Alles fing an mit einem kleinen Holzbrett, dass mir @fraumierau zu meinem 36. Geburtstag schenkte. “Gutschein für etwas ewig Eingeritztes” stand darauf neben einem eingebrannten Roboter.
Ich brauche einen kurzen Moment, um zu verstehen, dass ich ein Tattoo geschenkt bekommen hatte. Uff. Seit einiger Zeit scherzte ich mit @fraumierau darüber, meinen Faible für depressive Roboter zu verewigen. Nun also das konkrete Angebot. Ich gehöre ja eher zu der Sorte Menschen, die sich zwischen Vorsicht und leichter Tendenz zum Kontrollzwang bewegen. Da ist so ein Schritt so ziemlich das Unvorstellbarste im Bereich des Möglichen. Challenge accepted!
Warum depressive Roboter? Als ich Ende 1990er Jahre nach dem Abitur auf der Sinnsuche war und überlegte, was ich studieren soll, las ich in einer gedruckten Ausgabe der Telepolis folgenden Satz:
An dem Tag, an dem der Computer seufzt, wird die Künstliche Intelligenz erwachsen geworden sein.
Dieser Satz veränderte mein Leben. Ich hatte nie zuvor solche Worte über Technologie gelesen. Beim Blättern im Heft fiel mir auf, dass viele Autoren Medien-bezogene Studiengänge besucht hatten. Ich bewarb mich an der Bauhaus-Universität Weimar für “Medienkultur”, was mein weiteres Leben entscheidend prägte.
Zurück zum Tattoo. Ich bekam einen Termin im Berliner Studio Blut und Eisen, wo man Monate vorher reservieren muss. @fraumierau hatte sich dort vor Jahren ein wirklich bezauberndes Tattoo stechen lassen, das ich noch heute verliebt ansehe: Eine wunderschöne, wie mit Bleistift gezeichnete, Lilie rankt an ihrem Körper.
Doch welches konkrete Motiv? Vor einiger Zeit hatte ich dieses Bild eines Tattoos mit dem depressiven Roboter Marvin aus “The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy” gesehen und war ziemlich angetan:
(Quelle)
Und nun begann das “Was will ich eigentlich haben?”-Spiel. Mit dem Druck der Ewigkeit gehen die Gedanken los. Mein größtes Problem mit einem Tattoo am Arm war, dass mir unklar war, wie rum man sich dies eigentlich stechen lässt. So, dass man es selbst richtig herum sieht oder so, dass andere es richtig sehen? Ist das Bild für mich oder für andere? Eine generelle Antwort gibt es wohl nicht, aber die meisten scheinen sich Bilder so auf die Unterarme tätowieren zu lassen, dass sie die Bilder “vorzeigen” können. Ich hatte aber keine Lust, jeden Tag einen auf dem Kopf stehenden Roboter zu sehen. Zudem gibt es ein Marvin-Zitat, das für mich zur Figur dringend dazugehört. Etwas abgewandelt lautet es in etwa: “I talked to the computer. It hates me”. Der Satz überspitzt noch einmal die fühlende Maschine: Ein depressiver Roboter spricht mit einem ihn hassenden Computer. Der Tag, an dem der Computer seufzte.
Irgendwie hatte ich keine richtige Ahnung, wie man sich auf einen Tattoo-Termin konkret vorbereitet, also versuchte ich, es irgendwie planbar machen: Ich habe mir Motiv und Schrift ausgedruckt und in verschiedenen Größen auf den Arm geklebt. Und zwar so, dass ich Roboter und Schriftzug lesen kann:
Und nochmal in größer:
Der Tattoo-Termin kam und ich war das erste Mal seit Jahren wieder aufgeregt wie vor einer Schulprüfung. Dabei hatte ich die Fotos meines beklebten Arms und Kopien von Motiv und Schrift in ungefähr gewünschter Größe bei mir. Die Tätowiererin überraschte mich damit, zu klassischem Durchschlagpapier zu greifen, dass sie nach der Vorlage auf einem Kopierer vorbereite. Wir brachten das Motiv mehrfach an und ich lernte etwas darüber, dass die geometrische Mitte eines Körperteils nicht zwangsläufig die optisch beste Mitte ist. Mir wurde erklärt, wo sich Haut beim Bewegen wie verschiebt und es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich mich wirklich ernsthaft mit meiner Haut und ihren Eigenschaften befasste:
Befragt nach dem Schmerz kann ich jetzt antworten: Für mich fühlte es sich an, wie ein gerade erloschenes Streichholz, dessen noch leicht glühenden Kopf man langsam über die Haut zieht. Zwei Stunden lang. Es war weniger schlimm als erwartet, aber auch nicht so, dass ich jetzt Freudensprünge gemacht habe.
Das Tätowieren selbst ist eine ziemliche Schweinerei. Farbe läuft rum, die Haut wird eingefettet, Blut tritt hervor. Besonders beeindruckend war dies bei den Augen, die eigentlich grün sein sollten, aus denen sich das Grün jedoch sofort in dunkles Blut-Rot verwandelte.
