»Was ist eigentlich aus Google Glass geworden?« fragt er mich, während wir vor dem Kino stehen. Keine Ahnung. Wir warten auf den Einlass zur Premiere in Mario Sixtus’ Operation Naked. Ich bin unsicher was mich erwartet. Eine Dokumentation oder ein fiktionaler Film? So ganz habe ich das nicht verstanden. »Glass ist jetzt so ein Business-Produkt geworden, glaube ich. Habe irgendwo gelesen, dass das für Logistik oder so eingesetzt wird.« stammle ich zusammen. Small Talk kann ich. »Ja, macht Sinn«, antwortet er und wir starren weiter ein bisschen auf den Boden. Macht Spaß mit Freunden. Da fällt mir ein, dass ich letztens eine Frau in Berlin Mitte mit einer Google Glass gesehen habe. Das war das erste Mal, dass ich die Brille in freier Wildbahn gesehen habe. Mein erster Gedanke war »Na, ob sie ihr nicht jemand vom Gesicht reißt?«. Irgendwie traurig, wenn das die erste Assoziation ist.
Das Format des Films interessiert mich dann aber doch. »Was denn nun? Ist das eine Doku oder ein Film« frage ich. »Der Film hat nur 50 Minuten. Doku.« antwortet er. »Ja, wie jetzt? Steht irgendwo geschrieben, dass fiktionale Filme 90 Minuten haben müssen?«. Etwas ratlos schweigen wir. Da gab es doch so einen komischen Begriff für fiktionale Dokumentarfilme. Grübel. Ah, »Mockumentary«.
Endlich geht es los. Mario Sixtus moderiert den Film vor rotem Samtvorhang an. Steht ihm. Wahrscheinlich hat er das Kino passend zum Anzug gewählt. Schlau. Ein Sitznachbar fragt mich, warum ich eigentlich zur Premiere eingeladen wurde. Hmm. Ich sehe mich um. Sixtus dankt dem Publikum, denn meisten wären wohl irgendwie am Film beteiligt gewesen. Also ich nicht. Mich fragt ja keiner! Während ich überlege, woran ich denn nun warum nicht beteiligt war, geht der Film los.
Tatsache, Mockumentary. Ich gebe mir selbst ein kleines High Five. Und unser Google Glass Gespräch von vorhin hätte passender nicht sein können. Denn darum geht es: Eine fiktive Berliner Firma bringt eine Datenbrille mit Gesichtserkennung auf den Markt und das Chaos nimmt seinen Lauf. Kurz erfasst mich die Angst, dass es jetzt peinlich wird. Die Firma wirkt zunächst ein wenig zu sehr nach Prenzlauer Berg Hipster Startup Klischee. Und so ein Mockumentary, in Deutschland produziert, zu einem Datenschutz-Thema: Das kann schon mal Fremdscham verursachen. Aber das tut es nicht. Im Gegenteil. Ich staune, wie gut der Film es schafft, mich immer wieder schwanken zu lassen. Er bringt abwechselnd Beweggründe für und wider Privatheit und Offenheit. Ich selbst habe dazu wohl bereits eine klare Meinung und kenne so ziemlich alle Argumente. »Scheiße, ich will so eine Brille«, denke ich zwischendurch. Endlich kein Rumstammeln mehr, wenn ich mir wieder dieNamen nicht merken kann. Vor ein paar Jahren wollte ich mal zum Psychologen (Psychiater?) gehen, als mir der Name meiner Tante nicht mehr einfiel. Und dann wird da plötzlich im Film ein Schwuler zwangsgeoutet durch die Brille und ich denke »Ach verdammt. Ja.« – so geht es hin und her. Bei all dem schwingt im Film für mich eine positive Grundhaltung gegenüber der Technologie mit. Auch wenn die Datenschützer quasi blamiert werden – in der letzten Sekunde gibt es nochmal ein Argument für ihre Haltung.
