Gestern wurde auf Twitter auf eine problematische Karikatur in einem FAZ-Artikel aufmerksam gemacht. Ich fasste es noch einmal in etwas deutlichere Worte:
https://twitter.com/leitmedium/status/491232046464131073
Die Reaktionen auf Twitter zeigten: Viele andere Leser sehen die Karikatur ebenfalls als in dieser Form nicht akzeptabel an. Ein Blogpost erklärt noch einmal ausführlich, warum das so ist. Es entwickelte sich ein “Shitstorm“. Das heißt in diesem Fall, dass in kurzer Zeit eine spürbare negative Aufmerksamkeits- und Kommentarwelle über die FAZ spülte. Das ist per se nichts schlechtes, denn Empörung ist ein gesellschaftliches Mittel, um soziale Normen zu transportieren und auszuhandeln. Gerade wenn eine Empörungswelle nicht direkt in das Privatleben einer Person eingreift, sondern sich an einem publizistischen Werk abarbeitet, ist es ein ideales Mittel, dieser Normenaushandlung Raum zu geben. Anfang Januar habe ich in einem Interview gemeinsam mit Patrick Breitenbach über das Thema gesprochen.
Seit kurzem betreibt die FAZ mit @faznet einen Twitter-Account, in dem sich die Online-Redaktion der FAZ auch direkt zu Wort meldet und ggfls. auf Tweets antwort (Hier gibt es ein interessantes Kurzinterview dazu). Gestern wurde die Kritik an der Karikatur wie folgt offiziell kommentiert:
.@leitmedium Die Karikatur stammt von Greser & Lenz (ehemals Titanic). Sie spießen auf, was so mancher Deutsche heimlich denkt. (1/2)
— FAZ.NET Redaktion (@faz_Redaktion) July 21, 2014
.@leitmedium Das kann manchmal böse und hintersinnig zugleich sein. Der Rassismus-Vorwurf ist jedenfalls nicht haltbar. (2/2)
— FAZ.NET Redaktion (@faz_Redaktion) July 21, 2014
Argumentativ wurde vorgetragen: Die Karikatur zeigt, was mancher Deutsche so heimlich denke und sei deswegen nicht rassistisch. Das ist natürlich auf so ziemlich jeder Ebene falsch. Besonders schwierig ist die klare Ablehnung der Kritik. @faznet unterstreicht: Es gibt nichts zu kritisieren. Im Laufe des Tages folgten weitere Erklärungsversuche dieser Art:
@coeibu @leitmedium Es vergrößert vorhandene Ressentiments ins Unwahrscheinliche und macht sie dadurch lächerlich.
— FAZ.NET Redaktion (@faz_Redaktion) July 21, 2014
@ploerre Ein Bild kann keine Pointe haben. Es zeigt jedoch ein Ressentiment so grotesk vergrößert, daß es dadurch lächerlich wird.
— FAZ.NET Redaktion (@faz_Redaktion) July 21, 2014
@herr_haeberle es zeigt es nicht einfach, es vergrößert ins Groteske und macht das Ressentiment dadurch lächerlich. Satire eben.
— FAZ.NET Redaktion (@faz_Redaktion) July 21, 2014
usw… Es wird also festgehalten an der klaren Haltung: Alles richtig gemacht, Kritik falsch. Damit macht das Shitstorm-Management einen fatalen und häufig gesehen Fehler: Es produziert einen Skandal zweiter Ordnung.
