»Don’t get it right, just get it written« – mit diesem prägnanten Zitat wurde ich letztens freundlich aufmunternd in einer akademischen Schreibgruppe zum Weiterschreiben motiviert. Der Sinn scheint klar: Versuche nicht, perfekt zu schreiben, schreibe überhaupt etwas auf. Redigiert werden kann nur, was geschrieben wurde. Doch ein wenig merkwürdig klingt es auch, das Zitat von James Thurber. Und da ich gern den Quellen kursierender Zitate auf den Grund gehe, habe ich den Versuch unternommen, der vielfach zitierten Schreibmotivation nachzuspüren – mit überraschendem aber umso passenderem Ergebnis.
Quelle: Screenshot einer Google-Bildersuche nach dem Zitat Thurbers.
Zitate entwickeln im Netz oft ein Eigenleben. Wenn sie eingängig genug sind, finden sie sich in Zitatdatenbanken und auf Share-Pics oder Postern mit seelenlosen Stockfotos von Ozeanen, Gebirgen, Brüchen und anderen „medidativen“ Motiven im Hintergrund. »Don’t get it right, just get it written« ist so ein Zitat, das sich – ganz im Sinne der Memetik – seinen Weg durch das Netz bahnt. Was mit dieser Wanderung von Zitaten oft einhergeht, ist die völlige Loslösung von der ursprünglichen Quelle. Zwar findet eine Zuordnung zum Autor / zur Autorin statt, aber es fehlt nicht selten der Hinweis, wo das Zitat ursprünglich veröffentlicht wurde und in welchem Kontext es dabei zu lesen war.
Schreibmotivation – nicht-akademisch
Im konkreten Fall bestätigt eine Google-Suche immerhin die allgemeine Lesart und Zuordnung zum Autor. Während Zitatdatenbanken stoisch kontextlos die Autorschaft besiegeln, liefert einer der ersten Treffer bereits die kanonische Interpretation. Die »best selling«-Autorin Jennifer Blanchard, die Schreibmotivations-Bücher wie »The Pro Writer Mindset«, »The Writer’s Confidence Boost» und »Creative On Command« veröffentlicht hat, veröffentlicht das Zitat Thurbers in einem Blog-Post zum Repertoire pragmatischer Schreibtipps, und, man darf es vermuten, auch in ihren Büchern. Konkret schreibt sie:
American author and cartoonist, James Thurber, said the words that I used for this post’s title: “Don’t get it right, get it written.”
Thurber was 100 percent correct with this statement.
Get it written first, then edit it and get it right.
Perfectionism can sometimes take over your life. It can seep into all areas, causing you to even avoid attempting things for fear you won’t be able to do it perfectly.
Quelle: Artikel »Don’t Get It Right, Get It Written« von Jennifer Blanchard (2009)
Nun, Thurber “sagte” die Worte nicht, sondern er schrieb sie, und es fehlt das “just” im Zitat, was durchaus die Intonation beeinflusst, aber wir wollen den Blogpost als exemplarisch für die Lesart des Satzes im Web nehmen. Zugleich bleibt ein gewisses Unbehagen ob der Wortwahl Thurbers. Ein »Don’t get it perfect, get it written« könnte ich beim Schreiben eher nachvollziehen, als ein absolutes »right«. Es wirkt irgendwie salopp. Und so wünschte ich mir, den genauen Kontext des Zitats zu kennen, denn es drängt sich der Verdacht auf, dass hier etwas nicht stimmt. Die Quelle bleibt Blanchard wie die meisten anderen Zitationen im Netz schuldig.
Thurbers Zitat in Large Language Modellen
Probieren wir es modern und fragen ein Large Language Model nach dem Zitat und seiner Interpretation. Googles “Bard” ordnet dazu wie folgt ein:
Prompt: Von wem stammt das Zitat »Don’t get it right, just get it written.« und was bedeutet es?
Antwort: Das Zitat »Don’t get it right, just get it written.« stammt von dem amerikanischen Autor und Cartoonisten James Thurber (1894-1961). Es bedeutet, dass es wichtiger ist, etwas zu schreiben, auch wenn es noch nicht perfekt ist, als gar nichts zu schreiben.
Thurber selbst war ein sehr produktiver Schriftsteller, der unter anderem Kurzgeschichten, Cartoons, Essays und Memoiren verfasste. Er war bekannt dafür, dass er sich nicht davor scheute, auch mal Fehler zu machen. Er sagte einmal: “Ich bin perfektionistischer als jeder andere, aber ich weiß, dass ich nie perfekt sein kann.”
