Als Vorbereitung auf den gerade im Kino laufenden Film »Wonka« (2023), der ein Prequel zu »Charlie und die Schokoladenfabrik« ist, haben wir die beiden vorherigen Kinderbuch-Verfilmungen gesehen. Recht bekannt ist die Tim-Burton-Fassung von 2005 mit Jonny Depp. Etwas in Vergessenheit geraten dagen die Version »Willy Wonka und die Schokoladenfabrik« von 1971 mit Gene Wilder. Zu dieser Fassung, die durchaus sehenswert ist, gibt es einiges zu sagen. Da sie in Deutschland gedreht wurde, gibt es viele interessante Drehorte wie dem Gaswerk München Moosach und spannende Requisiten. Überraschend ist jedoch eine Szene, in der ein Siemens 4004 Großrechner eine Rolle spielt.
Ich gehe davon aus, dass der Plot des Films weitgehend bekannt ist, aber zum Verständnis der gleich zu untersuchenden Szene noch einmal die kurze Vorgeschichte: Der Schokoladenfabrik-Besitzer Willy Wonka kündigt überraschend an, dass in fünf Tafeln seiner Schokolade je ein goldenes Ticket versteckt sei, die zum Besuch seiner sonst unzugänglichen Fabrik einladen. Es beginnt ein weltweiter Rausch auf der Suche nach den begehrten Tickets. Neben Kindern, die ihr Taschengeld für Schokoladen ausgeben, setzen auch Firmen auf technologische Maßnahmen zum Auffinden der wertvollen Tickets. In der Verfilmung von 1971 präsentiert dafür ein Techniker, der vor einer Siemens 4004 steht, drei konsterniert aussehenden Business-Herren das zweifelhafte Ergebnis seiner Suche. Dabei kündigt er zunächst das große Ergebnis an, jedoch verweigert der Computer per Lochkartenausgabe stoisch die Kooperation.
Der Dialog mit der Maschine – im englischen Original
Es lohnt sich, den Dialog und seine deutsche Übersetzung genauer zu studieren, denn zwischen den Zeilen finden sich viele Hinweise, die mit einem computer- und medienhistorischen Blick auf die Zeit um 1970 interessant sind. Im englischen Original heißt es:
I think I can safely say that your time and money have been well spent. We are about to witness the greatest miracle of the machine age. Based on the revolutionary computonian law of probability this machine will tell us the precise location of the three remaining golden tickets.
(Entnimmt dem Computer eine frisch ausgegebene Lochkarte)
It says: I won’t tell – that would be cheating.
(Während er die folgenden Worte spricht, drückt er mit Nachdruck mehrere Tasten am Gerät).
I am now telling the computer that if it will tell me the correct answer I will gladly share with it the grand price.
(Entnimmt dem Computer eine frisch ausgegebene Lochkarte)
It says: What would a computer do with a life-time supply of chocolate?
(Während er die folgenden Worte spricht, drückt er aggressiv mit Nachdruck mehrere Tasten am Gerät).
I am now telling the computer exactly what he can do with a lifetime supply of chocolate.
An dieser Szene sind mehrere Details bemerkenswert. Dazu müssen wir uns zunächst den Zeitraum um 1970 vergegenwärtigen: Computer waren noch nicht in Privathaushalte eingezogen. Es war die Zeit der Großrechner. Diese waren für das Publikum in der Regel nur durch Nachrichten, Serien und Kinofilme sichtbar, wobei viele Phantasmen verbreitet wurden. Nicht selten wurden sie zu dieser Zeit noch “Denkmaschinen” genannt und ob ihrer Größe, teils optischen Eleganz und beeindruckenden Rechenkraft überragende Fähigkeiten zugerechnet – zugleich aber wuchs auch die Ehrfurcht oder gar der Widerwille, wie sich in Geschichten wie Frank Herberts SciFi-Roman Dune – der Wüstenplanet zeigt, in dem auf einen geschichtlich vorgelagerten Jihad gegen die Maschinen verwiesen wird.