Vor zwei Jahren erschien das empfehlenswerte Buch “Der entfesselte Skandal” von Bernhard Pörksen und Hanne Detel. Darin wird dargelegt, wie im digitalen Zeitalter neue Skandalisierungs-Möglichkeiten entstehen und wie die Mechanismen dahinter funktionieren. Besonders hervorzuheben ist die Erklärung dessen, was man “Skandal zweiter Ordnung” nennen kann. In Bezug auf den Soziologen John B. Thompson, der in seinem Buch “Political Scandal. Power and Visibility in the Media Age” das Prinzip der Grenzüberschreitung zweiter Ordnung erläuterte, wird anschaulich dargelegt, wie der falsche Umgang mit einem Skandal einen zweiten produziert (als Beispiel sei Guttenbergs monatelanges Taktieren um seine Doktorarbeit genannt):
John B. Thompson zeigt, dass das Skandalmanagement sich im Extremfall zum eigentlichen Skandal wandeln kann, dass der Umgang mit der ursprünglichen Grenzüberschreitung – z.B. durch Leugnung, die Bagatellisierung womöglich als erneute bzw. gar die entscheidende Grenzüberschreitung interpretiert wird. So heißt es: »Individuen können die Anschuldigungen schlicht zurückweisen und bestreiten, dass Normverletzungen stattgefunden haben, oder auch einfach leugnen, dass sie überhaupt etwas damit zu tun hatten. Aber auch diese Strategie kann riskant sein, da sie den Fokus der Aufmerksamkeit auf die Möglichkeit von Grenzüberschreitungen zweiter Ordnung lenkt. Und diese können, wenn sie sich als zutreffend erweisen, für die Reputation eines Individuums noch weitaus schädlicher sein als die Aufdeckung des ursprünglichen Verstoßes.«
(Quelle: Bernhard Pörksen und Hanne Detel, Der entfesselte Skandal. Das Ende der Kontrolle im Digitalen Zeitalter, Köln 2012, S. 106.
Oder um es in einer Grafik zu zeigen:
(Quelle: ebd., S. 105)
Man muss festhalten, dass es oft erst der Skandal zweiter Ordnung ist, der für eine weitaus größere Empörungswelle sorgt: Das Negierung sozialer Normverstöße, das Leugnen oder Lügen wird gesellschaftlich weitaus stärker abgelehnt, als so manch anderes Ungeschick. Im Verteidigungsmodus neigen wir dazu, trotzig auf unserer Meinung zu beharren und Kritik pauschal abzulehnen. Dies überführt den mutmaßlichen “kann mal passieren”-Fehltritt in ein “das war bewusst so geplant”-Fehltritt. Es fragt sich, ob in manchen Situationen nicht eher gar nicht reagiert werden sollte oder – besser – defensiv mit offenem Ausgang, z.B.: “Wir haben die kritischen Stimmen vernommen. Wir haben die Karikatur anders interpretiert und werden in Zukunft sensibler auf das Thema achten”. Mit Äußerungen dieser Art verliert man nicht sein Gesicht, nimmt einem Skandal aber den Wind aus den Segeln.
Diese Empfehlung gilt nicht nur für die Social-Media-Redakteure von Publizistischen Angeboten (auch das @tazgezwitscher hatte in den letzten Jahren den ein oder anderen Fehlgriff in dieser Hinsicht). Bei den Piraten, deren Skandale ich ein Jahr lang im Blog PopcornPiraten begleitet habe, sorgten erst Skandale zweiter Ordnung für die richtig große “Gates”. Es sind immer wieder die Reaktionen/Korrekturversuche, die einem Shitstorm zu einem heftigen Orkan werden lassen. Nicht zu unterschätzen ist dabei die Recherche-Wut, der Masse, die jedes Wort auf die Goldwaage legt und nachrecherchiert. Dabei vergisst man auch jegliche Datenschutz-Bestrebungen und enttarnt eigene Kandidatinnen in der Öffentlichkeit. Aktuelles Beispiel eines Piraten-versuchen-zu-korrigieren-Vorfalls: Der Bundesvorstand der Piraten ermahnt öffentlich einen Landesvorstand doch bitte nicht der Partei durch öffentliche Diskussion zu schaden (offenbar ohne vorher selbstpersönlich Kontakt aufzunehmen).
