim gern gedissten Fernsehen, oder doch? Ich sage: Doch, darum geht es. Jung & Naiv ist seit langem bei 100 Folgen und damit dem Neulings-Status entwachsen . Es behauptet Massen-tauglichkeit durch jung und naive Machart und trifft schlicht keinen Nerv. Es gibt keine Entwicklung in den Zahlen, die zeigt, dass es ein zunehmendes Interesse am Format gibt. Das liegt einerseits daran, dass Jung&Naiv kein wirkliches Youtube-Format ist, das spielerisch mit dem neuen medialen Dispositiv umgeht. Youtube ist kein Fernsehen und wird auch keines sein (Es ist online, aber zentralisiert, es kann viral sein, es hat eine Kommentarfunktion, man kann Beiträge bewerten. Es ist eben Youtube.) Andererseits scheint der Zuschauer selbst für die Macher eher nebensächlich zu sein.
2. Der Zuschauer ist nicht interessant
Tilo Jung scheint selbst am Zuschauer desinteressiert zu sein. Schon sein Crowdfunding für die Eu-Tour von Jung&Naiv war kurz vor einem Desaster, da es quasi in letzter Minute von Google gerettet werden musste. Woran das lag? Vielleicht an einer unmotivierten Crowdfunding-Selbstvorstellung: Ein runtergeschrieber Textbrocken und zusammengeschnittenes Sendungsmaterial. Obwohl Jung&Naiv sich als Youtube-Format präsentieren möchte, sah man es nicht für nötig an, den Zuschauer ernsthaft persönlich anzusprechen. Stattdessen wartete man mit einer Fülle an Statements von Politikern auf, die in die Kamera sprachen, wie wichtig sie es finden, dass Politiker in eine Kamera sprechen. Es ist so, als würde man Musiker fragen, ob sie denn gerne auftreten würden.
Der Tagesspiegel schreib zu Jung&Naiv einmal wahrscheinlich ungewollt treffend:
Obwohl er oft unvorbereitet wirkt, zeigen Politiker und Interviewpartner ungeahntes Interesse.
Die feine Nuance an diesem Zitat ist: Politiker, Interviewpartner und Medienmacher scheinen auch die einzigen ernsthaften Interessenten zu sein. Jung & Naiv revolutioniert nicht den Journalismus auf Youtube, wie der selbe Artikel behauptet, es ist ein Intranetformat für Medienmacher und Politiker. Am Zuschauer und seiner Meinung ist Jung auch nicht weiter interessiert. Im ebenso schleppend verlaufenen Crowdfunding für die Krautreporter sagte er im Interview:
Und am Ende des Berichts steht dann meistens: ‘Und, was denken Sie darüber?’. Was für mich überhaupt nichts mit Journalismus zu tun hat. Es ist scheißegal, was irgendein Mensch über irgendeine Story denkt. Der Journalist, der diese Story gemacht hat, der muss wissen, dass es relevant ist.
Es ist durchaus berechtigt, eine gewisse Distanz zu Kommentaren zu wahren. Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen einem distanzierten Umgang mit Feedback, der nicht automatisch die Arbeit diktieren soll und einer generellen Bereitschaftt, das Publikum ,für das man letztlich produziert, mitzudenken und zu hören. Ein Journalismus, der im Elfenbein schreibt , ist eine romantische Vorstellung, aber auch eine herablassende. Somit fasst das Jung-Zitat das grundlegende Problem von Jung & Naiv zusammen: Es ist ein Format, dass sich selbst genügt. Das kann man machen, aber ist es dann eine Revolution des Journalismus? Nein. Es eine Produktion vorbei am Zuschauer, der dieses eben auch quittiert – die Zahlen sprechen für sich. Und es ist das Gegenteil eines Netz-Formates. Es ist die Wiederholung eines klassischen Fernsehmodells. Eine Konterrevolution.
