Leitmedium

Es gibt kein analoges Leben im digitalen.

Caspar C. Mierau arbeitet als technischer Berater und denkt als Medienwissenschaftler, der zur Computergeschichte promoviert, über die Geschichte und Gegenwart von Technologie nach. Er schreibt und podcastet an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, Technik und Kultur. Notiert kurze Gedanken auf Mastodon. Hat "Leitmedium" ganz offiziell als Künstlername im Ausweis stehen.

Über | Links | Impressum

Powered by Genesis

Zensus 2011 – über die nächste Volkszählung – Teil 2 – Kosten und Politik

8. November 2007 by leitmedium

Nachdem im ersten Teil über den Zensus 2011 den geschichtlichen Spuren der Volkszählungen, wie auch religiösen und gesellschaftlichen Vorbehalten nachgegangen wurde, sollen in diesem Teil die Kostenfrage und Standpunkte der Fraktionen verhandelt werden.

Warum die Kostenfrage relevant ist

Bereits im ersten Teil wurde darauf hingewiesen, dass das Hauptargument für eine Volkszählung die langfristige Kostenersparnis durch verbesserte Entscheidungsfindung ist. Wer mehr weiß, könne besser planen, Ressourcen ökonomischer einsetzen. Es geht also offiziell um Geld: Es wird ein finanzieller und organisatorischer Aufwand investiert, um zu sparen. Wie bei jeder Investition ist die Höhe der Kosten somit ein entscheidender Faktor zur Bewertung von Effizienz und Notwendigkeit der Maßnahme. Nur wenn der Betrag der Investitionskosten geringer ausfältt als der der Kostenersparnis, ist das Projekt überhaupt vertretbar. Mit dieser gegenüber der Datenschutzdebatte deutlich „leiser“ geführten Diskussion, sollte ein argumentativer Quereinstieg ermöglicht werden.

Was das zählen kostet

Kosten der öffentlichen Hand

Im „Entwurf eines Gesetzes zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus einschließlich einer Gebäude- und Wohnungszählung 2011“ der Bundesregierung vom 30. Mai 2007 sind für die öffentliche Hand folgende Kosten geschätzt worden:

Nach einer mit den statistischen Ämtern der Länder abgestimmten Kostenkalkulation des Statistischen Bundesamtes entstehen bei Bund und Ländern für die Durchführung dieses Gesetzes Gesamtkosten in Höhe von 176,276 Mio. Euro, davon entfallen auf den Bund 39,276 Mio. Euro, auf die Länder 137 Mio. Euro.
Quelle: bundestag.de (PDF)

176 Millionen klingt aus volkswirtschaftlicher Perspektive durchaus überschaubar – circa zwei Euro pro Einwohner. Doch die Kosten des Zensus belaufen sich auf weitaus mehr, denn das Bundesministerium des Innern gibt an:

Durch das Zensusvorbereitungsgesetz selbst entstehen Kosten in Höhe von 176 Millionen Euro. Davon entfallen 39,3 Millionen Euro auf den Bund. Die Gesamtkosten für den registergestützten Zensus werden vermutlich rund 500 Millionen Euro betragen. Davon sollen rund 430 Millionen Euro auf die Länder (einschl. Gemeinden) und rund 70 Millionen Euro auf den Bund entfallen.
Quelle: bmi.bund.de

176 Millionen kostet also allein die Durchführung des Vorbereitungsgesetzes, was beispielsweise die Erstellung von Anschriften- und Gebäuderegistern umfasst. Ingesamt werden für die Vorbereitung und Durchführung des Zensus 2011 Kosten in Höhe von 500 Millionen veranschlagt – sechs Euro pro Einwohner.

Diese Zahlen müssen erst einmal als verlässlich akzeptiert werden, da es kaum kritische Auseinandersetzungen mit den einzelnen Kostenpunkten gibt. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass bei Projekten dieser Größe nicht selten deutlich höhere Aufwände zu verzeichnen sind. Die Erinnerung an das wiederholt verschleppte Maut-Projekt ist sicher etwas spitzfindig, aber dennoch durchaus treffend: Auch hier ein bundesweites Großprojekt mit hoher Technik-Affinität. Verschieden ist die großflächige Einbindungen eines privaten Unternehmers beim Maut-Projekt (Toll Collect), die im Zensus keine Entsprechung findet, wenn auch Hilfe externe Statistikberater eingeholt wird.

