“Siri, benachrichtige mich, wenn meine Frau zu Hause das Haus verlässt” spreche ich in mein Telefon und erhalte eine freundliche Bestätigung. Umstehende Menschen verfallen in eine Schockstarre. Überwacht da jemand seine Frau? Ist das Ende des Abendlandes erreicht? Doch beginnen wir von vorn…
Als Google letztes Jahr Latitude abgeschaltet hat, war ich betroffen: Ich habe den Ortungs-Dienst genutzt, um als Freiberufler besser Rechnungen zu stellen (Wo war ich vorletzten Dienstag?) und nachsehen zu können, wo Freunde und Verwandte sich gerade befinden. Besonders oft habe ich nachgesehen, wo sich gerade meine Frau befindet: Mit zwei Kindern ist die Familienkoordination manchmal etwas hektisch und wenn man weiß, wann jemand ungefähr zu Hause ist, ist das ungemein praktisch.
Dieses Echtzeit-Wissen um den Aufenthaltsort einer Person ist ungewohnt. Ich kann mich an ungläubige Blicke erinnern, wenn ich meinte, „Ich seh‘ mal kurz nach, wo meine Frau ist“, um dann eine auf wenige Meter genaue Karte hervorzuzaubern.
Nach dem Ende von Latitude bin ich auf die etwas sperrig benannte „Meine Freunde suchen“-iOS-App von Apple umgestiegen. Diese bietet zwar keine Historie, lässt einen aber immerhin Personen – die das explizit freigegeben haben – in Echtzeit lokalisieren. Als ich eines nachmittags mal wieder einen „Ich rede ein wenig mit Siri“-Anfall hatte, kam ich auf die Idee, Familienverhältnisse anzugeben und begann mit meiner Ehe mit @fraumierau:
Siri kennt das Konzept „Ehe“, was für diverse Dienste wie Sprachwahl („Ruf meine Frau an“) Sinn macht. Da ich „Freunde Finden“ schon eine Weile verwendete, probierte ich als nächste „Wo ist meine Frau?“ und bekam meine Antwort:
Bis jetzt handelt es sich “nur” um eine bequeme Sprachsteuerung eines seit Jahren bekannten Dienstes. Doch “Meine Freunde suchen” und Siri setzen noch einen drauf, denn man kann sich auch darüber informieren lassen, wenn eine Person an einem Ort ankommt, oder ihn verlässt. Dies wirkt umso befremdlicher, wenn man folgenden Satz in sein Telefon spricht:”Benachrichtige mich, wenn meine Frau das Haus verlässt” – und diese gleichmütige Bestätigung erhält:
Trifft das abgefragte Ereignis ein, wird man per Push-Notification benachrichtigt:
Zusammengefasst ist das alles nichts neues: Location-basierte Dienste gibt es seit Jahren, Sprachsteuerung ist auch kein neues Konzept und doch ist das Aussprechen des Satzes “Siri, informiere mich, wenn meine Frau das Haus verlässt” in der Öffentlichkeit durchaus Aufmerksamkeit , wenn nicht Ungläubigkeit oder gar Belehrungen produzierend.
Über die Auswirkungen solcher und ähnlicher Dienste auf Beziehungen habe ich schon einmal ausführlicher berichtet. Mein Resümee lautete schon damals, dass der Kontrollverlust sich auch zunehmend in zwischenmenschlichen Beziehungen bemerkbar macht, zugleich aber auch ganz neue Formen der Kommunikation ermöglicht. Persönlich bin ich bin dankbar für diesen Dienst , der uns so manche Zeitplanung enorm vereinfacht . Kein “Gib mir doch Bescheid, wenn Du losfährst”, keine hektische Anrufe, während man am Auto-Steuer sitzt.
