„Kontrollverlust“ beschreibt derzeit ein Gefühl, dass zunehmend die Kontrolle über die eigenen Daten entgleitet. Diese Annahme unterliegt einer Selbsttäuschung: Es hat keinen Zeitpunkt gegeben, an dem es eine Kontrolle über die eigenen Daten gab.
Es lässt sich einwenden, dass immer mehr Daten im Internet landen und öffentlich werden. Diese zunehmende Bewegung kann argumentativ jedoch nicht umgedreht werden, um einen Ursprungspunkt zu beschreiben. Die Frage ist, welcher Wechsel stattgefunden hat. Es ist nicht der Wechsel von der Kontrolle über eigene Daten zum Kontrollverlust über die eigenen Daten. Es ist stattdessen der Vorgang der „Verdatung“ an sich.
Was wir heute an Daten ins Netz fließen sehen, existierte in dieser Form vor kurzem noch nicht: mobile Verkehrsdaten, Chatprotokolle, Fotos mit Metadaten, E-Mail- und Surfprotokolle. Einzelfälle lassen sich problemlos herbeiargumentieren (zum Beispiel EC-Karten und die damit verbundenen Zahlungsprotokolle gibt es nun schon seit Jahrzeiten) und doch ist ein qualitativer Sprung auszumachen, der die Datenverarbeitung der 1980er Jahren als gänzlich unschuldig im Vergleich zur heutigen Mobilität von Daten erscheinen lässt.
Verdatung als steigende Kartographierung sämtlicher in diskret mathematisch beschreibbare Fakten ist der tatsächliche Wandel, der einen Kontrollverlust über Daten nur suggeriert. Möchte man einen zeitlichen Kontrastpunkt zur heute verdateten Welt finden, ist es nicht der Zustand einer kontrollierten Datenwelt, sondern einer ohne Daten. Der Kontrollverlust beruht auf einer retrospektiven Utopie: der Utopie, es hätte eine Zeit gegeben, in der man selbstbestimmt mit seinen Daten agieren konnte. Diese Zeit gab es nicht. Sie ist eine retrospektive Romantisierung.
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