Vor ein paar Tagen wurde das Merkel-Interview von LeFloid breit diskutiert. Klar war: LeFloid konnte Bundeskanzlerin Merkel nicht aus der Reserve locken – für einige eine Enttäuschung, für andere nicht. Gerade geht ein kurzes Video rum, dass in nur wenigen Sekunden zeigt, wie auch die Kanzlerin überfordert sein kann und kurz die hässliche Seite der CDU-Flüchtlingspolitik in ihrer ganzen Härte zeigt. In einem Gespräch mit Schülern erklärt Angela Merkel einem palästinensischen Mädchen, warum “manche auch wieder zurückgehen müssen”. Wenig später weint das Mädchen und Merkel ist sichtlich überfordert – mit den Folgen ihrer eigenen Politik.
Es ist eine bedrückende Szene. Und das erste Mal, dass ich Kanzlerin Merkel überfordert sehe. Sie wirkt wie ein Emotions-armer Politikroboter, der sichtlich Schwierigkeiten hat, Trost zu spenden. Schade, dass erst Tränen vor der Kamera fließen müssen, um PolitikerInnen mit Folgen der Asylpolitik zu konfrontieren.
Ich habe das Gespräch kurz verschriftlicht (Zugänglichkeit und so. Einige Textstellen habe ich um Füllwörter für eine bessere Lesbarkeit gekürzt):
Mädchen: Ich habe ja auch Ziele wie jeder andere. Ich möchte studieren. Das ist wirklich ein Wunsch und ein Ziel, dass ich gerne schaffen möchte. Es ist wirklich sehr unangenehm zuzusehen, wie andere wirklich das Leben genießen können und man selber halt nicht mitgenießen kann.
Merkel: Ich verstehe das und dennoch muss ich jetzt auch … Politik ist manchmal hart … Wenn Du jetzt vor mir stehst … Du bist ja ein unheimlich sympathischer Mensch … Du weißt auch, in den palästinensischen Flüchtlingslagern im Libanon gibt es noch tausende und tausende. Wenn wir jetzt sagen “Ihr könnt alle kommen”, und “Ihr könnt alle aus Afrika kommen” und “Ihr könnt alle kommen”, das können wir auch nicht schaffen. Da sind wir jetzt in diesem Zwiespalt. Die einzige Antwort, die wir sagen, ist: Bloß nicht, dass es so lange dauert, bis die Sachen entschieden sind. Aber es werden manche auch wieder zurückgehen müssen.
*wenig später weint das Mädchen*
Merkel: Du hast das doch prima gemacht.
Moderator: Ich glaube nicht, Frau Bundeskanzlerin, dass es da ums prima machen geht, sondern dass es natürlich eine sehr belastende Situation ist.
Merkel: Dass weiß ich, dass das eine belastende Situation ist. Deswegen möchte ich sie trotzdem einmal streicheln, weil wir Euch ja nicht in solche Situationen bringen wollen und weil Du es ja auch schwer hast, weil Du es ja auch ganz toll dargestellt hast für viele viele andere, in welche Situation man kommen kann. … Ja?!
Update:
Auf »Indiskretion Ehrensache« weist Thomas Knüwer noch darauf hin, wie das Presseteam von Merkel die Angelegenheit aufarbeitet.
Jonas Jansen weist für (Triggerwarnung) die FAZ noch mal zurecht darauf hin, dass das Video ursprünglich länger ist und die obige Version auf den Punkt geschnitten ist. Ich bleibe inhaltlich aber bei meiner ursprünglichen Einschätzung.
Richard Gutjahr hat dokumentiert, wie die Presseabteilung von Merkel den Text nachträglich anpasst.
Twitter-NutzerIn @SunnyZitrone hat ein englisches Transskript erstellt.
Julia Schramm hat das Merkel Blog kurz aus der Sommerpause genommen und einige interessante Bemerkungen auf Twitter veröffentlicht.
Unter #merkelstreichelt gibt es ein aktives Hashtag zum Thema.