3. Das Problem mit den Frauen
Und dann ist da noch dieses Problem mit Frauen, dass sich durch Jungs Arbeiten zieht. Da gab es gerade erst einen nicht unerheblichen Aufreger über den geringen Anteil von Journalistinnen bei den Krautreportern (für das Jung natürlich nicht allein verantwortlich ist). Im Blog log man noch etwas rum, dass man es “versäumt” habe und Besserung gelobe, bis jemand einen Monate alten Post von Jung ausgrub, der ein ganz anderes Bild zeigte:
Die geringe Beteiligung von Frauen dürfte für Jung kein unbekanntes Thema sein: Schon im Oktober letzten Jahres schrieb MissCharles über “Die Wiegold-Quote oder: Geschlechterverhältnisse bei Jung&Naiv“:
Also, Tilo, lad doch mal mehr Frauen ein! Ich kann ja noch verstehen, dass Du in Deinen Anfängen schauen musstest, wen Du vor die Kamera bekommst. Aber mittlerweile wollen doch sicher eine Menge Leute – außer Wolfgang Thierse – gerne bei Jung&Naiv mitmachen. Oder nicht?
Aber auch sonst ist das Verhältnis von Jung zu Frauen eher spannungsreich, wie sein Jung&Naiv-Vorläuferformat “Penisdialoge” zeigt. In elf Folgen diskutiert Jung mit Daniel Bröckerhoff über Sex. Eine erfrische Idee. Leider sind die Inhalte alles andere als erfrischend: Es zeigt sich eine zutiefst konservative Debatte zweier Männer über das Befriedigungs-Objekt Frau. Im besten Fall tut sie ihren Dienst, im Schlimmsten Fall handelt es sich um so eklige Themen wie Mütter:
Bröckerhoff: Was ist denn Dein Problem mit Müttern, bitte?
Jung: So… Also… untenrum
Bröckerhoff: Untenrum? Ja, was ist das Problem? Du denkst, da ist was rausgekommen… ?
Jung: (lacht) … Ja… also… das denkt man nicht… Manchmal siehst Du’s und manchmal siehst Du es nicht. Oder?
Ich würde es ja gern als Jugendsünde abtun – leider sind die Penisdialoge nicht einmal zwei Jahre alt. Ich habe selten solch herablassende Kommentare so unverhofft vermittelt bekommen.
Jung & Naiv ist die Konterrevolution auf Youtube
Fasst man es zusammen, ist Jung & Naiv nicht die Revolution des Journalismus auf Youtube, es ist vielmehr die Konterrevolution der jungen Videoformate. Jung bringt den am Zuschauer desinteressierten Journalisten auf die Videoplattform und erntet damit natürlich den Applaus einiger Journalisten-Kollegen, die auch lieber ohne Leser schreiben würden. Für diese ist Youtube als Bewegtbild-Format befremdlich. Jungs Adaption eines Broadcast-Formats ganz im Stile des Zuschauer-fernen Fernsehens hingegen nicht. Statt sich an die auf Youtube vertretene Millionen-Zielgruppe zu wenden, sendet das Format an Friends&Family. 3500 Zuschauer pro Folge, das bildet wohl ganz gut die “Netzgemeinde” ab. Ob die Kooperation mit “joiz” einen nachhaltigen Effekt haben wird – man darf es bezweifeln.
Aber all das soll niemanden davon abhalten, Jung & Naiv zu prämieren. Vielleicht ist das Neue am Format eben der Mut zum Rückschritt. Weg vom Zuschauer, weg von der Masse, zurück in den geschützten Bereich des Selbstzwecks. Wenigstens laufen sei Jung & Naiv keine neuen Penisdialoge. Dafür allein hat es einen Preis verdient.
Bildnachweis: “Highland Theatre” von miss mass, lizensiert unter CC-BY-NC (bearbeitet).
[Edit: Ein Hinweis auf den Artikel über die “Wiegold-Quote” von MissCharlez wurde noch eingefügt]
Vielen Dank für diesen überaus erfrischenden Text über “Rückschritt im Zeitalter des Crowdfunding”. Ich habe schon die Nominierung nicht ganz verstanden, dass dieses öde und hohle Format den Preis auch noch bekommt, zeigt vielleicht, wie schlecht die Jury über modernes Internet informiert ist.
Irgendwie lassen sich alle vorgebrachten Kritikpunkte auch auf dieses Blog anwenden. Ist das hier jetzt die konservative Konterrevolution?
Endlich sagt es mal einer. Übrigens könnte man bei der Reichweite noch mehr über den elektrischen Reporter (@sixtus) meckern. Dessen Reichweite ist an zu erahnenden Kosten lächerlich.
