Leitmedium

Es gibt kein analoges Leben im digitalen.

Caspar C. Mierau arbeitet als technischer Berater und denkt als Medienwissenschaftler, der zur Computergeschichte promoviert, über die Geschichte und Gegenwart von Technologie nach. Er schreibt und podcastet an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, Technik und Kultur. Notiert kurze Gedanken auf Mastodon. Hat "Leitmedium" ganz offiziell als Künstlername im Ausweis stehen.

Über | Links | Impressum

Powered by Genesis

Woche 48: Böse Wahlmanipulations-Algorithmen, Schmalbart, Digitalcharta, visuelle Marktschreier, Welt-Reparatur

4. Dezember 2016 by leitmedium

Ich solle mal wieder was ohne Kinder bloggen, wurde mir gesagt. Eigentlich ist ja viel zu sagen, aber oft sind es nur kleine Dinge. Bevor sie untergehen daher hier die kleinen Dinge der letzten Woche:

Böse Targeting-Algorithmen

»Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt«, schließt ein Artikel über angebliche massive Wahlbeeinflussung durch angeblich zielgenaues Facebook-Targeting. Der Text las sich gut, ging rum wie geschnitten Brot und irgendwie klang er mir schon zu perfekt, um wahr zu sein. Vielleicht wurde er ja auch nur auf mich zugeschnitten? Ha! Es war ja immer ein Drohszenario, dass Wahlen durch Facebook oder andere Netze beeinflusst werden. So richtig schockt es mich jedoch nicht, wenn Menschen gezielt per Werbung angesprochen werden. Ich würde weder Trump wählen, noch die Waffenlobby unterstützen. Sagt sich natürlich so leicht über sich selbst, aber da bin ich dann doch sicher. Und unentschiedene Personen sind eben offen für das, was wir gern Manipulation nennen, aber eben einfach Wahlwerbung ist. Wer Trump und Brexit gewählt hat, hat Trump und Brexit gewählt. Das mit dem bösen Algorithmus solltet Ihr Euch abschminken. Wäre ja schön, wenn das böse Internet wieder schuld ist. Aber das hat die Wahl nicht versaut. Menschen an der Wahlurne haben es getan.

Und selbst wenn wir davon ausgehen, dass Trump und Brexit durch diese Art der Beeinflussung gewonnen wurden: Sie steht jedem mit genügend Geld offen. Sehen wir mal, was passiert, wenn mehrere Parteien zielgenau Werbung schalten. Ich vermute: Das Gehirn macht mal wieder dicht. Wer mehr zum Thema lesen möchte: Die Wired hat bereits im August die starke Beeinflussung des Brexit bezweifelt und es gibt weitere Gegenstimmen, wie Max vom Vice Motherboard zusammengetragen hat.

Wo arbeite ich eigentlich?

Ich habe mir dennoch den Spaß gemacht und mich bei der im Ursprungsartikel genannten Seite “Apply Magic Sauce” angemeldet und mir ein persönlichen Psycho-Profil auf Basis meiner Facebook-Likes erstellen lassen. Das war insofern amüsant, als ich nur wenige englischsprachige Seiten geliked habe, die dort als Datenbasis herangezogen werden konnten. Eine der sechs oder so Seiten ist “Movie Pilot“, für das ich arbeite. Da man in der Auswertung erklärt bekommt, warum das System einen wie beurteilt hat, weiß ich jetzt, wie Fans von Movie Pilot eingestuft werden:

  • sie sind “more feminine”
  • impulsive and spontaneous
  • competitive
  • liberal and artistic
  • engaged with the outside world
  • easily stressed and emotional
  • less intelligent
  • less satisfied with life
  • less interested in art
  • more interested in psychology
  • less interested in business
  • “to be single”
  • not to be in a relationship
  • not to be married

Tschja, wie bringe ich das dem Rest der Firma nur schonend bei? (p.s.: Abgesehen von meinen wenigen Likes glaube ich durchaus, dass Like-Profile statistisch relevante Ergebnisse liefern können).

Schmalbart

»Projekt „Schmalbart“ – eine Einladung« schreibt Christoph Kappes. Kurz gesagt geht es um ein Watchblog für den Start des deutschen Breitbart-Ablegers. Auch wenn ich immer ein wenig skeptisch bin, was so neue Projekte mit vielen Menschen angeht, wäre es schön, wenn man einen offenen, transparenten Weg findet, um Gegenwind zu machen – auch wenn ich manchmal still in meinem Kämmerlein bezweifle, dass selbst das Bildblog einen nennenswerten Einfluss gegenüber der Bild hat.

