Leitmedium

Es gibt kein analoges Leben im digitalen.

Caspar C. Mierau arbeitet als technischer Berater und denkt als Medienwissenschaftler, der zur Computergeschichte promoviert, über die Geschichte und Gegenwart von Technologie nach. Er schreibt und podcastet an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, Technik und Kultur. Notiert kurze Gedanken auf Mastodon. Hat "Leitmedium" ganz offiziell als Künstlername im Ausweis stehen.

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Kinderbücher als eBooks – wenn ich nur nicht schon über 35 wäre

5. Juni 2015 by leitmedium

Seit mehreren Jahren unternehme ich immer wieder Versuche, endlich mit eBooks klarzukommen. Ich werfe mir ein wenig vor, innerlich zu alt zu sein, um ernsthaft eBooks lesen zu können. Die logische Seite in mir sagt: »Sie kosten ein bisschen weniger, fangen keinen Staub, belegen keinen Regalplatz«. Die emotionale Seite sagt; »Aber es sind keine echten Bücher und das mit den Lesemöglichkeiten ist doch irgendwie alles nicht fertig«.

Ein paar eBooks habe ich bereits gekauft. Und manchmal komme ich ganz gut damit zurecht, mit einem Kindle im Café zu sitzen und zu lesen. Mit Kathrin Passig, die eine fast emphatische Verfechterin von eBooks ist, habe ich in Leitmotiv länger über eBooks gesprochen.

Meine derzeit häufigsten Buch-Käufe sind Kinderbücher. Ich lese jeden Abend zum Einschlafen vor und regelmäßig muss Nachschub her. Alle drei Pu der Bär Bände sind durch, das Sams, die Kinder aus Bullerbü, Marry Poppins und Ronja Räubertochter können fast wörtlich zitiert werden. Gestern wollte ich den zweiten Teil von “Emil und die Detektive” kaufen (Ja, es gibt einen zweiten Teil), da das erste Buch mit höchster Spannung konsumiert wurde. Es ergab sich folgender Dialog:

Ich, am Rechner sitzend: »So, ich bestelle jetzt das zweite Emil-Buch.«
Tochter (6): »Ja! Dann können wir das heute lesen!«
Ich: »Nein… Das ist frühestens morgen da.«
Tochter: »Ach, menno 🙁«
Ich: »Ich könnte das Buch auch für den Kindle bestellen. Dann kann ich es heute vorlesen!«
Tochter: »Ja!«
Ich: »Aber dann ist es nicht aus Papier. Es geht dann nur auf dem Kindle, dem iPad und so.«
Tochter: »Nein… Ich will es lieber aus Papier.«
Ich: »Wie Du willst. Wenn wir es auf für den Kindle bestellen, hätten wir es immer dabei, egal, wo wir sind.«
Tochter: »Ja, das will ich!«

Ich habe das Buch folglich bei Amazon als eBook bestellt und es war wenige Sekunden später auf dem iPad. Die wichtigste Frage wurde sofort geklärt: Sind die Bilder drin? Ja, sind sie. Abends fühlte es sich ungewohnt an, im Bett vom iPad vorzulesen. Die Kinder liegen links und rechts von mir und ich trage die Worte vom Bildschirm vor. Die Körperhaltung ist anders. Ich kann nicht auf dem Rücken liegen, weil das Gerät zu schwer ist. Die Buchstaben wirken anders. Aber es sind einfach nur Worte, egal ob auf Papier oder einem Bildschirm – rede ich mir ein. (Der Medienkulturwissenschaftler in mir dreht sich bei dieser Nicht-Unterscheidung von Medien leicht im Grab um). Und das iPad ist auch kein ungewohnter Zeitgenosse im Bett: Es spielt täglich nach dem Vorlesen Chilly Gonzales in Dauerschleife. Perfektes Sedativum. Es ist also nicht so, als würde plötzlich Technologie ins Bett eindringen. Sie war schon längst da.

Nach dem Vorlesen des ersten Absatzes war es den Kindern ziemlich egal, dass ich vom iPad vorlas. Nur mir nicht. Nun, ich bin auch über 35, um Douglas Adams zu zitieren:

»I’ve come up with a set of rules that describe our reactions to technologies:

1. Anything that is in the world when you’re born is normal and ordinary and is just a natural part of the way the world works.
2. Anything that’s invented between when you’re fifteen and thirty-five is new and exciting and revolutionary and you can probably get a career in it.
3. Anything invented after you’re thirty-five is against the natural order of things.«

Aber nie mehr unterwegs erklären zu müssen, dass ich das aktuelle Vorlesebuch vergessen habe, das ist eine unheimlich angenehme Vorstellung. Auch wenn sich die Umstellung aufs Display gerade bei Kinderbüchern merkwürdig anfühlt, macht es hier gerade Sinn, einen Fundus an Bücher überall parat zu haben. Ich versuche einfach mal, mich so zu verhalten, als sei ich unter 35.

p.s.: eBooks sind trotz leichter Preisreduzierung noch immer zu teuer.

p.p.s.: Es nervt, dass die verschiedenen eBook-Plattformen nicht kompatibel sind.

 

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