Leitmedium

Es gibt kein analoges Leben im digitalen.

Caspar C. Mierau arbeitet als technischer Berater und denkt als Medienwissenschaftler, der zur Computergeschichte promoviert, über die Geschichte und Gegenwart von Technologie nach. Er schreibt und podcastet an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, Technik und Kultur. Notiert kurze Gedanken auf Mastodon. Hat "Leitmedium" ganz offiziell als Künstlername im Ausweis stehen.

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Ghettoblaster, Walkman, Handy, Ipod, Iphone – Genealogie des Mithörens

30. Oktober 2007 by leitmedium

Spätestens mit 30 stellt man fest, dass man nicht mehr 16 ist, oder in der Bahn, wenn hinter einem ein nur schwer identifizierbares Geräusch die coole Aufmerksamkeit einer Gruppe Jugendlicher auf sich zieht. Es ist kein defektes Funkgerät, es ist ein Mobiltelefon, von der hinterhältigen Mobilfunkindustrie ausgestattet mit einem Lautsprecher. Es kiegt die Vermutung nahe, dass die Lautsprecher nur der Kolateralschaden der Klingeltonmanie sind – man erinnere sich an den Jamba-Fernsehspot:

Nun ist man also dahintergekommen: Einfach den Anruf sparen und das, was einst Klingelton war, direkt abspielen. Dabei klingen selbst die Klingeltöne der türkisen E-Plus-Telefone besser als das Krächzen der überforderten Sony-Ericssons (Walkman-Handy!), Motorolas und wie sie heißen.

Es drängen sich Erinnerungen an die Beschimpfungen auf, die so mancher Walkman-Benutzer über sich ergehen lassen musste, wenn seine Kopfhörer, schlecht abgeschirmt, die U-Bahn beschallten und man sich fragte, wie man um alles in der Welt so laut Kopfhörer benutzen könne. Ein bisschen Wehmut überkommt einen da. Und selbst der Ghettoblaster wirkt plötzlich seltsam vertraut – war er doch immerhin rebellisches Symbol und es drohte einem nicht gleich ein “Ich messer Dich tot, Du Opfer” (Sprich: “Isch messa Dich tohd, Du Opfa”), wenn man doch die Stimme erhob.

Interessant ist die Verschiebung der Gemeinschaft, die sich zwischen Ghettoblaster und Mobltelefon kurzzeitig ins intrinsische des Allein-Hörens zurückzog, wenn auch nichtzuletzt Apple mit dem Ipod Kopfhörer-Musik beinahe sexuell auflädt:

Immerhin ist festzustellen, dass Ipod-Werbung selten Menschen unter 18 zeigt und damit an der Mobiltelefon-Generation werbetechnisch vorbeischrammt. Sicher kein Zufall. Es bleibt zumindest die Frage, ob der Ipod, stellvertretend für tragbare mp3-Player, ein Überbleibsel aus der Walkman-Generation ist, oder bereits den Kopfhörer wieder attraktiv macht.

Das neue Iphone spielt Musik auch über einen Lautsprecher ab – die Qualität steigt. Oh weh.

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