Das Zitat “Don’t get it right, just get it written.” ist eine Ermutigung an alle, die schreiben wollen. Es soll ihnen sagen, dass es okay ist, Fehler zu machen, solange man einfach anfängt zu schreiben. Denn erst wenn man etwas geschrieben hat, kann man es auch verbessern.
Das Zitat kann auch auf andere kreative Prozesse übertragen werden, wie zum Beispiel das Malen oder das Komponieren. Es gilt auch hier, dass es besser ist, etwas zu schaffen, auch wenn es noch nicht perfekt ist, als gar nichts zu schaffen.
Hier sind einige Tipps, wie man das Zitat “Don’t get it right, just get it written.” in die Praxis umsetzen kann:
- Setze dir ein Ziel, wie viele Wörter du pro Tag schreiben möchtest.
- Finde einen Ort und eine Zeit, an denen du ungestört schreiben kannst.
- Schreibe ohne Unterbrechung, bis du dein Ziel erreicht hast.
- Überlege dir später, wie du dein Schreiben verbessern kannst.
Mit ein bisschen Übung wirst du feststellen, dass es leichter wird, einfach anzufangen zu schreiben. Und je mehr du schreibst, desto besser wirst du auch.
Quelle: Prompt »Von wem stammt das Zitat »Don’t get it right, just get it written.« und was bedeutet es?« in Google Bard
Googles Sprachmodell gibt, wie zu erwarten, die im Netz übliche Interpretation wieder. Auch ChatGPT wiederholt auf den gleichen Prompt
Das Zitat “Don’t get it right, just get it written” wird dem Schriftsteller und Autor James Thurber zugeschrieben. Thurber war ein amerikanischer Humorist und Karikaturist, der im 20. Jahrhundert lebte.
Die Bedeutung des Zitats liegt darin, dass es oft wichtiger ist, Ideen und Gedanken aufzuschreiben, ohne sich zu sehr um Perfektion oder Fehler zu kümmern. Oft neigen Menschen dazu, sich beim Schreiben zu sehr auf die Perfektionierung jedes einzelnen Wortes oder Satzes zu konzentrieren, was den kreativen Fluss behindern kann. Das Zitat ermutigt dazu, einfach mit dem Schreiben zu beginnen und sich später um die Korrekturen und Verbesserungen zu kümmern. Es betont die Bedeutung des Ausdrucks von Ideen und die Überwindung von Perfektionismus, um den kreativen Prozess in Gang zu setzen.
Quelle: Prompt »Von wem stammt das Zitat »Don’t get it right, just get it written.« und was bedeutet es?« an ChatGPT 3.5
Schreibmotivation – akademisch
Gehen wir aber weiter den Quellen nach, die von Sprachmodellen offenbar stoisch eingelesen und als Wahrheit präsentiert werden. Auch im deutschsprachigen Netz wird Thurbers Zitat weitergegeben. Und das nicht nur als Motivation für Hobby-Autor:innen, sondern als offizieller akademischer Ratschlag an der Hochschule Neu-Ulm in einem von zwei Professoren herausgegebenen »Leitfaden zu formalen, stilistischen und inhaltlichen Anforderungen an wissenschaftliche Arbeiten«, in dem es heißt:
»Seien Sie sich bewusst, dass in der Regel die erste sprachliche Formulierung das Gedachte nicht in idealer Form verbalisiert. Erst durch Überarbeitungen und Ergänzungen wird der Stil Ihrer Arbeit einem wissenschaftlichen Niveau gerecht. Nützlich kann Ihnen beispielsweise der „Thesaurus“ sein. […] Generell denken Sie bei der Ausarbeitung Ihrer wissenschaftlichen Arbeit an das Zitat von James Thurber (1894-1961): “Don’t get it right, just get it written.“«
Quelle: »Kompetenzzentrum Wachstums- und Vertriebsstrategien Leitfaden zu formalen, stilistischen und inhaltlichen Anforderungen an wissenschaftliche Arbeiten«, Hochschule Neu-Ulm (2019)
Auch in dieser akademischen Quelle findet sich leider kein weiterer Hinweis auf die Thurber-Quelle. Es sei der Publikationsart »Leitfaden« zugestanden, bringt uns auf der Suche nach dem ursprünglichen aber nicht weiter. Wir haben es jedoch, das muss man an dieser Stelle festhalten, eine auf einer Hochschul-Webseite von zwei Professoren veröffentlichte Quelle. Auch in der Wissenschaft zur Überwindung von Schreibblockaden und als Motivation zu einem Schreibprozess des iterativen Schreibens und Überarbeitens zitiert.