Was bleibt ist die Feststellung: Wenn es Kritik hagelt, gilt es nicht, nur darauf zu achten, ob man sie für gerechtfertigt hält oder nicht. Man kann sich mehrfach irren oder auch schlicht anderer Meinung sein als die Öffentlichkeit. Es gilt jedoch, sensibel mit seiner eigenen Verteidigung umzugehen und zurecht oder unrecht empörte Menschen nicht durch weitere Äußerungen erst richtig auf die Palme zu bringen.
p.s.: Zum aktuellen Vorfall empfiehlt sich der Extra3-Artikel “Was darf Satire?“
Bildnachweis: “fabcom_IMG_9968” von Flickr-Nutzer “fabcom“, lizensiert unter CC-BY-NC (nachbearbeitet).
Schön auch die Aussage im oben verlinkten Tweet: “Ein Bild kann keine Pointe haben.” Das ist natürlich vollkommener Quatsch. Im ganz überwiegenden Teil haben Karikaturen eine Pointe. Über eine solche lässt sich vortrefflich Kritik vermitteln. Die Pointe in der kritisierten Karikatur ergibt sich erst aus dem Zusammenspiel von Bild und Bildunterschrift, wo erst so richtig klar wird, dass es um ausländische Fachkräfte geht und dass deren Qualität in Abrede gestellt wird.
ein bild kann keine pointe haben – gut, dass wir darüber mal gesprochen haben.
aber warum so schüchtern? das lässt sich weiterführen:
eine redaktion kann keine verantwortung für gekauften inhalt haben. satire kann nicht diskutiert werden.
ich werde diese tageszeitung nicht kaufen. sie hat kein rückgrat.
.~.
Verstehe ich richtig: Wenn “viele Leser” etwas als ebenfalls nicht akzeptabel ansehen und es einen Blogpost gibt, der nochmal “ausführlich erklärt, warum das so ist”, dass der dann folgende _richtige_ Umgang mit Empörung sein soll: Die Kritik annehmen, sich nicht verteidigen, sich entschuldigen, Besserung geloben?
Nun, wie wäre das aber, wenn eine Gruppe “Männerrechtler” einen feministischen Artikel oder gar eine solche Karikatur kritisiert, die sie für “männerfeindlich” halten. Würdest Du dann tatsächlich dafür plädieren, diese Kritik anzunehmen und sich zu entschuldigen?
Ich vermute ja nicht. Und daran sieht man doch, dass solche Fragen offenbar nicht eindeutig beantwortbar sind, was nun akzeptabel ist oder nicht.
Oder übersehe ich etwas Entscheidendes in Deiner Argumentation?
“Wenn es Kritik hagelt, gilt es nicht, nur darauf zu achten, ob man sie für gerechtfertigt hält oder nicht. Man kann sich mehrfach irren oder auch schlicht anderer Meinung sein als die Öffentlichkeit. Es gilt jedoch, sensibel mit seiner eigenen Verteidigung umzugehen und zurecht oder unrecht empörte Menschen nicht durch weitere Äußerungen erst richtig auf die Palme zu bringen.”
Wenn die FAZ sich im Recht sieht (mal abgesehen davon, ob es auch so ist), darf sie sich auch verteidigen. Ich finde nicht man sollte seine Argumente abschwächen, nur weil man einen Shitstorm befürchtet. Im besten Fall steht der Redakteur/die Redakteurin zu ihrer Meinung und schlussendlich fällt die Kritik fällt auf die Teilnehmer des Shirtstorms negativ zurück.
Den größten Schatten, den digitale Medien erzeugen ist der Zwang zum Common Sense und der Verlust von Haltung. Die Folge sind unsichtbare Autoren, die sich irgendwo hinter einer milglasartigen Scheibe aus Political Correctness verbergen. Ob sie wirklich Positionen hätten, über die es sich zu streiten lohnt, wird so niemand mehr erfahren. Das schlimme daran ist, dass die Auseinandersetzungen nicht mehr geführt werden und echte Verbesserung der Situation für Menschen, die ausgegrenzt werden, gar nicht mehr erfolgt. Wir einigen uns darauf, sie im Unsichtbaren zu lassen, um den Status Quo zu erhalten. Wem nutzt das am Ende?