Zugleich gibt es einen Kampf der Hersteller von Großrechenanlagen. Während IBM bereits weltweit eine vorherrschende Rolle spielt, kämpfen Anbieter wie Siemens um ihren Anteil, zum Beispiel durch hardwarekompatible Geräte zur allgegenwärtigen IBM System/360 wie es die Siemens 4004 eine war. Dieser Kampf war auch einer in und um die Medien und, wenn meine Dissertation fertig ist, werde ich darin auch ein Stück westdeutscher TV-Geschichte aufgreifen, in der sich um 1970 Siemens beschwert, dass in einer westdeutschen öffentlich-rechtlichen Produktion eine IBM-Maschine zentral inszeniert wurde. Umso mehr verwundert es, dass in einer US-amerikanischen Produktion nun eine deutsche Siemens 4004 zu sehen ist.
Die Wurst-essende Maschine in der deutschen Synchronisation
Ein Grund ist sicher Deutschland als Produktionsstandort des Films, wenn es auch sicher nicht schwierig gewesen wäre, für eine Filmproduktion eine IBM-Maschine zu leihen. Aber vielleicht ist auch der stoische Widerwillen der Maschine einer, den man lieber einem deutschen Gerät zuschreibt? Wahrscheinlich passt es zum Klischee des Deutschen im Ausland – der Film liefert da so einige Szenen, wenn zum Beispiel ein übergewichtiges Kind fleischessend aus einem Paulaner-Krug trinkt (wenn ich das richtig erkannt habe). Jedenfalls ist es ein deutscher Großrechner, der hier ganz zentral in Szene gesetzt wird. Dabei wurde er in der deutschen Synchronisation sehr anders charakterisiert. Dieselbe Szene lautet da:
Meine Herren, Sie haben Ihr Geld nicht umsonst investiert. Sie sind im Begriff, heute das größte Wunder des technischen Zeitalters zu erleben. Basierend auf dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit wird uns mein neuer Computer hier mit genauester Ortsbestimmung mitteilen, wo die drei restlichen Gutscheine zu finden sind.
(Entnimmt dem Computer eine frisch ausgegebene Lochkarte)
Er sagt: Ich verrate nichts, das wäre gemeiner Betrug.
(Während er die folgenden Worte spricht, drückt er mit Nachdruck mehrere Tasten am Gerät).
Er ist manchmal ein wenig renitent. Ich verabreiche ihm jetzt gewissermaßen ein Bonbon. Wenn er mir die korrekte Antwort gibt, dann bekommt er die Hälfte vom Gewinn.
(Entnimmt dem Computer eine frisch ausgegebene Lochkarte)
Er sagt: Vielen Dank, sehr freundlich, aber ich esse viel lieber Wurst als Schokolade.
(Während er die folgenden Worte spricht, drückt er aggressiv mit Nachdruck mehrere Tasten am Gerät).
Wissen Sie, was ich jetzt tun werde? Ich werde diesem frechen Computer erstmal Manieren beibringen.
Man darf wohl etwas verwundert sein, warum der Unwillen des Computers, sich mit lebenslanger Schokoladenversorgung zu begnügen aus dem US-amerikanischen Text nun eine Vorliebe für Wurst wird. Auch wird die Beschimpfung des Rechners expliziter, der Charakter aggressiver, seine Erziehungsmaßnahmen drakonischer. Aber um diese Details soll es nicht gehen.
Was die Szene zeigt, ist eine typische Filmszene aus den frühen 1970er Jahren, die Computer als denkende Maschine mit einem eigenen Willen darstellen, der sich dem Menschen widersetzt, ihn enttäuscht, im Stich lässt. Dabei hat er in diesem Fall sogar einen moralischen Anspruch. Der Topos des widerwilligen Computers ist natürlich nicht neu. Stanley Kubrick hat erst drei Jahre zuvor, 1968, HAL 9000 in 2001: Odyssee im Weltraum aus eigenen moralischen Gründen den Dienst verweigern lassen.
Die goldsuchende Maschine in der Kinderbuchvorlage
Da Wonka auf einem Kinderbuch basiert, habe ich nach der Textstelle gesucht, auf der diese maschinelle Weigerung beruht. Das Buch wurde 1964 von Roald Dahl geschrieben, der auch das Drehbuch für die Verfilmung von 1971 schrieb. Im Kinderbuch findet sich (auf die Schnelle) kein Computer, aber eine Szene, die einen ähnlichen Maschinen-Klamauk zeigt, die in einem kurzen Maschinensturm endet:
The famous English scientist, Professor Foulbody, invented a machine which would tell you at once, without opening the wrapper of a bar of chocolate, whether or not there was a Golden Ticket hidden underneath it. The machine had a mechanical arm that shot out with tremendous force and grabbed hold of anything that had the slightest bit of gold inside it, and for a moment, it looked like the answer to everything. But unfortunately, while the Professor was showing off the machine to the public at the sweet counter of a large department store, the mechanical arm shot out and made a grab for the gold filling in the back tooth of a duchess who was standing near by. There was an ugly scene, and the machine was smashed by the crowd.