Widersprüche
Setzt man die Recherche fort und lässt sich von Motivationskacheln nicht beirren, finden sich Übersetzungsversuche, wie im Forum der Wörterbuchseite leo.org, in der das Zitat etwas überraschend widersprüchlich – unter Angabe der Quelle – eingeordnet wird.
Zitat von James Thurber.
“The Sheep in Wolf’s Clothing”, The New Yorker (29 April 1939); Fables for Our Time & Famous Poems Illustrated (1940). The moral is ironic with respect to the fable, in which sheep do insufficient research before writing about wolves, resulting in the sheep being easy prey.
Kommentar
Das Zitat wird häufig verwandt, um angehende Autoren zu motivieren, es ersteinmal aufzuschreiben und sich in der ersten Fassung nicht um Perfektion zu scheren.Wie lässt sich das griffig übersetzen? Stehe komplett auf dem Schlauch. Danke für eure Hilfe!
Quelle: Forendiskussion auf leo.org (2013)
Das besondere an diesem Eintrag: Er gibt die Quelle an, ordnet den kanonischen Gebrauch ein, gibt zugleich eine offenbar von einer anderen Seite (wikiquote, dazu mehr weiter unten) stammende völlig widersprüchliche Interpretation des Zitats an, das auf die Moral einer modernen Fabel zurückgeht.
Die Fabel »The Sheep in Wolf’s Clothing«
Gehen wir also den akademischen Weg ein und legen die nun endlich adressierbare ursprüngliche Quelle frei: James Thurber veröffentliche am 29. April 1939 in der Reihe »Fables of our Time« im »The New Yorker« die Fabel »The Sheep in Wolf’s Clothing«. Thurber schrieb und zeichnete als Cartoonist moderne Fabeln mit teils überraschender Moral. In der Schaf-Fabel verkleiden sich zwei neugierige Schafe als Wölfe und mischen sich für einen Tag unter die von ihnen gefürchteten Raubtiere. Sie erwischen einen ausgelassenen Tag der Wölfe, an dem getanzt und gesungen wird. Begeistert macht sich ein Schaf daran, ein Buch über das Erlebte zu schreiben. In einem zeitlichen Wettkampf ringen die Schafe danach um die schnellste Veröffentlichung zum Erlebten, was in verkürzten Publikationen resultiert, die letztlich alle Schafe das Leben kostet. Da Thurbers Werk noch dem Copyright unterliegt, versuche ich es hier mit einer schnellen Übersetzung:
Vor nicht allzu langer Zeit beschlossen zwei Schafe, sich als Wölfe zu verkleiden und als Spione unter die Wölfe zu mischen, um zu sehen, wie die so lebten. Sie kamen just an einem Festtag an, an dem die Wölfe in Kneipen sangen und in den Straßen tanzten. Das erste Schaf sagte zum zweiten »Wölfe sind genau wie wir. Sie springen fröhlich in der Gegend herum. Jeder Tag ist ein Festtag im Wolfland.« Es machte sich ein paar Notizen auf Papier (Was Spione nie tun sollte) und überschrieb sie mit „Meine vierundzwanzig Stunden im Wolfland“, denn es hatte beschlossen, nicht mehr Spion zu sein, sondern ein Buch über das Wolfland und einige Artikel für den „Sheep’s Home Companion“ zu schreiben. Das andere Schaf ahnte, was es vorhatte und beeilte sich, ein Buch mit dem Titel „Meine zehn Stunden im Wolfland« zu schreiben. Das erste Schaf mutmaßte, was im Argen lag, als es feststellte, dass das andere Schaf gegangen war, und sendete ein Buch mit dem Titel »Meine fünf Stunden im Wolfland« an seinen Verlag. Es wurde zur zeitnahen Veröffentlichung angekündigt. Das andere Schaf verkaufte sein Manuskript sofort an eine Zeitungsverlagsgruppe für eine Veröffentlichung als Artikelserie.
