Leitmedium

Es gibt kein analoges Leben im digitalen.

Caspar C. Mierau arbeitet als technischer Berater und denkt als Medienwissenschaftler, der zur Computergeschichte promoviert, über die Geschichte und Gegenwart von Technologie nach. Er schreibt und podcastet an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, Technik und Kultur. Notiert kurze Gedanken auf Mastodon. Hat "Leitmedium" ganz offiziell als Künstlername im Ausweis stehen.

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Von Fail zu Fail: Diaspora*, Ownership und makr.io

29. August 2012 by leitmedium

Vor einigen Monaten wies ich darauf hin, dass Diaspora* als anti-soziales Netzwerk nicht funktionieren kann. Das Diaspora*-Team hat nun wenig überraschend das Handtuch geworfen und den Code an die Community übergeben. Soweit, so gut und eigentlich keiner weiteren Überlegungen wert. Sieht man sich jedoch an, wo Diaspora* herkommt und was das Team jetzt macht, kann man sich nur wundern.

Die Diaspora*-Geschichte

Die kurze Geschichte von Diaspora* lautet in etwa so: Vier New Yorker Studenten werden durch einen Vortrag von Prof. Eben Moglen angeregt, ein dezentrales soziales Netz zu entwickeln. Um die Entwicklung zu finanzieren, versuchen sie im Frühjahr 2010 auf Kickstarter.com 10.000 USD zu sammeln. Man möchte sich drei Monate Entwicklungszeit verschaffen. Es werden über 200.000 USD für das Projekt gespendet.

Im September 2010 erscheint eine erste Entwickler-Version, die vor allem durch Sicherheitslücken für negative Schlagzeilen sorgt. Die Entwicklung zieht sich die nächsten Monate zäh mit weiteren Sicherheitslücken und langsamen Entwicklungsfortschritt hin. Code-Reviews zeigen, dass die Code-Qualität ernüchternd ist. Der ursprünglich für 2011 geplante Beta-Status muss verschoben werden.

Es wird recht gelungen Aufmerksamkeit erzeugt. Die Presse greift das Thema international auf. Anti-Facebook geht eben immer. Es entstehen erste freie “Pods” genannte Installation des Projekts. Eine Liste öffentlicher Pods zeigt heute mehrere Dutzend weltweit verteilte Pods.

makr-was?

Mitte 2012 gibt das Team um Diaspora* bekannt, dass es eine Förderung vom bekannten Startup-Incubator „Y Combinator“ bekommen hat. Gratulation. Man konnte sich dennoch wundern, ob das Diaspora*-Team und Risikokapital wirklich zusammenpassen. Doch offenbar war Diaspora* nur der Türöffner. Einige Monate später gab man den Launch des Projekts „makr.io“ bekannt. Und nun wird es irrational, denn makr.io und Diaspora* könnten verschiedener nicht sein…

Das Entwickeln einer Software ist sicher kein Bund aufs Leben. Wer heute ein Privatsphäre-Tool entwickelt, muss das morgen nicht mehr tun. Doch es geht um Glaubwürdigkeit. Diaspora* startete als dezentrale und die Privatsphäre schützende Alternative zu Facebook. „Four Nerds and a Cry to Arms Against Facebook“ titelte die New York Times. Das wichtigste Element auf der alles andere als dezentralen Homepage von makr.io ist nun ausgerechnet der „log in with Facebook“-Button. Man fragt sich schon, was die Gruppe die letzten zwei Jahre nun eigentlich genau getan hat. Das generös der Community überlassene Diaspora* ist in einem bestenfalls unterdurchschnittlichen Zustand. Das Interesse ist gering, die Einstiegshürde so hoch, dass es keine positiven Netzeffekte geben wird. Es macht einfach keinen Spaß, einen Diaspora*-Pod zu betreiben.

Statt dessen zieht sich das Team auf ein buzziges „Y Combinator“-Projekt zurück und liefert mit makr.io einen Meme-Generator: Bilder können im Browser mit Text versehen werden. Und die große Neuerung: Man kann den Text auch ändern. Das Ganze wird mit einem großen Trommelwirbel als Learning aus Diaspora* propagiert:

“During the last two years that we have been building Diaspora*, we have uncovered lots of interesting problems related to our core mission—giving people ownership over their data.