So bin ich am Ende des Films “Operation Naked” so schlau wie am Anfang. Aber die Gedanken sind strukturierter, der Diskurs geordnet. Was für eine Serviceleistung. Und zugleich gab es nicht wenige Lacher. »Der Sixtus macht das irgendwas mit dem ZDF« denke ich noch, als klar wird, dass die meisten Einspieler mit bekannten ZDF-ModeratorInnen gedreht wurden. Markus Lanz und Gernot Hassknecht (den hab ich jetzt gegoogelt und der heißt ja gar nicht so!) konnte ich mir merken. Bei den anderen fielen mir die Namen nicht ein. (Wenn ich nur diese Brille hätte…)
Pause. »Bleiben wir sitzen? Wie lang ist denn Pause?«. 30 Minuten. Wir gehen kurz eine Minipizza essen. Hier am Savigny-Platz ist ziemlich tote Hose. Warum eigentlich hier den Film zeigen? Der Friedrichshainer in mir ist empört. Aber der Film, der war gut. Ich erkenne im Publikum alle Standpunkte von Datenschutz bis Offenheit personifiziert wieder. Niemand scheint sich aufzuregen. Dann hat der Film das wohl ganz gut zusammengefasst. Oder waren die Aluhüte doch zu krass? Oder die Brille? Ist die das Problem? Jetzt bin ich mir wieder unsicher.
Scherzend erklärt Sixtus, dass er auf die Frage, ob das Szenario aus den Operation Naked denn realistisch sei einfach mit der folgenden Dokumentation antwortet. Das tut er dann auch. Ziemlich präzise. »Ich weiß, wer Du bist« zeigt in 52 Minuten den Status quo der Technologie, wie sie im Film zuvor noch als fiktiv dargestellt wurde. So richtig fiktiv ist sie eben nicht. Ich erfahre das erste mal von mir bisher unbekannten Datenbrillen-Herstellern, Smartphone-Apps und höre verschiedene, teils philosophische Sichtweisen zum Thema. Wenn die Doku ein Fazit hat, dann wäre es für mich: Akzeptiert, dass sich etwas geändert hat, und diskutiert darüber, statt nur am Alten festzuhalten und oder zu denken, das sei die Zukunft. Es ist bereits da.
Damit kann ich gut leben. Für den Heimweg kurz vor Mitternacht nehme ich mir ein Elektro-Mietauto. Es bleibt fast auf halber Strecke wegen eines leeren Akkus liegen. Ich steige auf ein Benzin-Auto um und bin froh, noch so ein traditionell angetriebenes Auto gefunden zu haben. Ist ja manchmal auch nicht übel.
Die Filme werden an folgenden Terminen ausgestrahlt. Operation Naked ist ab sofort in der ZDF Mediathek zu sehen:
“Operation Naked”
- ZDF: 22.02.2016, 23.55 Uhr
- ZDFkultur: 26.02.2016, 20:15 Uhr
- ZDFinfo: 02.03.2016, 03:30 Uhr
- ZDFinfo: 02.03.2016, 12:45 Uhr
“Ich weiß, wer Du bist”
- ARTE: 16.02.2016, 22.10 Uhr
- ARTE: 26.02.2016, 09.50 Uhr
- ZDFinfo: 19.02.2016, 19:30 Uhr
- ZDFinfo: 01.03.2016, 02:45 Uhr
- ZDFinfo: 02.03.2016, 12:00 Uhr
p.s.: Die Machete-Order der Filme ist: Erst »Operation Naked«, dann »Ich weiß, wer Du bist«
p.p.s.: Auf Politik Digital gibt es ein weiteres Review des Films.
Interessanter Film – auch wenn die zu erwartende Realität nicht nur angenehm ist. Vielen Dank den Macherinnen!
Schön auch das ZDF-Panorama… sinnvoller GEZ-Beitrag.
PS: Schade, dass niemand mehr Kommentare schreibt…