Beide Schafe gaben dasselbe Resümee: Wölfe sind wie Schafe. Sie spielen und springen, und jeden Tag gibt es ein Fest im Wolfland. Die Einwohner des Schaflandes waren überzeugt von dieser Perspektive und so gaben sie ihre Abschottung auf. Als die Wölfe eines Nachts heulend und geifernd zu ihnen kamen, waren die Schafe so einfach zu töten wie Fliegen auf dem Fensterbrett.
Moral: Schreib es nicht richtig, schreibe es überhaupt.
Quellenangabe: Eigenübersetzung der Fabel von James Thurber »The Sheep in Wolf’s Clothing«, zuerst veröffentlicht im The New Yorker, am 29. April 1939. Danach noch einmal veröffentlicht in der Fabel-Sammlung “Fables for our time : and famous poems illustrated“, S. 37.
Was Thurber hier schreibt, ist das Gegenteil der kanonischen Interpretation: Sein “Don’t get it right, just get it written” ist keine leicht salopp formulierte Stütze zur Überwindung von Schreibblockaden oder Einstiegspunkt in einen Schreibprozessroutine der Rohrschrift mit anschließender Überarbeitung. Es ist vielmehr eine Fabel über unverantwortliche Veröffentlichen nicht ausreichend geprüfter und durchdachter Texte durch den Geschwindigkeitsdruck der “zuerst!”-Veröffentlichung von Buch- und Zeitungsverlagen. Das “write” Thurbers ist in diesem Sinne ein “veröffentlichen” und das Zitat müsste vielleicht eher mit »Veröffentliche nicht richtig, veröffentliche zuerst!« übersetzt werden und in dieser Lesart wird die Ironie der Moral auch im deutschen Sprachgebrauch deutlich. Es erinnert an die später formulierte Medienkritik von Neil Postman.
Citogenesis
Und so hat das Zitat von Thurber ein wundervolles Eigenleben entwickelt. Während es selbst davor warnt, Texte vorschnell und dadurch falsch zu veröffentlichen, führt das schnelle Lesen, Zitieren, Schreiben, wieder Zitieren und Weitergeben im Netz dazu, dass die Ironie der Moral durch Entkontextualisierung vergessen und das Zitat wörtlich genommen wird. Somit sind das Zitat und seine Verwendung zur eigenen Moral geworden und dienen abermals weniger als Schreibmotivation als vielmehr als Aufruf, eine Quelle zu prüfen, bevor man sie aus einer oralen Übermittlung oder kontextlosen Zitatdatenbank übernimmt. Alternativ werden Zitate durch die Verarbeitung im Netz zu selbstinterpretierenden Texten, wie ein XKCD anhand der Quellenverarbeitung auf Wikipedia skizziert:
Quelle: Webcomic XKCD, 978 »Citogenesis« von Randall Munroe, veröffentlicht unter einer Creative Commons CC BY-NC 2.5 Deed Lizenz
Dabei soll an dieser Stelle der Empfehlung, erst einmal zu schreiben, nicht widersprochen werden – ganz im Gegenteil. Es finden sich nur unzählige bessere Zitate aus passenderen Kontexten, die diese Schreibmotivation vermitteln, ohne falsch zu zitieren. James Thurber können wir mit seiner Moral dafür ebenfalls reanimieren und als durchaus zeitgenössisch geeignete Kritik an Falschmeldungen durch Veröffentlichungszeitdruck zitieren. Und das nicht nur mit seinem ursprünglichen Kontext, sondern auch durch seine Zitationsgeschichte im Netz.
Kurzes Nachwort zur Ehrenrettung des Webs und der Wikipedia: Eine zumindest in meiner Recherche nicht sofort aufpoppende Quelle zu Thurber ist die Wikiquote-Datenbank, in der es, wie im daraus wahrscheinlich zitierten leo.org-Forentext, heißt:
Don’t get it right, just get it written.
Quelle: wikiquote.org
“The Sheep in Wolf’s Clothing”, The New Yorker (29 April 1939); Fables for Our Time & Famous Poems Illustrated (1940). The moral is ironic with respect to the fable, in which sheep do insufficient research before writing about wolves, resulting in the sheep being easy prey.
Das Wikipedia-Projekt liefert also eine korrekte Quellenangabe nebst richtiger Interpretation. Diese wird auch auf leo.org in den weiteren Kommentaren dann diskutiert und mit der gängigen Lesart verglichen.