Leitmedium

Es gibt kein analoges Leben im digitalen.

Caspar C. Mierau arbeitet als technischer Berater und denkt als Medienwissenschaftler, der zur Computergeschichte promoviert, über die Geschichte und Gegenwart von Technologie nach. Er schreibt und podcastet an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, Technik und Kultur. Notiert kurze Gedanken auf Mastodon. Hat "Leitmedium" ganz offiziell als Künstlername im Ausweis stehen.

Über | Links | Impressum

Powered by Genesis

Der FoeBuD, der Stammtisch und das Niveau

3. Juli 2012 by leitmedium

Auf der diesjährigen SIGINT war ich recht gespannt auf einen Vortrag über »Social Swarm«. Das FoeBuD-Projekt sucht nach einer dezentralen Alternative zu sozialen Netzen wie Facebook. Im Gegensatz zum von mir bereits besprochenen Diaspora will man nicht auf eine einzelne Software-Implementation setzen, sondern offene, standardisierte Schnittstellen schaffen, um über Plattform-Grenzen hinweg kommunizieren zu können.

Auch wenn ich bei der genaueren Projekt-Beschreibung bereits theoretische und praktische Probleme sehe und das letztlich zugrunde liegende Paradigma für falsch halte, finde ich den Ansatz interessant. Leider war der von padeluun und Leena gehaltene Vortrag wie ein Brett vor den Kopf. Ich saß fassungslos in einem vollen Vortragsraum und musste statt eines fundierten Vortrags über Social Swarm – darum ging es nur einen Bruchteil der Zeit – einer nicht enden wollenden Tirade über Facebook, Mark Zuckerberg, Peter Thiel und das Universum zuhören.

Dabei, das sei vorab klargestellt, ist ein Vortrag als orale und damit oft spontane Präsentationsform durchaus ein Rahmen, in dem verbale Ausrutscher passieren können. Ein hastig formulierter Satz, eine schlechte Pointe – das passiert im Eifer des Gefechts und sollte nicht skandalisiert werden. Wenn jedoch Ekel und Abscheu zum Souffleur werden und statt eines argumentativen Vortrags nur beleidigende Thesen ohne Hintergrund präsentiert werden, gibt es ganz offenbar ein strukturelles Problem.

Dieses könnte man ignorieren, den Saal verlassen und sich anderen Themen zuwenden. Wenn jedoch wichtige Vertreter (Rena Tangens war auch anwesend) eines viel geachteten Vereins vortragen, liegt der Fall anders: Der FoeBuD wurde bereits mit der Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichnet, padeluun ist Mitglied der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft im Bundestag ist. Doch genau von padeluun gingen die völlig unreflektierten Bemerkungen aus und ich hatte das Gefühl, dass Leena, die ich von anderen Panels als eher bedachte Rednerin kenne, sich mitreißen ließ.

Lange Rede, kurzer Sinn. Nachdem die SIGINT-Vorträge nun online sind, konnte ich ein paar markante Stellen notieren. Nach dem Lesen bestätigte sich meine Erinnerung:

Über Facebook

Es geht hier nicht um Facebook. […] Es geht auch um andere soziale Netze […] Wir nehmen das Beispiel Facebook, weil es einfach so wunderschön eklig ist. Wenn man da die Hände reintaucht, auch nur ein bisschen, hat man sofort Scheiße dran.

Über Mark Zuckerberg

Ich weiß ja nicht, ob man hier Arschloch sagen darf – in dem Raum. Immer, wenn ich den Namen »Zuckerberg« höre, habe ich so ein Arschloch-Gefühl und ich stehe jetzt mal dazu. […] Wenn ich schon einen König über mir habe, soll es ein guter König sein und nicht so ein Arsch.

Über Peter Thiel (Investor und Finanzer bei Facebook)

“Freiheit ist mit Demokratie nicht vereinbar”, sagt Peter Thiel. Es ist unglaublich. Das ist ein Faschist. […] Wahrscheinlich will er Freiheit für sich und Demokratie braucht er dann nicht, weil er auf alles scheißen kann. Angenommen, Peter Thiel möchte amerikanischer Präsident werden, um dann später die UNO zu übernehmen und Afghanistan komplett auszuradieren und was ihm so einfällt. Oder die Hälfte der Weltbevölkerung zu vernichten.

Über das Nicht-Lesen

Ich hab es mir nicht angeschaut. Wahrscheinlich ist es eh nur Verarsche. Oder hat sich jemand mit dieser »Wir wählen unseren Datenschutz selbst« bei Facebook beschäftigt? […] Keiner? Okay, das finde ich schon mal sehr gut. Dann können wir weiter auf Facebook einfach rumbashen und behaupten: Das ist eh nur Marketing, das die machen.

Was lernt man aus diesen Zitaten? Betrachtet man es nicht als Ausrutscher, und das tue ich nicht, begibt der FoeBuD sich auf Stammtisch-Niveau. Es fällt schwer, hier überhaupt noch zu diskutieren. In Text-basierten Diskussionsplattformen würde man solche Äußerungen schlicht als Trollerei abtun, nicht jedoch als Aussagen eines Vereins, der mit Aktionen wie den jährlichen Big-Brother-Awards ein großes Medienecho findet. Mit dieser Prestige geht auch eine Verantwortung einher.

Mit diesem Verhalten werden Ressentiments bestärkt, Vorurteile gepflegt, Menschen persönlich beleidigt und Hunderte Millionen Nutzer verunglimpft. Damit kann man vielleicht einen Stammtisch-Abend füllen, aber nicht ernsthaft netzpolitische Ziele verfolgen. Zur Erinnerung: Der FoeBuD verfolgt laut seiner Satzung die Förderung von Wissenschaft, Forschung, Kultur, Volksbildung und Völkerverständigung. Faktisch wird hier das Gegenteil von Wissenschaft, Bildung und Verständigung gefördert. Es ist dringend notwendig, dass die Parolen abgelegt werden und man wieder auf einem Niveau diskutiert, das die Bezeichnung »Niveau« auch verdient. Der FoeBuD hat eine wichtige Stellung, seine Vertreter sollten diese in der Öffentlichkeit auch repräsentieren.

Filed Under: Datenschutz, Kritik, Post Privacy, Spackeria, Veranstaltung