Leitmedium

Es gibt kein analoges Leben im digitalen.

Caspar C. Mierau arbeitet als technischer Berater und denkt als Medienwissenschaftler, der zur Computergeschichte promoviert, über die Geschichte und Gegenwart von Technologie nach. Er schreibt und podcastet an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, Technik und Kultur. Notiert kurze Gedanken auf Mastodon. Hat "Leitmedium" ganz offiziell als Künstlername im Ausweis stehen.

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Über »Totholzmedien«

10. März 2013 by leitmedium

Totholzmedien. Immer wieder lese ich diesen Begriff und jedes mal stört er mich. Ich will kurz erklären, warum.

»Totholzmedien« bezeichnet vor allem in Blogs und auf Twitter klassische Papier-basierte Medien wie Zeitungen und Bücher. Einen guten Eindruck erhält man im exemplarisch herausgepickten Blog-Artikel »Totholzfantasien von Matthias Horx«:

Natürlich geht es bei Artikeln in der Springerpresse nicht um sauberes Denken. Das wäre dort eher fehl am Platze. Es geht um Demagogie. Allerdings ist das, die wesentliche Aufgabe aller deutschen Totholzmedien und ihrer Ableger im Netz. Das diese Art von demagogischen “Journalisten” oder vielleicht besser Journalismus vortäuschenden Demagogen Angst haben, ist in letzter Zeit andauernd zu beobachten.

Der Begriff degradiert diese Medien durch eine doppelte Spitze: Er unterstellt einerseits das (sinnlose) Töten von Bäumen und betont zugleich den Anachronismus von Papier. Es ist ein Kampfbegriff, der genutzt wird, um pauschal das (Massen-)Medium bedrucktes Papier und dessen Produzenten und Inhalte zu diskreditieren.


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Es ist ein guter Begriff, das sei zugegeben. Das Doppelspiel von “tot” (alt) und “totem Holz” (sinnlos) ist selbsterklärend. »Totholzmedien« transportiert einen ganzen Diskurs komprimiert in einem Wort. Und dennoch lässt er sich leicht dekonstruieren, wenn man die von ihm unterstellte Kritik auf den Begriff selbst anwendet.

Zur Materialität

Wenn die ökologische Vergleich eröffnet wird, mag zwar immernoch pedantisch wirken, zu fragen, ob Nicht-Totholzmedien ohne gefällte Bäume besser dastehen, aber wir wollen es kurz anreißen. Man müsste den Energie-Footprint eines Blogs, eBooks oder gar Tweets bestimmen. Dabei geht es nicht nur um den Stromverbrauch für den Lesevorgang. Die anteilige Herstellung der beteiligten Rechner, Nutzung von Netz-Infrastruktur und der Long-Tail wie der Abbau seltener Erden trägt einiges zusammen. Nimmt man als vereinfachtes Beispiel den Energieverbrauch einer Suchabfrage, kommt ein durchschnittlicher Nutzer laut Google auf 180 Wattstunden pro Monat:

Den Energieverbrauch eines typischen Nutzers im Monat setzt Google mit demjenigen gleich, den eine 60-Watt-Glühbirne bei dreistündiger Brenndauer benötigt. Eine durchschnittliche Google-Suche verbrauche 0,3 Wattstunden, gab der Suchmaschinenriese bekannt. Bei der von Google geschätzten Zahl von mehr als einer Milliarde Suchanfragen pro Tag, tragen diese mit 12,5 Millionen Watt zum Energieverbrauch bei.

Ich werde mich jetzt nicht um Kopf und Kragen schreiben und felsenfest behaupten, Bücher seien aus ökologischer Perspektive elektronischen Publikationen vorzuziehen. Ich gebe nur zu Bedenken, dass das technologische Verbund zur Rezeption und Verteilung elektronischer Texte gern als gegeben angenommen wird. Dabei handelt es sich auch hier auch letztlich um ein Gefüge aus Artefakten, die in ihrer Gesamtheit eine nicht unerhebliche Menge an Energie konsumieren.

Zur Sippenhaft

Doch genug der Spitzfindigkeiten. Mein eigentlicher Vorwurf ist die Sippenhaft des Begriffs. »Totholzmedien« reduziert ein Medium auf dessen Materialität und zieht zugleich jegliche Existenzberechtigung in Frage. Als würde der Druck eines elektronischen Textes diesen plötzlich zu »Lügen der Systempresse« machen. Dabei bin ich als Medienwissenschaftler durchaus Freund von Betrachtungen über die Materialität von Medien und der letzte, der sich einem “The Medium is the Message” pauschal verweigert. Wenn papierbasierte Medien aber als Dispositiv Inhalte vorstrukturieren, dann ist das Resultat sicher nicht ein Berg anachronistischer Lügen. Das wäre schon insofern verwunderlich, als viele Blogger ihre Themen letztlich in Büchern bündeln oder in den letzten Jahren verstärkt in Zeitungen zu Wort kommen. Wie nennt man diese Chimäre? Holzbloguntoter?

Ich finde die Kritik gut, aber warum immer gleich ein Buch? Hasst ihr die Bäume so sehr? Sie spenden uns doch Schatten an sonnigen Tagen.

— Anatol Stefanowitsch (@astefanowitsch) March 8, 2013

Zugleich macht der Begriff einen Fehler, der gerade in Blogs den Printmedien unterstellt wird: Pauschalisierung und Verflachung. Gern kreidet man der Presse eine Verflachung des Diskurses an, wenn es um Netz-bezogene Themen geht. Sicher nicht ganz zu Unrecht. Man fühlt sich nicht ernst genommen. Doch wenn wir diese Medien pauschal als Totholzmedien bezeichnen, subsummieren wir damit jedes gedruckte Wort. Das ist unfair und zugleich verhindert es einen Austausch.

Man könnte sogar Derridas Kritik an Platons Phaidros wiederholen: Im Phaidros, einem Dialog Platons, wird Schriftkritik geübt. Der oralen Kultur wird hinterhergejammert, die Schriftkultur verurteilt. Derrida dekonstruiert den Text unter anderem durch den Hinweis, dass Phaidros selbst ein Schriftstück ist und nur als solches funktioniert. Es ist analytisches, logozentrisches Denken in Text. Beim Begriff »Totholzmedien« dreht sich die zeitliche Achse: Das neue Medium kritisiert das alte. Der Vorwurf aber kann wiederholt werden: Man vergisst, dass die eigene Diskursform zutiefst vom Kritisierten durchdrungen ist. Analysieren, Zitieren und Verlinken sind über Jahrhunderte auf Papier erarbeitete Kulturtechniken. Man muss davor nicht erfürchtig auf die Knie fallen. Es vereinfacht als unnötige Altlast zu bezeichnen, wird der Angelegenheit aber auch nicht gerecht.

Filed Under: Medien

Comments

  1. Katja says

    22. März 2013 at 14:16

    Tolle Gedanken und Fakten! Es ist nicht nur der Energieverbrauch bei der Nutzung, sondern vor allem die umweltschädliche Herstellung der Geräte, die das, was der Begriff suggeriert und im Gegensatz die “saubere” Technik bewerben will, ad absurdum führt. Es ist gut, sich das ab und an vor Augen zu führen …

Trackbacks

  1. Buchgedanken und ein Comic-Tipp zum Welttag des Buches | Kleinerdrei sagt:
    23. April 2013 um 14:07

    […] sind wir doch mit den als “Totholz” geschmähten Papierbüchern auf der sicheren Seite: die können wir einfach tauschen, leihen, […]