In unserem kleinen Haus auf dem Land werden die Mülltonnen gechippt. Ich habe eine Weile gebraucht, um das komplizierte Anschreiben der Müllabfuhr zu verstehen, dass langatmig erklärt, dass sie Aufkleber beilegen, die man auf den Tonnen anbringen solle, die Tonnen an einem festen Tag vor die Tür stellen und sie dann innerhalb von 48 Stunden einen maschinenlesbaren Chip erhielten.
Jedenfalls konnte ich mir ob der vielen Euphemismen bezüglich der Digitalisierung der Müllabfuhr beim besten Willen nicht die Frage beantworten, warum nun die Tonnen gechippt werden müssen. Vielleicht übertreibe ich ja, aber die Vorstellung, dass zehntausende Mülltonnen Chips bekommen, Entsorgungsfahrzeuge offenbar Lesegeräte und dazu noch eine technische Infrastruktur aufgebaut wird, die Daten speichert, liest und prüft, lässt die Frage aufkommen: Wozu eigentlich? Welches Problem wird gelöst?
„Dank des Chips wird jederzeit nachvollziehbar, wann eine Tonne geleert wurde. Eine hohe Qualität in der Leerung ist damit gewährleistet.“
https://www.recyclist-magazin.de/post/digitale-muellabfuhr
Auf Seiten der Industrie wird vor allem Service-Zuwachs gelobt: Erstens: Wenn es mal ein Problem mit der Leerung gäbe, sei alles sofort nachvollziehbar. Ich kann es mir ja nicht so recht als statistisch relevante Notlage vorstellen, dass am Service-Telefon eines Entsorgungsunternehmen man nun endlich mitteilen könne, dass Mülltonne 94934030393 exakt um 7:58 Uhr und 23 Sekunden geleert wurde. Das würde so ja im Logbuch stehen. Denn überhaupt hilft dies doch eher dem Entsorger. Mir jedenfalls nicht. Ich möchte nicht anrufen und einen digitalen Leerungsnachweis anfordern. Zweitens: Da die Entsorgungsbehälter nun mit dem Grundstück “verheiratet” sein, wie es in einem Informationsschreiben heißt, sei »das Risiko des Missbrauchs ausgeschlossen«. Man kann seinen Müll zwar noch immer heimlich beim Nachbarn entsorgen, aber was wohl gemeint ist: Die Tonnen könnten nicht mehr entwendet und woanders aufgestellt werden – so dies ein statistisch relevantes Problem gewesen ist. Drittens könne man nun durch Erhebungen über die Entsorgungen viel besser planen. Wie diese Planung aussieht und wie sich von der bisher vorhandenen Erfahrung in der Abfallentsorgung unterscheidet, bleibt ein Geheimnis. Es ist ja nicht so, dass es auch vorher ein leichtes gewesen wäre, Entsorgungsvorgänge zu erfassen, wenn auch nicht mit digitaler Präzision.
Doch worum es viertens wohl eigentlich geht, wird in den Ankündigungsschreiben des lokalen Dienstleisters nicht erwähnt, findet sich aber in anderen Branchen-nahen Informationsschreiben, die frohlockend zusammenfassen:
Damit orientiert sich die Abfallgebühr wesentlich stärker als bisher am Prinzip der Verursachergerechtigkeit.