We started working toward this goal by pursuing a technical solution; building a social web that put data in hands of its users. We realized after a while, however, that giving people ownership over their bits was only part of the problem. It isn’t just that people need to be able to own their own data, it’s that user data as it stands has no tangible meaning. We believe that ownership of data can be more valuable when you have the ability to create meaningful moments and experiences with your community.” (Quelle)

Was am Ende von Diaspora* übrig bleibt, ist also „ownership“. Beeindruckend. Offenbar darf man die 200.000 USD als Investition in Forschung&Entwicklung für die Neuerfindung des Rades betrachten, denn:

„We want to give memes back to the Internet community“  (Quelle)

Mark.Io wird die Meme der Internet-Community zurückgeben. Die hatte sie nämlich verloren. An wen, ist unklar. Nun hat man das Rad neu erfunden und kann Bilder mit Text versehen. Ob man nun für genau diese Aufgabe eine eigene Seite brauchte – ich wage es zu bezweifeln. Ist die Idee neu? Nein. Man muss sich nur canv.as ansehen. Ist die Idee gut umgesetzt? Nein. Allein der Versuch, Meme zu institutionalisieren ist wie der Versuch, jemandem “Sei doch mal spontan” zuzurufen. Die Mem-Kultur, die makr.io mit Facebook-Integration zu monetarisieren versucht, hat sich über Jahre in Image-Boards wie 4chan (650.000.000 Seitenzugriffe pro Monat) und dem deutschen krautchan entwickelt. Diese Boards weisen eine konsequente Abwesenheit von Features auf.

Immerhin verzichtet man bei makr.io beim Facebook-Login derzeit weitestgehend auf das Sammeln von Daten. Ich wette, dass innerhalb von zwölf Monaten weitere Rechte-Anfragen hinzukommen. Es ist eben doch zu schön.

Ich muss betonen, dass ich per se weder etwas gegen Diaspora* noch makr.io habe. Ich hielt Diaspora* nur bereits früh für anti-sozial und daher zum Scheitern verurteilt. makr.io hingegen wirkt schlicht überflüssig. Meme lassen sich nicht einfach von oben herab institutionalisieren. Zwar kann man einen Raum schaffen, der Meme begünstigt – doch diesen Raum gibt es bereits: Das Internet.

Die Menschen hinter beiden Projekten wirken unlauter. Viel heiße Luft um nichts und 200.000 USD in den Sand gesetzt. Vielleicht sollten wir daraus lernen, und crowd-funding-Projekte in Zukunft erstens kritischer bewerten, zweitens nicht überfinanzieren und drittens im Nachgang stärker kontrollieren, was eigentlich geliefert wurde.

 

Filed Under: Datenschutz, Moral, Post Privacy

Comments

  1. Pauline says

    6. November 2013 at 17:15

    Ich gebe zum jetzigen Zeitpunkt Alternativen zu Facebook nur wenige Chancen auf dem Markt. Erstens haben es schon einige probiert und zweitens kann es immer nur ein Original geben. Alles schimpft und hüstelt über die erfolgreichste Social Plattform, doch die Log-in und Mitglieder Zahlen sind keinesfalls rückläufig. Ich denke, Facebook wird weiterhin seine Poolposition behaupten können. Doch blicke ich gespannt auf die Kreativität junger Webdesigner und innovativer Querdenker.

Trackbacks

  1. Willkommen im Euronet. Warum ich nicht auf der „Digital Backyards“-Konferenz bin | Leitmedium sagt:
    19. Oktober 2012 um 11:47

    […] Netzwerks, das Facebook als dezentrale und freie Alternative angreifen sollte. Geblieben sind ein paar unsympathische Jungs, die Crowdfunding eingestrichen, peinlich programmierte Software …. Das wird ignoriert, weil Diaspora ein OpenSource-Projekt ist, in das man Hoffnungen auf die […]

  2. Die Wiedergeburt Diasporas | Finns Blog sagt:
    29. Oktober 2012 um 22:41

    […] http://www.leitmedium.de/2012/08/29/von-fail-zu-fail-diaspora-ownership-und-makrio/ (nicht ganz aktuell, aber interessant… oder eben nicht) […]