In der Tat ist die Reichweite von @sixtus SO gering, dass es sich wahrscheinlich nichtmal lohnt, darüber auch nur ein Wort zu verlieren. ^_^
Zum größten Teil muss ich zustimmen. Besonders treffend finde ich das Krautfinden bei Krautreporter, wo ich mich bis heute frage Warum dafür jemand gespendet hat? An und für sich ist Krautreporter nur eine weitere “ziemlich teure” Plattform von, wie ich als Journalismus Student finde, freien Journalisten die Angst davor haben Arbeitsloß zu werden und dafür dann 900.000 Euro brauchen. Meine Frage bei dieser “unsumme” an Geldeinheiten ist die Frage nach dem Verwendungszweck. Als Beispiel: Letztes Semester haben eine Mitstudenten und ich ein online Magazin auf die Beine gestellt. Kostenpunkt jährlich: 60 Euro Hostinggebühren.
Zum Anschauen: http://www.poltec-magazin.de
Aber ich warte nun erstmal ab und sehe wie sich das alles weiterentwickelt und wofür die 900.000 Euro (dafür will ich was mega Crossmediales und noch nie dagewesenes sehen) ausgegeben werden.
Ein Online-Magazin, dessen Kosten nur aus Hostinggebühren bestehen? Fallen die Inhalte von Bäumen…?
Welche “Inhalte”?
Über die Verwendung des Geldes spricht KR Chef Sebastian Esser hier ausführlich:
http://www.kuechenstud.io/medienradio/podcast/mr070-krautreporter/
Das ein angehender Journalist bei den Kosten solch eines Projektes alleinig an Hostingkosten denkt, macht mich etwas traurig.
Finde ich gar nicht so. Es ist doch zumindest sehr lobenswert, wenn sich mal jemand die Zeit nicht, ausführlich mit Bild und Ton Menschen zu interviewen. Auch vollem Menschen die oft von den Massenmedien nicht gehört werden. Wir brauchen mehr politische Aufklärung und dazu trägt auch J&N bei. In einer Zeit wo tagesschau24 ohne Ende Sendezeit verplappert um immer wieder die gleichen unwichtigen Meldungen zu wiederholen, oder wo Meldungen einfach weggelassen werden, sind und werden diese Formate immer wichtiger.
Schöner Beitrag; spricht mir in vielerlei Hinsicht aus der Seele. Gegen die Preise und Lobeshymnen habe ich aber nichts einzuwenden, denn es bleibt ein enorm gut produziertes Format, das sich traut neue Pfade zu betreten (#Neulandwitz hoffentlich abgewendet). Nicht allen Ansprüchen zu genügen ist nicht das Gleiche wie Scheitern.
Trotzdem empfinde ich Jung&Naiv auch eher als lediglich relevant für eine ganz bestimmte (bereits informierte) Filterblase. Die begeisterte Haltung der meisten Interviewten war es für mich aber, die mir die ganze Lust an den (sorry,oft viel zu langen) Videos genommen hat – für mich war das zu weit von kritischer Interviewführung entfernt.
Vielleicht ist aber gerade die Nische tatsächlich das Erfolgsmodell vom online-Journalismus der Zukunft und wenn’s auch nur das Prinzip der Selbstähnlichkeit ist. Man darf nicht vergessen, dass “dummer Junge isst schärfstes Chilli der Welt” ein deutscher youtube-hit ist – da hätte ich auch keinen Bock, der Masse gefallen zu wollen…
… das wird Tilo Jung aber nicht gefallen. Er St doch der wichtigste überhaupt. Und jetzt sagt ihm jemand, dass er nicht relevant ist und hat damit auch noch Recht?
Schöne Zusammenfassung! Ich finde dieses Format entsetzlich langweilig – es erinnert mich an diese Pseudo-Computerspiele, die wichtige Themen pädagogisch-unterhaltsam vermitteln sollen – alle applaudieren, die Zielgruppe aber interessiert das alles nicht.
