»Ich geh noch kurz auf die Toilette«, sagt er und verschwindet. Wir haben gerade unser »Business Lunch« gegessen und wollen zurück ins Büro. Ich zücke das Smartphone. Keine neuen Mails, Twitter ist gerade langweilig, auf Swarm habe ich schon eingecheckt. Ich erinnere mich, dass wir noch eine Runde Quizduell laufen haben. Ich beantworte drei Fragen, lege das Telefon weg und die Langeweile setzt wieder ein. Wann kommt er endlich? Da meldet sich das Telefon: Er hat seine Runde Quizduell beendet. Hat er gerade von der Restaurant-Toilette gespielt? Ja, er hat. Ich kann mich nicht entscheiden, ob ich die Situation gerade lustig oder merkwürdig finde. Vielleicht etwas von beidem. Ich absolviere meine Spielrunde. Eine Minute später bin ich wieder dran. Während er ein paar Meter entfernt auf der Restaurant-Toilette sitzt und wir spielen, denke ich darüber nach, wie das Smartphone unsere Toilette verändert hat: Die Zurückgezogenheit ist der Kommunikation, dem Spiel und der Arbeit gewichen. Zugleich bleibt der Ort selbst ein Tabu. Warum eigentlich?
Früher war die Toilette das »stille Örtchen«: ein isolierter Ort der Ruhe. Das mediale Angebot bestand aus Büchern, Comics und Magazinen. Wir haben passiv traditionelle Medien konsumiert. Heute ist das stille Örtchen nicht mehr still und unser Medienkonsum deutlich interaktiver. Ort und Situation sind ideal, um endlich mal in Ruhe das Smartphone rauszuholen. Es ist die digitale Zigarettenpause. Da sind zum Beispiel die vielen kleinen Casual Games, die nicht nur an der Bushaltestelle ein willkommener Lückenfüller sind. Chatnachrichten können beantwortet, Artikel gelesen und Mails geschrieben werden. Auch wenn es sich nach Freizeit anfühlt: Es ist das Gesetz der Ökonomie, das auch diesen Ort der Ruhe in mit „nutzbare“ Zeit. Das neue Potential ist so groß, dass sogar Apps wie „Pooductive“ die Zeit produktiv für gute Zwecke erschließen wollen.
Ist das schlimm? Verlieren wir einen wichtigen Ruhepol? Nein. Wir verändern uns. Toiletten-Zeit ist eine kulturelle Entwicklung. Es gibt kein natürliches Verhalten auf der Toilette. Wir sollten daher nicht in kulturellen Pessimismus verfallen, weil uns auch dieser Ort der Stille genommen wird. Vielmehr sollten wir uns fragen, warum wir noch immer nicht über diesen Ort kommunizieren, auch wenn wir viel an diesem Ort kommunizieren.
Es gibt auf der Toilette bisher nämlich nur eine Spielregel: You do not talk about restroom club! Toiletten sind gesellschaftlich auch heute ein Thema, über das wir lieber nichts sagen. Das hat Tradition. Selbst Science-Fiction, die uns technische Utopien für so ziemlich jedes Gerät präsentiert, verschweigt Toiletten konsequent. So ist in keiner der um die siebenhundert Folgen der fünf Star Trek Serien eine Toilette zu sehen. Wir wissen zwar, dass ein Replikator Essen und Getränke herbeizaubert, das Ende der Geschichte aber fehlt. Immerhin geht die aktuelle Raumfahrt offener mit dem Thema um und erklärt detailliert, wie man in der Schwerelosigkeit eine Toilette benutzt. Ob die Astronauten der ISS dort auch mit einer Art Smartphone „sitzen“?
Die gesellschaftlichen Regeln aber verändern sich. Vor einigen Monaten sorgte Cristina Guggeri mit ihren Bildern der Mächtigen der Welt auf der Toilette für Aufsehen. (Leider ist auf keinem Bild ein Smartphone zu sehen, schade.) Das Tabu Toilette bröckelt. Selbst die ZEIT spricht Ihre mittlerweile LeserInnen direkt auf dem „stillen Örtchen“ an. Und die junge Avantgarde scheut auch nicht vorm Telefonat auf der Toilette zurück. Die Süddeutsche titelte dazu passend »Toiletten sind die neuen Telefonzellen«.
Was hat uns so lang davon abgehalten, über die Toilette zu sprechen? Wir ekeln uns. Wovor? Vor Gerüchen und Keimen. Während Gerüche gut zu erkennen sind, sorgen Keime mit ihrer Unsichtbarkeit für ein unspezifisches Unwohlsein. Im Falle von Smartphones zurecht. Studien belegen, dass Smartphones Bakterien und Fäkalien-Rückstände aufweisen können. Das klingt etwas drastischer als es letztlich ist, aber wer will schon Dinge am Ohr haben, die er gern im Bad gelassen hätte. Erfreulicherweise zeigt sich, dass einfaches Abwischen des Smartphones zu einer spürbaren Reduktion der Verunreinigung führt. Nutzen wir doch einfach die langsam entstehende Offenheit zum Thema Toilette und fordern: Hände waschen, Smartphone reinigen. „Na, hast Du auch Dein Smartphone sauber gemacht“ wäre dann ein neuer Satz, mit dem Eltern ihren jugendlichen Kindern auf die Nerven gehen können. Die Zukunft ist manchmal auch ganz profan.
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Ich würde dazu anmerken dass die Toilette bei den Römern ja ein Gemeinschaftsort war. Dort wurde nicht selten über Verträge verhandelt.
Martin Luther hat übrigens ein Klo in seinem Arbeitszimmer gehabt und nicht selten von dort korrespondiert. Noch bevor es Smartphones gab.
Ein schöner Hinweis. Du hast absolut Recht, dass es sich lohnt, hier auch nochmal in die Vergangenheit zu gucken. Ich habe nochmal zu Luther nachgesehen und das hier gefunden:
http://www.luther2017.de/martin-luther/geschichte-geschichten/die-latrine-als-ort-reformatorischer-erkenntnis/
Es gab auch einen schönen Robert Heinlein-Roman, dessen Namen mir gerade nicht einfällt. Dort haben die Marsianer eine gemeinschaftliche Toilette gehabt, dafür war das Essen eine isolierte Geschichte. Also quasi das Gegenteil von dem was wir Menschen machen (und es verwirrte die menschlichen Protagonisten auch etwas).
Was mich an der Sache mit den Smartphones auf der Toilette wundert: ich kenne viele, die auch vor der Zeit der Smartphones Zeitschriften oder gar etwas wie einen Gameboy auf der Toilette liegen hatten (bzw. auch noch haben, wie erst kürzlich bei einem Bekannten aufgefallen). Das “irgendwas machen” hat sich jetzt als auf Arbeits- und Restauranttoiletten ausgeweitet und viele Sitzungen ganz schön verlängert…
@Nils K.: ich glaube das war Ray Bradbury in den “Martian Chronicles”, einer Sammlung von Kurzgeschichten. und nicht Robert Heinlein.