Während des Tätowierens war mir etwas unangenehm, dass ich ständig freundlich auf das Motiv angesprochen wurde und jeder dachte, ich wäre ein Fan des Films. Das ist gar nicht der Fall. Er ist okay. Ich liebe nur depressive Roboter. Marvin ist eben ganz weit vorn auf der Liste. (Letztes Jahr kamen übrigens die zwar nicht depressiven aber sehr unterhaltsamen Roboter aus Interstellar dazu).
Nach zwei Stunden und einigen Experimenten mit dem Grün für die Augen war es vorbei. Das Motiv wurde in Folie eingepackt und ich konnte nach Hause fahren. Neben einer schriftlichen Pflegeanleitung erhielt ich nochmal die Hinweise: regelmäßig sanft Waschen. Eincremen erst nach zwei, drei Tagen oder bei Bedarf. Geduld haben.
Tag 1 danach: Versorgen
Am nächsten Morgen die Folie ablösen und ein wenig erschrocken die Schmiererei bestaunen:
Vorsichtig Abtupfen:
Und mit warmem Wasser waschen. Der “Rot-Stich” kommt durch die Rötung der Haut:
Ab Tag 2: Nicht Googlen!
Es begannen zwei Wochen des Abheilens, die durchzogen sind von panischen Recherchen, was man tun sollte und was nicht und dem Gefühl, sich den Arm am liebsten abkratzen zu wollen, weil es sehr unangenehm juckt. Das im Nachhinein lustigste ist der Glaubenskrieg darum, ob man Bepanthen-Salben verwenden sollte oder nicht. Es ist oft in pseudowissenschaftlichem Ton in “Inker-Foren” zu lesen, dass Bepanthen ja “Entzündungen rausziehe” und daher natürlich auch “Farben rausziehen” würde. Oookay. Leider ist man anscheinend kurz nach dem Stechen herrlich anfällig für Tipps jeder Art und hat nach dem ersten Eincremen das Gefühl, sich jetzt die Haut für den Rest des Lebens ruiniert zu haben. Lesson Learned: Abwarten und Tee trinken. @fraumierau hatte den guten Tipp, es einfach mit Calendula-Öl einzureiben und das war in der Tat sehr angenehm, linderte die Beschwerden und schmierte nicht so wie Creme.
Abheilen
Über die Tage sieht man den verschiedenen Heilungsstufen zu. Schorf bildet sich und geht wieder ab, wie man hier an der Schrift sieht:
Haut bildet sich neu. Es ist eben einfach eine Verletzung:
Nach zwei Wochen. Es muss noch weiter abheilen. Die Schrift bewegt sich durch die Drehungen des Armes – je nach Haltung ist sie gerade oder fließend:
Nachstechen
Es wird noch zwei, drei Wochen dauern, bis es richtig abgeheilt ist. Dann muss noch einmal etwas nachgestochen werden (die Augen sind zum Beispiel nicht grün genug). Ansonsten: fertig! Mein depressiver Roboter begleitet mich jetzt tagtäglich und sieht mir beim Arbeiten am Computer zu.
Reaktionen
Die Reaktionen deckten die ganze Palette von “Was?” bis “Wow!” ab. Ich merke, dass es mir recht egal ist, denn: Ein depressiver Roboter ist eben ein depressiver Roboter. Was kann einen da noch erschüttern – oder gar aufheitern? Don’t talk to me about life.
https://www.youtube.com/watch?v=9JubaAS1v-w
p.s.: Ich habe vergessen, zu erwähnen, wie ich am ersten Abend panisch meinen Pullover auszog und das Tattoo kontrollierte, weil ich plötzlich Angst hatte, es hätte sich ein Tippfehler eingeschlichen.
Hey das Tattoo ist super ich mag Marvin auch sehr gern! 🙂
Ich finde die Stelle auch sehr gut und die Gedanken “wie rum lass ichs stechen” kenn ich ebenfalls. Mein neuestes Tattoo ist ca. 3 Wochen alt und ich kann das also grad alles gut nachempfinden!
Aber ich finde letztlich lohnt sich das alles für das schöne Ergebnis. Viel Freude damit!
LG niqui
Ein sehr schöner Bericht, danke dafür! Das Motiv gefällt mir persönlich auch gut.
Ich persönlich habe für Tatoos ja gar nichts übrig, aber diese Idee finde ich dann doch ganz nett. Marvin hat uns Nerds doch angesprochen 😉
Sorry, aber in der 2. Zeile fehlt ein Komma.
Danke für diesen tollen Artikel! Ich bin auch gerade am Überlegen, mir was stechen zu lassen. Ich hab noch keine festen Ideen für Motive, aber ich weiß schon, was ich mit ihnen verbinde. Dein Artikel gibt einen guten Einblick in die Welt der Tattoos 🙂
Ich hoffe, du hast weiterhin viel Freude mit deinem!