Kosten privater Hand

Auf privater Seite fallen laut Schätzung deutlich geringere Kosten an. Eine Auskunftspflicht besteht auf dieser Seite nur für Versorgungs- und Entsorgungsbetriebe. Auf der Basis einer Kalkulation der zu erwartenden Arbeitsaufwände wird hier von einer Summe von ca. 190 000 Euro ausgegangen:

Der Aufwand der Versorgungs- bzw. Entsorgungsbetriebe (drei Stunden Arbeitsaufwand bei einem Stundensatz von 18,16 Eur für jeweils 20 833 Unternehmen, davon 11 847 Versorgungsbetriebe und 8 986 Entsorgungsbetriebe) beträgt vermutlich insgesamt ca. 190 000 Euro unter der Annahme, dass nur ein Drittel der Länder die Quellen bei einem Versorgungs- oder Entsorgungsbetrieb nutzen werden.
Quelle: bundestag.de (PDF)

Inwiefern Betriebe mehr Kosten geltend machen können und werden, ist unbekannt. Ihre Aufgabe ist es, „den statistischen Landesämtern auf Anforderung Namen und Anschriften der Wohnungseigentümer zu übermitteln“, da sie durch ihre essentielle Versorgungsleistung über umfassende Adresssammlungen verfügen.

Was kostet Zeit? Was kostet Datenschutz?

Nach bisherigen Schätzungen ist also von nicht unerheblichen Kosten in Höhe von fünfhundert Millionen Euro auszugehen, so diese nicht eklatant überschritten werden. Nicht kalkuliert ist der Aufwand circa acht Millionen Menschen an der betont freiwilligen Stichprobe teilzunehmen. Das Ausfüllen von Formularen ist ein sicher nur schwer bezifferbarer Kostenfaktor. In einer guten volks-/betriebswirtschaftlichen Gesamtkostenrechnung sollte er jedoch berücksichtigt werden. Schließlich müssen Bürger Freizeit als Arbeitszeit opfern. Selbst, wenn es sich dabei nur um wenige Minuten handelt, ist die kumulierte Arbeitszeit ein ernstzunehmender Kostenfaktor.

Hinzu kommt die schwere Kalkulierbarkeit weicher Faktoren. Was ist es Wert, dass Daten per Gesetz einem anderem Zweck zugeführt werden? Eine Antwort auf diese Frage ist genauso unmöglich, wie auf die derzeit viel verhandelte Frage, wie viel der Schutz vor Terror Wert sei. Dass es weiche Kosten verursacht, den Datenschutz im Rahmen einer Volkszählung einzuschränken, ist zweifelsfrei. Eine Schätzung kann nur jeder für sich vornehmen.

Da, wie im ersten Teil bereits gezeigt, die Argumentation für den Zensus sich der Beispiele des effizienten Baus von neuen Schulen, Krankenhäusern und Einrichtungen für ältere Menschen bedient, muss die Frage erlaubt sein, wie viele davon mit fünfhundert Millionen Euro bereits gut versorgt wären.

Welchen Standpunkt haben die einzelnen Fraktionen?

Auf politischer Ebene konzentriert sich die Diskussion um den Zensus 2011 in der Regel um die anfallenden Kosten und deren Verteilung auf Bund und Länder. Die Länder stimmen dem Zensus letztlich zu, fordern aufgrund der ungleichen Belastung einen Ausgleich durch den Bund.

Auf Fraktionsebene sind die Fronten durch die Beschlussfassung für das Gesetz zur Vorbereitung des Zensus ebenso eindeutig: CDU/CSU/SPD stimmten für das Gesetz, DIE LINKE dagegen, FDP und BUENDNIS 90/DIE GRUENEN enthalten sich. Ohne die fraktionsinternen Gründe genauer zu kennen, überrascht dieses Ergebnis wenig und die Gründe scheinen evident:

CDU/CSU/SPD versprechen sich Vorteile für spätere Regierungsentscheidungen (wenn auch die Sitzverteilung zu diesem Zeitpunkt noch unklar ist). DIE LINKE widerspricht der staatlichen Gängelung. Die FDP enthält sich entweder, weil Datensammlungem dem liberalen Herz weh tun, das Ergebnis aber das BWL-Herz springen lässt oder weil die Kosten schlicht zu hoch sind, das Anliegen aber als nobel gilt. Die GRUENEN befinden sich sicher in einer Zwickmühle zwischen Uneinigkeit über Datensammlungen und der Signalisierung von Regierungsbereitschaft. Eine Enthaltung ist bei zu erwartendem hohen Stimmenanteil für eine Entscheidung letztlich als Bejahung mit Vorbehalt zu verstehen.