So mancher Deutsche denkt also so und deswegen kann es nicht rassistisch sein? Ernsthaft?
Das Buch von Pörksen und Detel hingegen klingt echt gut.
Auch wenn ich einen Shitstorm in Kauf nehme, frage ich mich gerade, welche Diskussion hier eigentlich geführt wird.
Die Fakten:
Die FAZ hat einen Artikel über den Fachkräfte/Ärztemangel in Deutschland veröffentlicht. Dort geht es unter anderem auch um den Plan, ausländische Fachkräfte einzuladen, in Deutschland zu arbeiten.
Dann hat die FAZ ein Bild dazu gelegt, was mit dem eigentlichen Thema ziemlich wenig zu tun hat: ein Bild, welches das Problem vom heimlichen Rassismus in Deutschland thematisiert – abgebildet mit einer “ausländischen” Fachkraft als Arzt.
Die gestern erfolgte Diskussion, die entstand, machte der FAZ den Vorwurf, ein Bild gewählt zu haben, das erstens NICHT zum Artikel passt, zweitens Rassismus beinhalte.
Ich bin der Meinung, das Bild völlig separat zu betrachten. Für sich gesehen ist das Bild ein Spott über den heimlichen deutschen Rassismus!
Der Artikel in der FAZ hat mit dem Thema des Bildes aber NICHTS zu tun. Das Thema des Bildes ist aber dennoch böser Spott gegen den Deutschen, so wie er (hier) eine “Ausländische Fachkraft” eigentlich sieht. Wer sich den alten Mann da anschaut, der wird merken, dass er so gar nichts mehr mitbekommt. Nein der Betrachter des Bildes soll herausfinden, dass heimlicher Rassismus in der Gesellschaft das Problem ist, also er selbst (der Betrachter). Das Spannungsfeld hier in D ist ja der heimliche Rassismus innen und die gleichzeitige Tabuisierung dessen nach aussen. Die Bildunterschrift überspitzt genau dies durch die “äusserst positive”, aber widersprüchliche Bild-Unterschrift: “Deutschland profitiert von ausländischen Fachkräften.”
So, nun meine Frage:
JA, dieses Bild hat mit Rassismus zu tun, und zwar mit der üblen Sorte des Rassismus. Es thematisiert den heimlichen, verlogenen Rassismus unserer Gesellschaft.
Der Artikel in der FAZ hatte NIE irgendeinen Rassismus thematisiert, sondern sich mit dem Thema Fachkräftemangel in Deutschland beschäftigt. Das gewählte Bild ist also sowas von am Thema vorbei.
Was aber soll nun diese Diskussion? Wieso wirft man der FAZ jetzt Rassismus vor? Man kann ihr vorwerfen, völlig am Thema vorbei ein Bild platziert zu haben, was in diesem Zusammenhang einen äusserst schlechten Geschmack hervorruft.
Aber man kann der FAZ nicht vorwerfen rassistisch zu sein. Das ist genau so am Thema vorbei.
In meinen Augen muss sich die FAZ dafür entschuldigen, dass sie ein NICHT zum Thema passendes Bild ausgewählt hat, nur weil dort eine “ausländische Fachkraft” abgebildet. Wie gesagt, das Bild thematisiert in meinen Augen genau etwas anderes: Nicht die Fachkraft ist das Problem, sondern der rassistische Umgang in Deutschland damit. So verstehe ich das Bild. Man muss auch mal seine eigenen Meta-Ebenen im Hirn einschalten. Sonst muss man sich den Vorwurf des Schwarz-Weiß-Denkens gefallen lassen.
Wie wir ja bereits diskutiert hatten, spottet die Karikatur keineswegs über den heimlichen deutschen Rassismus.
Doch das tut sie. Weiterhin.