Quelle: Roald Dahl, Charlie and the chocolate factory, Charlie and the great glass elevator : the further adventures of Charlie Bucket and Willy Wonka, chocolate-maker extraordinary, S. 31f, Nachdruck von 2003. Online verfügar unter https://archive.org/details/isbn_97
80375829307/
Brüche zwischen zwei Texten sind natürlich von besonderem Interesse. Wenn Dahl 1964 noch eine eher mechanische Maschine beschreibt, 1971 aber einen widerspenstigen Computer, zeigt sich populäre Wahrnehmung von Technologie und ihren Umbrüchen, wenn auch hier recht spät. Viele weitere Auftritte waren der Siemens 4004 im Vergleich zu IBM-Maschinen nicht vergönnt. Die hervorragende Seite »Starring the Computer« listet als weitere Spielfilme noch »Welt am Draht« (1973) (Ich habe den Film vor einiger Zeit hier als einen der ersten Hacker-Filme aufgelistet) und »Der Baader Meinhof Komplex« (2008) auf. Letzter verweist auf die politische Geschichte er Siemens 4004, die für die Rasterfahndung des BKA gegen die RAF, aber auch in der DDR von Staatssicherheit eingesetzt wurde. Wikipedia nennt noch Gast-Auftritte in weiteren Serien, wobei der interessante wohl in »Der Sechs-Millionen-Dollar-Mann« Staffel 1 Folge 4 ist, also auch einer US-amerikanischen Produktion aus den frühen 1970er Jahren.
Foto einer Siemens 4004 aus der Siemens-Broschüre »Datenverarbeitung mit dem Siemens 4004«, wahrscheinlich um 1967 erschienen, online verfügbar unter https://www.f10479.de/siemens_edv.html
Computerphantasmen in der Popkultur um 1970
Der Auftritt der Siemens 4004 in »Willy Wonka und die Schokoladenfabrik« von 1971 war jedenfalls eine Überraschung, die bei genauerem Betrachten über ihre Kurzweiligkeit hinweg ein gutes Beispiel für den Computerdiskurs der 1970er Jahre in der Popkultur ist. Dabei ist es wichtig, zu verstehen, dass abseits von hübschen filmischen Kuriosum das Zeigen von Rechenanlagen in der Popkultur mehrere Aufgaben erfüllte: 1. Führen Auftritte dieser Art ab den späten 1950er Jahren die sonst unsichtbaren Computerrechenanlagen überhaupt in den allgemeinen Diskurs an. 2. Geben sie indirekt einen Einblick in die Phantasmen, Hoffnungen und Befürchtungen um die Maschinen – seien es omnipotente Rechner oder handlungsverweigernde Killer. 3. Sind sie eine Werbedauerschleife für die Anschaffung von Rechenanlagen und die Arbeit an den Maschinen. Auch wenn Szenen wie diese nicht unbedingt wie eine Werbung wirken, sind es gerade die Ohnmachtsgefühle gegenüber Computern, die ihre Potenz medial verstärken, ähnlich zu heutigen angeblichen Warnungen vor “KI”-Systemen durch deren Erschaffer:innen, die letztlich vor allem Marketing sind, wie tante unter anderem in seinem Talk auf der letzten re:publica ausgearbeitet hat.
p.s.: Es gibt einige Verwirrungen um den Filmtitel. Im englischen Original lautet er »Willy Wonka & the Chocolate Factory«, die deutsche Wikipedia listet ihn – offenbar falsch – in der deutschen Fassung als »Charlie und die Schokoladenfabrik«. In einem Kommentar aus dem Jahr 2006 heißt es dort »es sollte noch der Titel in “Willy Wonka und die Schokoladenfabrik” geändert werden«. Die Namensverwirrung zieht sich durchs Netz. Ich würde auch für «Willy Wonka und die Schokoladenfabrik« plädieren.