Leitmedium

Es gibt kein analoges Leben im digitalen.

Caspar C. Mierau arbeitet als technischer Berater und denkt als Medienwissenschaftler, der zur Computergeschichte promoviert, über die Geschichte und Gegenwart von Technologie nach. Er schreibt und podcastet an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, Technik und Kultur. Notiert kurze Gedanken auf Mastodon. Hat "Leitmedium" ganz offiziell als Künstlername im Ausweis stehen.

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Das Verschwinden der Homepages (Kulturgeschichte des Webs)

21. Oktober 2007 by leitmedium

Olia Lialina schreibt in der Telepolis (übersetzt durch Tobias Leingruber) über “Das Verschwinden der Homepages“. Ein Gedanke, mit dem ich mich erst kürzlich auseinandersetzen musste, doch dazu weiter unten mehr.

Lialina stellt das Verschwinden der Gartenzwerg-ähnlichen Heimwerker-Bereiche im Internet mit ihren ewigen Hinweisen auf die Arbeit am Objekt “(Seite wird erweitert”) fest, nicht ohne etwas wehmütig zu klingen, wenn auch eine Trauer abzustreiten. Das besondere Moment, das Lialina an dieser ersten Publikationswelle ausmacht, ist die Beschäftigung mit dem Medium als solches:

Die Menschen, die solche Seiten ins Netz stellten, deren Vorstellungen, was das Web eigentlich ist, wozu man es benutzen kann und wie es auszusehen hat, machten durch ihr Verhalten das Internet zu dem, was es heute ist.
Quelle: Olia Lialina, Das Verschwinden der Homepages, Telepolis.

Diese Thematisierung des Mediums im Medium (Eine durchaus übliche Beobachtung bei der Einführung eines neuen Mediums, wer war nicht versucht, beim seinem ersten Mobil-Telefonat über eben jenes zu sprechen?) weicht einer Normalisierung durch den Alltag:

Diese Beziehung ist vorbei – und das aus gutem Grund. Was für uns in den letzten zehn Jahren ein neues Medium war, ist nun das größte Massenmedium überhaupt. Nichts weiter als ein Massenmedium, das so tief in unseren Alltag vorgedrungen ist, dass wir eigentlich schon gar nicht mehr daran denken. Die Menschen arbeiten damit, haben Spaß oder verwirklichen sich selbst.
Quelle: Olia Lialina, Das Verschwinden der Homepages, Telepolis

Was der Medienzentrierung folgt, ist eine gewisse Ignoranz, ein Desinteresse am technischen Medium, trotz gegenseitiger Bekundungen:

Web 2.0-Propagandisten erzählen uns ununterbrochen, wie mächtig und
vielfältig die heutigen Webamateure endlich sind, wie toll sie tanzen,
Lieder schreiben, enzyklopädische Artikel verfassen, Fotos und Videos
schießen, irgendwelchen Inhalt produzieren und anschließend alles ins
Internet stellen. Dennoch stehen sie dem Web gleichgültig gegenüber.
Quelle: Olia Lialina, Das Verschwinden der Homepages, Telepolis

Nun, “Propagandisten” klingt durchaus tendenziös, doch lässt man es so stehen, bleibt die Gleichgültigkeit. Das Internet ist egal geworden, es ist da, wie Wasser aus der Leitung. Ebenso, wie Leitung aus der Wasser sich kaum als Hobby eignet, weicht die Homepage anderen (Sub-)Medien:

Ich würde sagen, der Begriff “Homepages” ist jedoch ein wenig
übertrieben. Homepages gibt es nicht mehr. Stattdessen gibt es andere
Genres: Benutzerkonten, Profile, Journale, Kanäle, Blogs und
individuell eingerichtete Startseiten.
Quelle: Olia Lialina, Das Verschwinden der Homepages, Telepolis

“There is no homepage” könnte man überspitzt formulieren und irgend etwas ist dran. Es passt zu einer Diskussion, die ich kürzlich in Zusammenhang mit dem “Homepagebaukasten” des Projekts Spinnenwerk geführt. Gemeinsam wurde der “Homepagebaukasten” vor Jahren entwickelt und enthielt kostenfreie Programme, rechtliche Hinweise (Urheberrecht), wie vor allem einen Leitfaden zur Erstellung und Publikation von HTML-basierten Webseiten. Die alte Schule sozusagen. Der auf CD gebrannte Baukasten fand deutschlandweit und international reges Interesse und wurde hunderte Male kostenfrei ausgehändigt oder verschickt.

Nun ist eine grundlegende Überarbeitung des Baukastens in der Arbeit. Die kostenfreien Programme werden durch ausschließlich freie, quelloffene Programme ersetzt. Viel wichtiger aber: Der Kern der CD, der Leitfaden zur Erstellung einer Homepage, wird wohl Leitfäden zum modernen Publizieren im Netz weichen: Wie richte ich ein Weblog ein? Wie benutze ich ein Wiki? Wie erstelle ich einen Podcast? etc… – Was bleibt, werden Hinweise zu HTML und CSS sein, soweit diese notwendig sind.

Das Medium hat sich ausgeblendet. Eine Kulturgeschichte des Webs drängt sich auf. An dieser Stelle lohnt es sich, den Rest von Lialinas Artikel zu lesen, in der sie der Personalisierung des Webs nachgeht.

  • Kulturgeschichte des Akkus?
  • “Der Computer im Film”
  • Ersetzt das Häkchen das Durchstreichen?

Filed Under: Internet, Kommunikation, Kultur, Kulturgeschichte, Medien, Moderne