Ein wenig stutzt man schon, wenn man den aktuellen Spiegel-Aufmacher sieht: “Preussens wirkliche Gloria. Vor 200 Jahren: Die Erfindung des modernen Staates“. Der moderne Staat wurde also in Preußen erfunden. Na, da können wir ja mal mächtig stolz drauf sein. Nun, vielleicht ja auch wieder nicht ganz, denn modern, das ist laut dem Artikel die moderne Marktgesellschaft zusammen mit ein bisschen Bildungsbürgertum und der Abschaffung des Spießrutenlaufs.
Das liest sich nett in der U-Bahn, doch spätestens beim Verlassen des Bahnhofs drängt sich der Verdacht auf, schon einmal von der Erfindung des modernen Staates gehört zu haben. Nur fand sie damals andernorts statt. Und Tatsache, die Bundeszentrale für politische Bildung führt zur “Geburt des modernen Staates” aus, dass sie sich irgendwo zwischen Aufklärung und Menschenrechten befand, ein paar Jahrhunderte früher und irgendwie auch ein bisschen in Frankreich. Nun könnte man auf dem Wortspiel herumreiten, dass somit die Geburt vor der Erfindung stattfand oder dies als Anstoß für dialektische Possen nutzen, doch die eigentliche Aussage liegt wohl darin, dass modern immer das ist, was man darunter verstehen möchte.
So zieht der Spiegel die Moderne am freien Kapitalismus hoch, während sie andernorts mit Grundrechten und Menschenwürde erklärt wird. Vielleicht legt der Spiegel damit die modernere Interpretation der staatlichen Moderne vor oder es obliegt jedem selbst, welche “Erfindung” oder “Geburt” als das entscheidende Moment ausmachen möchte – sicher nicht ganz unabhängig von der eigenen politischen Überzeugung. “all art has been contemporary” heißt es in einer Neonskulptur von Maurizio Nannucci, die jetzt am an der Fassade des Alten Museums in Berlin prangert. Mit dem Begriff der Moderne, des modernen Staates, sieht es da nicht anders aus. Fragt sich, wann die erste E-Mail oder die Erfindung des klickbaren Webs als Geburt des modernen Staates behauptet wird.