Desweiteren möchte ich Dich weiterhin bitten, fair zu bleiben. Die Klarstellung drüben diente nur dazu, mögliche andere Missverdtändnisse zu vermeiden. Ich habe dort aber meine Meinung zum Bild selbst nicht revidiert, wozu auch ? Das sollte jedem auch klar sein, der drüben meine Beiträge gelesen hat …
Je mehr “Shitstorms” es gibt, desto lächerlicher werden sie. Wenn sie nicht richtig wirken, gibt es eine zweite Welle, in der die “Shitstürmer” behaupten, die Sache selbst möge zwar doch nicht ganz so schlimm gewesen sein, aber die Reaktion des Angegriffenen sei nun aber wirklich schlimm.
Das ist grotesk. “Shitstorms” sind die neuen Stammtische. Sie verdienen genauso viel oder wenig Aufmerksamkeit wie Stammtischparolen.
Hinzu kommt, dass ein einzelner “Shitstürmer” sich leicht virtuell vervielfachen kann, was einem einzelnen “Stammtischler” schlecht möglich ist.
Ist es jetzt Zeitmangel, lieber Herr “Leitmedium”, dass sie einen durchaus kritischen Post zu diesem Thema noch nicht veröffentlicht haben, oder steckt dahinter vielleicht doch das Kalkül, sich unangenehmer aber berechtigter Kritik durch Tilgung und Tabuisierung zu entziehen?
Wie auch immer, meinen Post habe ich um 10:29 abgeschickt und er hatte zum Thema, dass das thematisierte Bild Selbst nicht rassistisch ist, aber den verlogenen stillen Rassismus in D kritisiert und verspottet. Ich selbst kritisierte im Post auch das verbreitete naive Schwarz-Weiß-Denken unserer Gesellschaft. Bei diesem Bild jetzt sofort “Hilfe, Rassismus! ” zu schreien, ist hierbei aber ungefähr dasselbe unreflektierte Schwarz-Weiß-Denken, wie man es dem Rassisten selbst vorwirft. Keinen Deut besser oder reflekierter.
Nu laß’ ihm doch mal ein wenig Zeit – der Mann macht die Kommentarmoderation ja nicht hauptberuflich. Mein Post lag auch etliche Stunden auf Halde, so ist das nun mal, wenn – vermutlich hier nicht ohne Grund – manuell gearbeitet wird.
Das bedingungslose Einknicken bei jedem lauen Lüftchen von vorne kann auch nicht immer richtig sein. Nur zwei wohlbekannte Beispiele:
Partei der Besserverdienenden
“Wenn für Sie [SPD] die Besserverdienenden bei einem [auf Rückfrage gerade eben von Ihnen explizit genannten] Einkommen anfangen, das dem eines gehobenen Facharbeiters entspricht, dann sind wir die Partei der Besserverdienenden.”
Peanuts
“Wir haben gerade einen Verlust von 5 Milliarden zu verdauen und Sie reiten ständig nur auf 50 Millionen an offenen Handwerkerrechnungen herum, also gerade 1 % der Summe und damit im Vergleich Peanuts. Selbstverständlich werden wir alle diese Rechnungen vollständig bezahlen, das ist unsere kleinste Sorge.”
Beides waren wohlbegründete und sachlich völlig angemessene Einwände und hätten verdient, offensiv vertreten zu werden. Mit dem feigen Einknicken würde den verlogenen Beschuldigern implizit recht gegeben. Nicht der einfachste Weg ist in jeder Lage auch der richtige.
Für das konservativ angehauchte, sich gebildet gebende Spießbürgertum ist es eben völlig unverständlich, das bisschen Rassismus kritisiert zu sehen.
Man vergleiche folgenden Fall: Ein Herr Universitätsprofessor, den wohl die Schreibwut gepackt hat, setzt einen überlangen Aufklärungs-Artikel ins Internet, und will an einer Stelle den Begriff “Offenbarungswissen” erklären. Wie macht er das? Indem er sich eine fiktive Figur ausdenkt, die äußerst unwissend sein soll, und diese, haha wie witzig, “den kleinen Hirtenjungen Owamba Habumbu Mula Mula aus der Steppe von Oberlambobumbistan” nennt.
