Leitmedium

Es gibt kein analoges Leben im digitalen.

Caspar C. Mierau arbeitet als technischer Berater und denkt als Medienwissenschaftler, der zur Computergeschichte promoviert, über die Geschichte und Gegenwart von Technologie nach. Er schreibt und podcastet an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, Technik und Kultur. Notiert kurze Gedanken auf Mastodon. Hat "Leitmedium" ganz offiziell als Künstlername im Ausweis stehen.

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Die Sturmmaske vor der Schule

25. November 2015 by leitmedium

Es ist kurz vor acht Uhr. Ich stehe in der Morgendämmerung in der Kälte vor der Schule meiner Tochter. Wie jeden Tag sind wir halbwegs pünktlich gekommen. Ich habe sie schnell reingebracht, den viel zu schweren Ranzen im Klassenraum abgestellt, den üblichen Eltern-Smalltalk gehalten und bin wieder zu meinem Rad geeilt. Zeit, zur Arbeit zu fahren. Ich wähle ein Hörbuch aus, bringe meine Fahrradtasche am Gepäckträger an, schließe das Rad ab. Nachdem ich die Handschuhe angezogen habe, die dieses Jahr schon im Herbst zu wenig wärmen (liegt es an mir oder ist es wirklich so kalt?), will ich losfahren.

Ich halte auf dem Bürgersteig, denn ein kleiner weißer Schulbus fährt vorbei. Etwas irritiert mich: Im Bus sitzen der Fahrer, den ich nicht sehen kann und ein Mensch mit einer Sturmhaube. In mir macht sich ein unangenehmes Gefühl breit. Der Bus verlangsamt und setzt zum Wendemanöver an, um vor der Schule zu halten. Eigentlich könnte ich jetzt fahren. Doch ich bleibe stehen. In meinem Kopf spielen sich Gedanken ab: »Bus, Schule, Sturmhaube, Amoklauf, Terror, geh Deine Tochter retten, sei bereit«. Ich bleibe stehen und warte ab. Ein elterlicher Instinkt in mir sagt: Warte ab und rette Dein Kind, wenn es sein muss. Absurde Bilder von Menschen mit Sturmhaube und Maschinengewehren sind in meinem Kopf. Und dann meldet sich da immer wieder die andere Gehirnhälfte und sagt »Was zur Hölle machst Du hier? Fahr los! Da ist nichts!«. Doch die Angst gewinnt. Ich bleibe stehen. Der Bus hält. Ein fröhliches Kind mit Skimaske springt heraus und läuft lachend zu Freunden und weiter ins Schulgebäude. Ich schäme mich ein wenig vor mir selbst, vor meiner Angst und doch kann ich sie verstehen.

Ich fahre los und lächle verbittert. Nichts ist passiert und trotzdem ist alles ziemliche Scheiße.

Bildnachweis: Das Bild balaclava stammt von Flickr-NutzerIn woollypunk und steht unter einer CC-BY-SA-Lizenz (nachbearbeitet).

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  • 12 von 12 im Mai 2016
  • Blechhochzeit

Filed Under: Allgemein

Comments

  1. Konrad Neuwirth says

    25. November 2015 at 11:18

    Lese-Empfehlung. “@leitmedium: Gebloggt: Die Sturmmaske vor der Schule leitmedium.de/2015/11/25/die…”

  2. TAZ says

    25. November 2015 at 13:41

    Ich kenne diese angst gut, aber schlimmer ist die Traurigkeit die dahinter steckt…

  3. Heidi Siller says

    25. November 2015 at 13:50

    @leitmedium kann das sehr gut nachvollziehen. Tendiere aber schon seit jeher zu einer gewissen Paranoia. Bei Dir neu aufgrund d Ereignisse?

  4. ategus says

    26. November 2015 at 6:24

    @leitmedium die Schüler bis ins Klassenzimmer begleiten? Da würde man bei uns sofort auffallen. unangenehm. beim Direktor.

  5. Meise mit Herz says

    26. November 2015 at 22:05

    @leitmedium verzeih dir: du bist grad schwanger! #Verlustängste hatte ich da auch übelst! ((( )))