Digitalcharta

Die Digitalcharta ist mir eigentlich zu blöd, um überhaupt etwas drüber schreiben oder sie gar zu verlinken. Blabla, Grundrechte, fünfhundert gut situierte Männer und eine halbe Frau haben da mal was zusammengeschrieben, hier guckt mal, jetzt wird alles gut. Gab es viel Popoklatsche für und das ist auch gut so. Der Messias-Drops mit “wir bringen Euch jetzt den einen Text, der die Welt rettet” sollte nach zwei Jahrtausenden auch endlich mal gelutscht sein. Ich muss an dieser Stelle betonen, dass das kein Angriff auf einzelne Personen die da mitgemacht haben sein soll – also vor allem weiße mittelalte Männer. Bin ich selber einer, habe ja auch schon Unsinn ins Netz geschrieben und dann groß mit Tamtam angekündigt. Passiert jedem. Und wenn man sich doch noch aufregen will: Niko Härting und Jürgen Geuter geben einen Einstieg.

Ich muss gerade an »Das Leben des Brian« denken. Weiß auch nicht, warum.

Die Welt reparieren

Vor kurzem ist das Buch »Die Welt reparieren. Open Source und Selbermachen als postkapitalistische Praxis« erschienen. Ich bin ja mittlerweile eher skeptisch was die Hackerethik und OpenSource-Community angeht, da ich die zugrundeliegende Meritokratie (Menschen daran messen, was sie technisch erreicht haben) für elitär und exklusiv halte. Aber bei aller Skepsis ist das Thema Reparieren ein Wichtiges und der Band gibt einen guten Einstieg. Passend zum Sujet ist das Buch kostenlos als PDF erhältlich. Witzigerweise verhindert der Verlag, dass man sich per Rechtsklick einfach den Link zur PDF holt. Darüber könnte man jetzt mit den Texten des Buches philosophieren.

Visuelle Marktschreier

In der Pop-Zeitschrift wurde endlich mal die nervigen Werbeprospekte aus dem Briefkasten einer Analyse unterzogen und minutiös berechnet, welche Supermarktkette wie große Preisschilder verwendet hat. Nach dem Lesen ist man auch nicht schlauer, aber man fühlt sich. Und darauf kommt es ja an.

Weiteres

Die Zukunft ist nah:

Ich habe jetzt Lust, das etwas komplexer nachzustellen, aber erfreulicherweise zu wenig Zeit und Muße, es zu tun.

Habe ich erwähnt, dass “Micro SF/F stories” einer meiner Lieblings-Twitter-Accounts ist? Kurzgeschichten wie diese in 140 Zeichen:

The spaceship landed. A figure emerged.
"Take me to your kittens."
"Pardon?"
"When everything is horrible, looking at Earth kittens helps."

— Micro SF/F stories (@MicroSFF) November 29, 2016

Noch nicht gelesen, soll aber interessant sein: »We Asked 8,500 Internet Commenters Why They Do What They Do«.

Wenn ich groß bin, will ich auch so wunderbar irritierende Gedankensprünge wie Frau Ruth aufschreiben können.

p.s.: Damit Algorithmen berechnen können, dass Ihr schön, intelligent und potentiell reich seid, könnt Ihr die leitmedium-Facebook-Seite liken. Na gut, vielleicht auch, damit Ihr den nächsten Post nicht verpasst.

  • Kurz notiert: Algorithmen haben mich diskriminiert!1
  • Ein paar Überlegungen zur Kennzeichnung von Werbung in (Eltern-)Blogs
  • Mein Facebook Fakeprofil, oder: Wie Facebook beim Überprüfen von Profilen versagt

Filed Under: Allgemein

Comments

  1. Hanna Linn says

    5. Dezember 2016 at 17:57

    Puh… gut, dass ich da weg bin


  2. Franka says

    5. Dezember 2016 at 23:10

    Hhhmm… So ganz ohne Familiengedöns ist es mir ja zu nerdig…

    • leitmedium says

      6. Dezember 2016 at 10:50

      Nicht verraten: Ich habe Medienkulturwissenschaft und leite eine Entwicklungsabteilung in einem Medienunternehmen. Da bleibt das mit dem Medien-Nerden nicht ganz aus. 🙂

      • Franka says

        7. Dezember 2016 at 21:16

        Nun ja… Ich hab was anderes studiert und zwei Kinder. Halte mich dann doch eher an Vierpluseins und schmunzel da mit!