@leitmedium die Szene aus der Wahlarena zum Adoptionsrecht gleichgeschlicher Partner ist sehr ähnlich: youtube.com/watch?v=_ERfnT…
@leitmedium Das letzte “Mädchen” soll vermutlich “Merkel” heißen?
@kasimon danke!
@weezerle @leitmedium #merkelstreichelt sich den Bauch? 😛
@leitmedium ich glaube ja, daß roboter die art von journalisten sind die es immer! besser wissen und können – in der theorie. praktisch…
Danke für’s finden, schreiben und teilen.
@leitmedium Das Mädchen heißt Reem. focus.de/politik/deutsc…
@elefantenruesel Danke. Warum auch immer der Focus darauf hinweisen muss, dass das Mädchen „hübsch“ ist :/
@leitmedium Urgh. Echt? Sorry, hab ich überlesen. :/
The transcript in English (if helpful as a comment, sonst gerne anders in den Artikel einbauen, weitergeben o.ä.)
Girl (Reem): I have goals, you know, like everybody else. I want to go to university. That is really my goal and my wish, and I really want to succeed. It’s really very painful to see how others can enjoy their lives and you yourself can’t enjoy it together with them.
Merkel: I understand this and nonetheless I have to… Sometimes, politics is tough… Now that you’re standing in front of me… You’re a very likeable person… But you know as well, that in the Palestinian refugee camps in Lebanon, there are thousands and thousands more. Now if we said, “You can all come here”, and “You can all come here from Africa”, and “You can ALL come here”, we can’t make it either. Now, we are having this dilemma. The only answer we can give is this: To make sure that it doesn’t take as long until a decision is made. But some will have to go back.
*Merkel keeps talking*
*soon after, the girl starts crying*
*Merkel notices the girl crying*
Merkel: Oh… You did such a good job.
Presenter: I don’t think, Madame Chancellor, that this is about doing a good job, but this is a very straining situation.
Merkel: I know it’s a straining situation. And I still want to caress her, because I… because we don’t want to bring you into this kind of situation and because you’re having a tough time, because you presented very well to many, many others into what kind of situation one can get… right?!
@leitmedium Aber schöne Reaktion vom Moderator, in der Situation und gegenüber Merkel.
@leitmedium Guter Artikel! Technische Frage: Wie ermöglichst du die Kommentierung unterm Artikel „via Twitter/FB“. Teil von Genesis?
@mensel komplexes Thema: Indieweb indiewebify.me – habe ich bei @diplix gesehen. Bin noch in der Experimentierphase.
@leitmedium Danke! Schaue es mir mal an, das ergibt schwer Sinn.
Ich mag die Merkel (bzw. ihren Parteienklüngel) auch nicht besonders.
Schön zu sehen, dass ein Politiker mal die Nebenwirkungen seiner eigenen Medizin aushalten muss.
Andererseits, wenn man mal drüber nachdenkt: Wer von den schadenfrohen, hämischen und sonstigen Kommentatoren kann mir – nachdem er sein Gemütchen etwas abgekühlt hat – eine Lösung anbieten?
Im Endeffekt ist es ein reines und vor allem sinnloses Gelaber was hierüber stattfindet.
Mal ehrlich: Wer von UNS will denn bitte ALLE Flüchtlinge aufnehmen?
“DU”? Wirklich? Sicher, dass du nicht auch schon mal gefragt hast: “Wer soll das bezahlen?”, “Warum sollen WIR das alles bezahlen?” oder “DIE kommen her und was dann?” ?
Im Endeffekt sollen die “Einwanderungs-” und “Asyl-Gesetze” ein Minimum an Genaustausch und sozialer Kompetenz realisieren und vor allem UNSEREN Lebensstandard schützen.
Mich würde interessieren wie WIR in der Situation reagiert hätten?
Das Pseudo-Mitleid gegenüber dem Mädchen hilft ihr bestimmt nicht.
IMHO… und nein ich hab auch keine Lösung… aber Shitstorms helfen hier ganz sicher nicht…