https://www.abfallwelt.de/muelltonnen/ident-system/
Das pervertierte Verursacherprinzip
»Abrechnung nach dem Verursacherprinzip« heißt also die Zauberformel. In Zukunft soll mehr Zahlen, wer es wagt, seine Tonne auch wirklich alle zwei Wochen vor die Tür zu stellen. Wer nicht “verursacht”, gewinnt. Nur stellt von der neuen Gerechtigkeit gerührt niemand mehr die Frage, wer denn eigentlich der Verursacher des zu entsorgenden Mülls ist? Aus Entsorgersicht ganz offenbar Verbraucher:innen. Doch aus gesellschaftlicher Sicht sollte diese Erklärung nicht einfach akzeptiert werden. Betrachtet man nur die stets zu kleine blaue Papiertonne, die vor Versandverpackungen oft überquillt, lässt sich durchaus diskutieren, warum sich der Verpackungsmüll – Recycling hin oder her – denn nun stapelt. »Weil die Menschen so viel bestellen« ist die kurze Erklärung. Die längere ist wohl eine komplexere, die darauf eingeht, dass kaum noch Zeit für den Einkauf vor Ort ist, es an Geschäften fehlt oder am letzten Nerv zwischen Arbeitsende und Care-Arbeit noch verpackungsarm im Geschäft nebenan einzukaufen, so es das Geschäft noch gibt. Und die Ausreden der Versandhändler, warum sie für einen Kugelschreiber einen Schuhkarton als Versandpackung wähle, sollte mit einem “aus logistischen Gründen” nicht mehr akzeptiert werden, denn die logistischen Gründe, die vorgeblich notwendigen Verpackung für den einfach abzuwickelnden Versand externalisieren lediglich finanzielle Kostenreduktion durch Umweltbelastung, die nicht eingepreist oder am Ende durch den Chip in der neuen Tonne zu Hause abgerechnet wird.
Das angeblich durch maschinenlesbare gerechter werdende Verursacherprinzip in der Müllentsorgung und dem Recycling stellt also nicht die wichtige Frage, wer eigentlich Verursacher des Mülls ist, sondern nimmt die Antwort vorweg, indem es in einem Akt der neoliberalen Zumutung einer weiteren Optimierung von Privathaushalten nun auch den Müll in Echtzeit quantifizierbar macht. Und auch wenn es ökologisch klingt, wälzt es den Müllberg weiter auf Privathaushalte ab, statt ihn zu verhindern, wo er entsteht. Dass stolz unterstrichen wird, man erfasse nur die Anzahl der Leerungen per Haushalt, aber nicht die eigentliche Menge, zeigt, wie absurd dieses System ist, das es plötzlich attraktiv macht, im Hochsommer stinkenden Müll nicht schon bei halb voller Tonne abholen zu lassen. Statt also zu fragen, warum zur Besinnungslosigkeit verpackt, eingeschweißt, in zu kleine Portionen zerteilt oder zu großen Mengen abgegeben und über riesige Strecken transportiert und diese Externalisierung von Umweltkosten gesellschaftlich hingenommen und mit schlechtem Gewissen in Haushalten platzsparend in der Tonne verstaut wird, hat sich der Fokus vor lauter Freude über kundenfreundliches Verheiraten von Mülltonnen mit Grundstücken in die falsche Richtung verschoben. Das Verursacherprinzip sollte ein Erzeuger- und nicht ein Verbraucherprinzip sein. Aber bei Erzeugern genügt man sich mit unternehmensfreundlichen weitgehend wirkungslosen CO2-Zertifikaten und halbseidenen Verpackungsabgabeverordnungen, die Unternehmen nicht weh tun und sie weiterhin den kostenreduzierenden Müll direkt in die Privathaushalte verfrachten lassen.
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p.s.: Natürlich ist es sinnvoll, auch in Haushalten Müllerzeugung zu vermeiden, verpackungsarm einzukaufen und mit Bedacht zu bestellen. Doch das ist ein anderes Thema und sollte nicht das Feigenblatt für einen Freibrief der Wirtschaft sein.
Mmmm. Und ich dachte, dass damit vor allem die Mitarbeiter bei der Müllabfuhr überwacht werden, wie lange sie pro Strecke benötigen und dass irgendeine Berechnung hervorbringt, dass Max Müller in Neudorf nach der Leerung immer einen Kaffee beim Bäcker trinkt, das aber nicht als Pause notiert.
Ansonsten bin ich voll bei dir: Individualisierung eines Problems, das ein Individuum nicht lösen kann.