Aber wie du schreibst: Vielleicht ist die vorgegaukelte Zielgruppe nicht die wirkliche Zielgruppe, vielleicht besteht von Anfang an die Zielgruppe aus jenen, die applaudieren, Preise und Aufträge verteilen.
die penisdialoge scheinen gelöscht worden zu sein. konnte nur noch einen finden. auf der hauptseite sind sie nicht mehr
tatsächlich tim, freue ich mich wirklich darüber, dass du hier deine meinung zu jung & naiv mit uns teilst. auf dem letzten congress warst du selbst bei jung & naiv zu gast. in diesem gespräch herrschte eine gewisse antipathie.
bevor ich deinen artikel gelesen habe, dachte ich noch, es ging dir um kritik an tilo’s format. du kritisierst aber auch den macher. auf die person gehe ich nicht weiter ein, tilo interessiert mich nicht. daher beziehe ich mich auf deine kritik zum format.
zu 1)
die vergleiche von jung & naiv mit kanälen von beziehungs-videos eines jungen paares und dem von lefloid, passt nicht. das ist wie äpfel und birnen.
natürlich gehen hier die zahlen so stark auseinander. aus demselben grund, warum bei “nur die liebe zählt” mehr leute einschalten als bei den tagesthemen. oder warum “bravo” einen höheren absatz hat als der “stern”.
ich kenne kein anderes politisches (!) format, bei dem sich der betrachter in die rolle des moderators hineinversetzen kann, ohne sich schämen zu müssen. denn die fragen die tilo stellt, die könnte jeder stellen. das ist der punkt. das ändert aber nichts an dem genre. für dieses interessieren sich nunmal wenig menschen. weil sie es im allgemeinen nicht verstehen oder weil es zu komplex, intransperent ist. darum lesen auch mehr menschen die “bild” als sich bei “phönix” die debatten anzusehen.
das format jung & naiv ist in meinen augen nicht dazu geeignet um proportional immer mehr betrachter anzulocken. die zuschauerzahlen bei den tagesthemen bleiben auch im durchschnitt gleich. anders als bei den tagesthemen allerdings, weiß der betrachter des youtube kanals direkt worum es im video geht. nur darum klickt er es ja an. die zuschauerzahl variiert also von video zu video. ukraine? mir egal! drogenpolitik? jawoll!
zu 2)
ich habe das crowdfunding nicht unterstützt, finde es aber gut, dass es dann doch noch finanziert wurde. ich freue mich für diejnigen, die aus seinen dadurch entstanden videos einen nutzen ziehen konnten.
es ist irgendwo ein expriment gewesen. uns werden täglich nachrichten von medien vor die nase gesetzt bzw. gezielt vor die nase gesetzt. wo die herkommen, quellenangaben, welcher journalist hat die info wo her. das fehlt. ich habe noch nie peter klöppel darum gebeten für mich vor ort in afghanistan zu recherchieren. ich habe erwartet, dass er das als journalist macht und mir die ergebnisse liefert. kann ich erwarten, dass er diesen trip alleine zahlt? naja, nicht wirklich, rtl macht das schon.
und so machten es dann über 400 entitites bei tilo auch. das war ja nicht an bedingungen geknüpft. vielleicht ist julian heck einfach nur neidisch auf tilo? in den grundlagen seiner kritik, erlese ich nur emotionen.
dein zitat des tagesspiegels finde ich inhaltslos. der author des zitats, ist halt talk-shows gewöhnt, wo moderatoren ohne kärtchen weinend zusammenbrechen würden.
sobald sich ein politiker irgendwie irgendwo (auch gerne außerhalb des sommerlochs) profilieren kann, wird es machen. ein format, bei dem es um einfache fragen geht und nicht um aggressive debatten die nur das ziel haben rhetorisch zu diffarmieren, kommt gut an. kann ich nachvollziehen.
deiner these der konterrevolution folge ich bedingt. zumindest sehe ich keinen offenbarungseid darin zu fragen, ‘Und, was denken Sie darüber?’, sondern eher eine anregung zur reflexion. gerne auch nicht alleine.
genauso ist es mit deinem artikel. du stellst die obige frage zwar nicht, aktivierst aber die kommentarfunktion. du überlässt es also dem leser, sich diese frage selbst zu stellen.
beste grüße,
thomas
Hier handelt es sich offenbar um eine Verwechslung: Ich bin nicht Tim Pritlove.
ah ok, tim hatte diesen link auf adn gepostet. dann ist das intro bitte zu überspringen.
Ich finde den Kommentar sehr treffend. Selbst ich hab bereits das eine oder andere YouTube Video hoch geladen, das mittlerweile mehr klicks hat als die meisten Jung&Naiv Videos.
Die Videos sind zu “Hartcore”, um tatsächlich Politik für Desinteressierte vermitteln zu können. Einige Interviews bei Jung&Naiv dauern ein-zwei Stunden, was eindeutig zu lang ist oder sind noch nicht einmal auf deutscher verfügbar. Da sind selbst Phönix-Sendungen zugänglicher.