(siehe hier: http://beyer-a.de/paper/creation&science_(beyer).pdf)
Das nennt man dann wohl unverhohlenen Rassismus im Dienste von Aufklärung und Wissenschaft… aber man kann ja mal bei dem betreffenden professoralen Autoren oder auch seiner tollen Universität nachfragen wie sie es rechtfertigen, dass solches Dumpfbackengequatsche ins www gesetzt wird – es dürfte das gleiche kommen wie von der FAZ (“soll ja nur witzig sein”).
Ein gutes Krisenmanagement hätte m.E. so ausgesehen, dass der Produzent der Grafik sich äußert, und dass die Auswahl des Motivs dargestellt wird.
MIr ist unklar, wenn ich den Artikel lese, wieso hier ausländische Fachkräfte thematisiert werden. Kann es sein, dass man die Grafik anläßlich einer anderen Debatte schon mal gebracht hat? Oder wurde sie als Auftragsarbeit zum Thema angefordert? War im Text mal von ausländischen Ärzten die Rede und ist das aus dem Artikel wg. Platzmangels gestrichen worden? Oder war das Thema mal allgemein ausländische Fachkräfte?
Man könnte argumentieren, dass ein Ausländer gleich plakativ als Schwarzer ins Bild gerückt wird, und dass dieser als primitiv, nämlich mit Maske, Lendenschurz und offenem Feuer dargestellt wird.
Allein, wenn ich mir meinen Berliner Stadtteil ansehe, dann residiert in repräsentativer Lage was? Ein Schamane! Offenes Feuer wird er nicht haben – eher Räucherstäbchen. Eine Maske halte ich für möglich, aber da auf seinen Visitenkarten, die am Praxiseingang aushängen, sein Gesicht zu sehen ist, müsste das wohl eher eine Fränkisch/Germanisch/Gotische oder sowas sein, wenn es das je gab.
Und gerade im Leserkreis der FAZ gibt es wohl besonders viele Esoterikkunden. Eine Abwertung ist hier nicht unbedingt Subtext der Grafik, und der Kirchturm im Hintergrund ist m.E. ein Wink mit dem Zaunpfahl über hiesige Dämonenkulte die in die Gegenwart fortwirken.
Das gibt aber kein einheitliches Bild.
Womöglich würde es helfen das Opus der Künstler besser zu kennen, um es mit anderen Arbeiten zu vergleichen und besser einordnen zu können.
Der Kirchturm kann auch einfach eine Ikone für “Land” sein, so wie die Kühe, die ja auch nicht mehr zum aktuellen Landleben zählen, so malerisch an der frischen Luft.
Womöglich ist es ein Potpurri, bei dem ein wenig in mehrere Richtungen ausgeteilt werden soll, und auch solch eine traditionelle Bildersprache in Kauf genommen wurde. Es ist ja nicht so, als ob es Medizinmänner nicht wirklich gäbe. Und einerseits ist deren Auftreten nicht normiert, und andererseits sind die Möglichkeiten einen Medizinmann zu zeigen für Cartoonisten begrenzt – man könnte natürlich auch Voodoo-Puppen und blutende Hühner zeigen statt Maske und Feuer, aber am Rassismusvorwurf hätte das nichts geändert.
Bleibt die Frage, wie man vom Ärztemangel auf ausländische Fachkräfte gekommen ist. Als theoretische Problemlösung, wenn solche billig aus dem Ausland angeheuert werden können, weil sie hier deutlich mehr verdienten als in der Heimat. Tja – ein rumänischer oder russischer Arzt wäre wohl schwieriger darzustellen gewesen. Hätte man bei diesen auch eine schlechtere Ausbildung thematisiert? Ist das ein Thema unter Patienten? Ist das ein empirisch belegbares Problem, schon heute?
Ein rundes Bild ergibt sich für mich hier nicht. Das Bild, gerade mit dem Kirchturm im Hintergrund, kritisiert m.E. eher esoterischen Wunderglauben.