Leitmedium

Es gibt kein analoges Leben im digitalen.

Caspar C. Mierau arbeitet als technischer Berater und denkt als Medienwissenschaftler, der zur Computergeschichte promoviert, über die Geschichte und Gegenwart von Technologie nach. Er schreibt und podcastet an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, Technik und Kultur. Notiert kurze Gedanken auf Mastodon. Hat "Leitmedium" ganz offiziell als Künstlername im Ausweis stehen.

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Ach, Alexa … Aber Dein Fußboden ist schön bunt.

12. September 2007 by leitmedium

Auf die inneren Werte kommt es ja an. Während das fast beispiellose Gedränge zur heutigen Eröffnung des Einkaufszentrums “Alexa” am Berliner Alexanderplatz die Berichterstattung dominiert (Glasbruch, Polizei, ächtzende Menschenmassen), gerät die eigentlich Sensation in den Hintergrund: die ebenso beispiellose Hässlichkeit des Alexa-Gebäudes. Dabei findet man deutliche Worte in der Welt:

Es ist eines der schlechtesten Gebäude, die in Berlin in den letzten Jahren fertiggestellt wurden: architektonisch unbeholfen, städtebaulich falsch und autistisch. Der starre Blick auf die Wiederherstellung des alten Stadtgrundrisses, der an manchen Berliner Orten angemessen sein mag, hier zeigen sich überdeutlich die Grenzen dieses Konzeptes. Das neue, größte Einkaufszentrum im Ostteil der Stadt ist nichts weiter als ein rosa eingefärbter Betonkoloss parallel zur Stadtbahn.
Quelle: Die Welt

Steht man erst einmal vor diesem nicht zu unrecht mit einem Bunker verglichenen Koloss (in Berlin gibt es mehrere nicht abreißbare Bunker, die zwangsläufig ins Stadtbild integriert werden – man kennt sich also aus), fragt man sich unweigerlich: Warum? Nicht, warum, es so hässlich ist – dass Investorengruppen nicht unbedingt auf Dinge achten, die sich nicht in Cash Flow und Rendite messen lassen, ist weithin bekannt. Nein: Warum darf es da stehen? Warum hat niemand “nein” gesagt? Nein zur Architektur und Nein zur fünfzigsten Einkaufspassage, die überdies das Angebot des bereits üppig ausgestatteten Alexanderplatzes mehr als doppelt. Eine mögliche Antwort ist die kurzsichtige finanzpolitische Planung des Landes Berlin:

Anstatt im Osten der Stadt eine attraktive, feinteilige Einzelhandelsstruktur zu fördern, soll hier offenbar mit ausländischem Kapital die Modernisierung auf einen Schlag gelingen. Der Preis, der dafür zu zahlen ist, ist neben gänzlich unstädtischem Einkaufen und massierten Verkehrsströmen eine gestalterisch dürftig dekorierte, hermetisch abgeschlossene Konsumwelt. Die Rolle der Architekten blieb darauf beschränkt, einen Hochbunker mit Lisenen und Gesimsen zu verkleiden
Quelle: Die Welt

Schnelle Modernisierung, koste es, was es wolle. Und es kostet viel. Man mag es für eine Übertreibung halten, aber es kostet ein Stück der Seele der Stadt. Auch wenn der Alexanderplatz wohl das Hässliche Entlein von Berlin ist, verbindet sich ebenso eine Hassliebe mit diesem Platz. Dies ist jedoch kein Grund für die rücksichtslose Bebauung mit geschmackloser Architektur, die als Geschwür in der Stadtmitte prangert und sich unnachgiebig ins Auge des Betrachters brennt. Keine Chance, zu entkommen: Schweinchenrosa gewinnt.

Warum also hat niemand “Nein” gesagt? Man vermisst ein Machtwort vom Bürgermeister, der zwar sicher nicht entscheidungsbefugt, wohl aber in dieser Hinsicht einflussreich ist. Doch eben jener gibt gerade mal zu, dass es keine Liebe auf den ersten Blick war. Der Handelsverband Berlin-Brandenburg pflichtet bei, wie schön doch der Fußboden sei:

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) drückt sich vorsichtig aus, wenn er sich zur rosaroten Fassade, die nur wenige Öffnungen in den Betonwänden hat, äußert: “Es ist keine Liebe auf den ersten Blick”, sagt er. Innen aber findet er gerade die Großzügigkeit und die Helligkeit der Passagen gut. Und Nils Busch-Petersen, Chef des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg, gefallen die bunten Farben auf dem Fußboden. “Das wird die Kunden begeistern.” Und deshalb sei Alexa eine Bereicherung in der Berliner Centerlandschaft.
Quelle: Berliner Zeitung

Es wird also um den heißen Brei geredet und diplomatisch auf die inneren Werte dieser sinnfreien ShoppingMall verwiesen. Bunte Steine, große Fenster und alles ganz anders. Einkaufen wird verkauft als Erlebnis, Kollateralschäden als nebensächlich abgetan – es dient ja alles einem gutem Zweck. 1000 Arbeitsplätze, Parkplätze und Investoren. Da braucht man auf das Stadtbild nicht zu achten. Es kann sich ja nicht wehren.

Der Architekt wird in diesem Gefüge zum Erfüller, Ingenieur von funktionalem Raum ohne Seele. Entwerfen heißt in diesem Sinne Entwickeln von Gebäuden, die möglichst viele “Gäste” in möglichst kurzer Zeit aufnehmen und durch möglichst viele Geschäfte, “Erlebnis” genannte, durchschleust. Bunker, Playmobil, mehr ist diese Architektur nicht. Der “Architekt” José Quintela wehrt sich wenig standhaft, indem er den Kritikern einfach zusagt, sie sollen sich eben daran gewöhnen:

Dass manche sein Haus als Bunker verspotten, empfindet Architekt José Quintela nicht als Beleidigung. “Wenn keiner darüber redet, wäre es merkwürdig”, sagt er. Alles sei eine Geschmacksfrage, und um Geschmack zu entwickeln, brauche es Zeit.
Quelle: Berliner Zeitung

Doch all dies geht unter in dem Stöhnen der Menschenmasse, dass sich in Schwindsucht durch die Eingangstüren presst und kauft, als gäbe es nicht zweihundert Meter weiter bereits das selbe Angebot. Einkaufen ist nun ein Erlebnis. Autistisch, introvertiert, rücksichtslos. Und irgendwie muss man sich fragen, ob nicht Mitschuld trägt an diesem Debakel. Man hätte “Nein” sagen können, man hätte auch die anderen Passagen meiden können. Es wird nicht die letzte sein. Schweinchenrosa ist jetzt in.

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