Möchte mich gar nicht inhaltlich auf die Diskussion um Jung&Naiv beziehen, aber eines stört mich an Deinem Post, @leitmedium, doch ganz gewaltig:
Ich bin ein interessierter Beobachter, der ein wenig von außen auf das versammelte Podcasteriat und Bloggeriat, welches ich mal grob als den Teil der community bezeichnen möchte, der als gemeinsamen Nenner hat, dass er sich regelmäßig auf den großen Kongressen wie CCC und re:publica trifft, schaut (sorry für die Hypotaxenflut).
Ich bezeichne mich als Beobachter von außen, da ich selber keinen persönlichen Kontakt zu dieser Szene habe und zwar immer wieder einzelne podcasts mit großem Interesse verfolge, aber keinen systematischen Zugang z.B. per RSS-Abo pflege und auch in den einschlägigen Blogs nur punktuell Beiträge lese und so gut wie nie kommentiere. Ich nutze kein twitter und bin so gut wie nie auf facebook, so dass ich auch kein klassisches Mitglied irgendeiner filter bubble bin.
Trotz meiner mangelnden Systematik schätze ich viele Personen und Beiträge der re-publikären Podcasterszene durchaus und höre gerne ihren Konversationen zu (und ärgere mich dann oft, dass ich nicht selber daneben sitze und auch meinen Senf zum Thema abgeben kann). Es tummeln sich dort intelligente und reflektierte Menschen, die interessante Dinge zu interessanten Themen zu sagen haben.
ABER: Seit einiger Zeit (gefühlt vier Monate, halbes Jahr, so die Ecke) greift bei wirklich vielen Themen eine immer nerviger und penetranter werdene political correctness beim Thema Gender, Frauen und Gleichberechtigung um sich. Warum muss es nur so sein, dass plötzlich kein geschriebener oder gesprochener Beitrag zu irgendeinem beliebigen Thema nicht mehr ohne eine stellenweise wirklich ermüdende und höchst repititive Diskussion der “Frauenproblematik” auskommt?!?
Dein Text hier, @leitmedium, ist nur das jüngeste Beispiel. Erst vor drei Tagen, als ich begann mal wieder meinen podcast-stack abzuarbeiten, kam der WMR podcast Nr. 83 irgendwann auf die Krautreporter zu sprechen und steuerte dann ziemlich zügig und zielsicher auf das Problem “oh, es gibt hier nur 6 Frauen aber 23 Männer” zu sprechen. Man kann das kritisch erwähnen – ok, aber eine Auseinandersetzung über die inhaltliche Qualität eines Themas so deutlich wie in diesem podcast geschehen entlang formaler Kriterien zu führen, wird in der Regel (und so auch hier) dem Diskussionsobjekt schlicht nicht gerecht. Dasselbe fiel mir dann gestern beim Hören der (vor-)letzten Wikigeeksfolge auf, in der sich die Diskutanten (mit rühmlicher Ausnahme von Claudia, die sich um eine inhaltliche Auseinandersetzung bemühte, danke dafür!) beim Thema Krautreporter sofort und mit einem enervierenden Empörungspotenzial auf das Thema Frauenquote zu sprechen kamen.
Und heute lese ich es bei Dir auch. Was soll das? Was um alles in der Welt sagt der Anteil von Frauen bei den Krautreportern oder unter den Interviewpartnern von Jung&Naiv oder in DAX-Unternehmen oder sonstwo über die _inhaltliche_ Qualität dieser Unternehmungen aus? Wenn ich gemein wäre und zu Zuspitzungen neigen würde, würde ich sagen, dass Ihr zwar alle für Euch in Anspruch nehmt, ach so modern und aufgeklärt zu sein, aber phänomenologisch in Eurer erstarrter und reflexhafter political correctness wie eine Truppe erzkonservativer Fundamentalisten daherkommt.
Nicht falsch verstehen, mich interessieren die Krautreporter nicht und auch Jung&Naiv sehe ich eher leidenschaftslos, ich habe da keine Hunde im Rennen. Das Diskussionsthema könnte auch irgendein völlig anderes sein, mir geht es lediglich um diese m.E. oft sehr einseitige und reflexhafte (und übrigens auch sehr vorhersagbare) Diskussion so vieler an sich spannender Themen durch die Genderbrille. Das muss doch nicht sein.