Lobesreden gibt es aus dem Zensuskommission, bzw. von ihrem Vorsitzenden Professor Gert G. Wagner (Lehrstuhlinhaber für Volkswirtschaftslehre an der TU Berlin und Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung). Wagner unterstreicht die geringen Kosten der neuen Methode:

“Jedenfalls kostet es viel weniger – etwa ein Drittel – der traditionellen echten Volkszählung. Die würde heutzutage etwa 1,5 Milliarden Euro kosten. Die moderne Form des Zensus wird wohl maximal 500 Millionen Euro kosten, also pro Bürgerin und Bürger etwa sechs Euro.”
Quelle: heute.de

„Jedenfalls kostet es viel weniger“ bringt eine Schwachstelle in der Argumentation auf den Punkt: Die Höhe der Kosten wird nicht am tatsächlichen Nutzen festgemacht, sondern an der Ersparnis gegenüber einer anders gearteten Durchführung. Es kostet nicht viel, weil es auch mehr kosten könnte. Eine durchaus geschickte politische Argumentation.

Weiter betont Wagner als Vollblutstatistiker neben den üblichen pro-Zensus-Argumenten natürlich die prinzipielle Notwenigkeit der Statistiken. Auch diesmal eher tautologisch – durch einen Verweis auf andere Statistiken:

“Die Zensus-Daten werden auch gebraucht, um die Ergebnisse einer Vielzahl von Stichprobenerhebungen auf die Gesamtbevölkerung bzw. kleinere Regionen “hochzurechnen”. Und es gibt im Laufe der Jahre Tausender solcher Stichprobenerhebungen. Die amtliche Statistik führt welche durch; die kommerziellen Meinungsforscher und schließlich auch die Wissenschaft. Alle brauchen Zensusdaten als eine Art “statistische Infrastruktur”, die der Staat bereitstellt.”
Quelle: heute.de

Letztlich hängt Wagner die Messlatte etwas zu hoch, wenn er, nachem an anderer Stelle bereits Kinder, Kranke und Senioren herhalten mussten, nun die Demokratie selbst in Gefahr sieht:

“Ohne amtliche Einwohnerzahlen und einen Zensus kann unsere Demokratie nicht funktionieren.”
Quelle: heute.de

Eine Analyse der wirtschaftlichen und politischen Argumente für den Zensus verschafft einen genaueren Überblick über die eigentliche Intention des Vorhabens. Gleichzeitig bieten sich bei genauerem Hinsehen eine Vielzahl offener Fragen, die die behauptet einhellige Bejahung durch Spezialisten anzweifelbar macht. Zu viele Argumente, gerade in Bezug auf die Kosten, erscheinen tautologisch und verweisen konkret nur auf die Ersparnis gegenüber anderen Verfahren, nicht aber gegenüber einer Nichtdurchführung. Die politische Diskussion im Bundestag enttäuscht entsprechend auf ganzer Linie.

Im nächsten und letzten Teil dieser Serie wird den datenschutzrechtlichen Bedenken nachgegangen und eine vorläufig abschließende Synthese der bisherigen Argumentation vorgenommen.

  • Zensus 2011 – über die nächste Volkszählung – Teil 1
  • “Pu der Bär” über Volkszählungen
  • Ein paar Überlegungen zur Kennzeichnung von Werbung in (Eltern-)Blogs

Filed Under: Informatik, Moderne, Politik, Stadt, Statistik, Volkszaehlung, Wirtschaft, Wissenschaft, Zensus

Comments

  1. Manuela Grabowski says

    9. Mai 2011 at 9:58

    Der Zensus 2011 ist eine Unverschämtheit, vor allem die Tatsasche, dass die Wohnungen gezeigt werden müssen. Und warum nur bei einem Teil der Bürger? Das ist ungerecht. Es werden zu viele persönliche Fragen gestellt. Klar ist es wichtig, zu erfragen, wie viele Krippen-, Kindergarten-, Hort-, Schul-, Ausbildungs-, Studien- und Arbeitsplätze benötigt werden, gerade in der Kinderbetreung muß mehr getan werden, aber das sgilt doch nur für Menschen, die auch davon betroffen sind und nicht für leute, die bereits in Arbeit oder Rente stehen.

Trackbacks

  1. Zensus 2011 - über die nächste Volkszählung - Teil 1 | leitmedium.de sagt:
    8. November 2007 um 15:36

    […] Zensus 2011 – über die nächste Volkszählung – Teil 2 – Kosten und Politik […]