Dass der Einsatz von “Meine Freunde suchen” und ähnlichen Technologien einen starken Einfluss auf eine Beziehung hat und eine “offene” Form der Beziehung im Sinne offener Daten voraussetzt, steht außer Frage. Denn weggefallen ist durch Technologien dieser Art das heimliche Besuchen von Orten. Es ist mitnichten so, dass man stundenlang vor dem Bildschirm sitzt und dem Anderen beim (Nicht-)Bewegen zusieht. Das ist spätestens nach einer halben Stunde langwelig. Aber vielleicht möchte man ein Geschenk besorgen an einem “verräterischen” Ort und in genau diesem Augenlick wird man beobachtet. Etwas ähnliches ist mir erst vor ein paar Wochen passiert, nur war ein Foursquare-Checkin der Fehler. Ich habe es nicht kommen sehen. Kontrollverlust eben.
Wie es um Eifersucht und Heimlichkeiten in der Beziehung steht, kann ich schlecht beurteilen. Ich führe heute im Gegensatz zu früher eine Beziehung, die nicht auf Geheimnissen beruht und es auch nicht mehr könnte. Geldflüsse, Freundschaften, Klatsch und Tratsch: Es wird eigentlich alles kommuniziert. Bis auf die Überraschung, so sie sich verheimlichen lässt. Interessant sind in dieser Hinsicht das permanente Kopfschütteln und anhaltende Belehrungen von Außenstehenden. Seit Jahren wird uns immer wieder erklärt, dass eine solche Datennutzung in einer Beziehung gefährlich sei, weil man so ja die Erotik verliere und man ja auch Geheimnisse haben müsse . Aha.
Dass “Beziehung” ein kulturelles Konzept ist, das einem kulturellen Wandel unterliegt, scheint vielen fremd zu sein. Frei nach Maurizio Nannucci müsste es heißen: All Love has been contemporary.
Dabei erinnere man sich daran, dass es vor 25 Jahren auch nicht üblich war, per Mobiltelefon eine Person jederzeit anrufen zu können. Belächelt wurde es damals . Und wo ist diese schöne Zwangs-Unereichbarkeit heute hin? In dieser Form möchte ich sie nicht zurück. Und vielleicht ist das Konzept des Wissens-um-den-Partner auch gar nicht so neu: Es gab durchaus Zeiten, in denen die Anonymität der Stadt noch nicht das Paradigma zwischenmenschlicher Beziehungen prägte, sondern Gemeinschaftsleben der Privatheit einen anderen Raum zuordnete. Für mich bedeutet eine Beziehung nicht, dass ich zuallererst davon ausgehe, dass der Andere meine Daten missbraucht oder ich Geheimnisse haben muss. Vielleicht liegt hier der feine Unterschied: Im Grundvertrauen in den Partner.
Hey hey, ich nutze google+ mit meiner Frau und uns gucken auch immer alle blöd an wenn mal einer von uns sagt “ich schau mal wo mein Mann/meine Frau ist”… Tja, verstehen können das wahrscheinlich wohl nur die die keine Geheimnisse vor dem Partner haben…
Danke! Nicht nur für die Inspiration, sondern auch für die Gewissheit, dass wir nicht allein sind mit der Vertrauenseinstellung.
Marcel und ich nutzen auch Freunde finden. Nervig ist allerdings die ständige PW-Eingabe, wenn man keine Codesperre aktiviert hat. Um Siri suchen zu lassen, muss man die auch anstellen, oder?
Ja, wenn das mit Siri klappen soll, braucht man die Codesperre, damit sich “Freunde finden” das Passwort merkt 🙁
Mir wurde übrigens gerade noch familo.net als Alternative empfohlen: Das macht zwar kein Echtzeit-Tracking, aber man kann automatisch an Partner/Familie Push-Nachrichten schicken lassen, wenn man zu Hause / im Büro /sonstwo ankommt oder weggeht. Ich teste das gerade.
Die verstörten Blicke von Kollegen kenn’ ich auch, seitdem nutze ich im öffentlichen Raum meistens die Applikation und nicht Siri zur Ortung.
Wenn ich dann doch mal ein Geschenk besorgen muss, dann stelle ich aber auch schonmal auf Flugzeugmodus, meine Frau weiss dann Bescheid dass ich vermutlich gerade eine Überraschung vorbereite. 🙂
Kleiner Trick um die Kennworteingabe herauszuzögern: in den iOS Einstellungen die Wartezeit bis zur Pinabfrage auf das Maximum von vier Stunden stellen. Das macht’s erträglich.