Was mich momentan noch so aufregt, ist das Ausmaß des unglaublichen Hasses, der momentan kübelweise via Twitter während der WM Spiele über den ARD und ZDF Fußballkommentatoren ausgeschüttet wird (Bela Rethy allen voran), aber das ist ein anderes Thema…
Dies war ein rant. Aber es musste raus. Nichts für ungut.
Alexander
Es würde sich lohnen, sich einmal darüber zu informieren, was der Grimme-Preis ist und will. Dort geht es von vornherein nicht um die Reichweite, sondern um die Qualität.
Hi @Leitmedium.
Ich finde Deinen Text gut und richtig. Die Kritik am “Hype” um Jung & Naiv ist berechtigt. Ich finde aber auch Tilo Jungs Format gut, auch wenn ich es nicht abonniert habe.
Trotzdem glaube ich, dass Tilo auch nicht schädlich ist. Und selbst wenn er nur ein paar hundert oder nur ein paar tausend Leute erreicht, ist es noch okay.
Langfristig müssen sich seine Geldgeber die Frage stellen, ob ihnen diese Reichweite ausreicht.
Ich weiß allerdings aus eigener Arbeit bei Du Hast Die Macht, dass es wirklich noch sehr viele, sehr viel müdere Formate gibt, politische Themen an junge Menschen zu vermitteln! Auch bei uns, und auch wir haben den Preis schon bekommen… 😉
Die Gegenfrage, die ich ohne Groll oder Bosheit stellen möchte: Wen hättest Du den Preis denn gegeben? Gibt es erfolgreichere Formate, die in dieser Zielgruppe (unpolitische Jugendliche erreichen) besser sind? Also jenseits von Le Floid?
Die meisten YouTuber sind leider suuuuper apolitisch. Politik ist nämlich extrem unsexy, außerhalb unserer Medien- & Politikinteressierten Bubble. Politik ist sogar so unsexy, dass viele YouTuber Angst haben, sie auch nur im Nebensatz zu Politik zu äußern, weil sie Angst haben, Teile Ihrer Beauty oder Fitnett oder sonstwas-Community zu verärgern.
Ich suche zurzeit extrem nach Formaten, die Politik an junge Menschen vermitteln kann, ohne Oberlehrerhaft zu sein und ohne ätzend langweilig zu sein. Tilo ist kein Durchbruch, aber auch kein totaler Missverfolg. Er hat ein Konzept, das er gut durchzieht.
Die viel spannendere Frage, die ich wirklich aber interessieren würde ist: Wie kann man es besser machen? Das Format starte ich mit Dir sofort 😉
LG, Sebastian
Ich bin weder jung noch naiv. Das war ich mal und bin heilfroh, dass das hinter mir liegt.
Dass man jung ist, dafür kann man ja nix. Verstehen kann ich aber nicht, dass jemand stolz drauf ist, doof, sorry: naiv zu sein und das auch noch rausposaunt. Wie ich obigem Beispiel (“Penisgespäch”) entnehme, ist das nicht mal ironisch gemeint.
Mir ist das Format und die Machart von j&n sehr sympathisch. Jung hat regelmäßig die “richtigen” bzw. interessante Leute vor dem Mikro.
Leider wird hin- und wieder entgegen der Idee des Formates gehandelt.
Für Interviews, die in Englisch gehalten wurden, gibt es keine Deutschen Untertitel. Besonders jung und naiv sollte man daher nicht mehr sein.
Ich glaube Jung meinte damit folgendes:
Was der Zuschauer denkt (welche Meinung er hat) ist irrelevant. Die ändert eh nichts.
Welche FRAGEN er hat, berücksichtigt er aber, die will er wissen.
Und da er sich ja als Journalist versteht ist er natürlich mehr an den Antworten der Interviewten interessiert als an den “Antworten” (Meinungen) der Zuschauer.
Und er hat ja selbst betont, dass die richtigen FRAGEN gestellt werden müssen.
Also kurzum, ich glaube du hast aufgrund einer gewissen Abneigung gegen den Herren (die ich nicht bewerten kann und will) da nicht genau genug differenziert.
Dass die Reichweite so gering ist… ist schade. Aber flache “Inhalte” sprechen die Massen halt schon immer mehr an. Traurig, aber anscheinend wahr.