Was immer auch “Zeno” bedeuten mag*: In Zukunft soll man in Deutschland damit das “Referenzportal” der deutschen Sprache verbinden. Auf der zeno.org befindet sich ein Konglomerat aus digitalet Kopie urheberrechtlich nicht mehr geschützter Texte/Bücher (Der Autor muss bereits seit mindestens siebzig Jahren verstorben sein), Wikipedia-Artikeln, Bildern und weiteren Quellen.
Das klingt verdächtig nach Dingen, die man bereits kennt: Das Projekt Gutenberg ist bereits in die Jahre gekommen mit seinem Angebot frei verfügbarer Klassiker, Wikibooks und die Google Büchersuche bieten auf ihre jeweilige Art Volltextsuchen, Auszüge und komplette Texte an. Da erscheint die Frage berechtigt, was zeno.org nun eigentlich möchte. Es wird abermals versprochen, sich noch unerschlossener Textbestände in Bibliotheken anzunehmen, diese kontiniuerlich zu digitalisieren und bereitzustellen – soweit es das Urheberrecht zulässt. Es entsteht der Eindruck, nachdem die angeblich mitunter schlampig arbeitenden Mitarbeiter bei Google den Bibliothekskeller geräumt und die Scanner abgebaut haben, tritt nun das nächste Unternehmen aufs Podest und erfindet das Internet neu: Einfach alles zentralisieren, nochmal machen, selber machen.
Dabei enttäuscht die Webseite zeno.org: Die Werbeeinblendungen links und rechts stören bei Recherche und Lektüre. Das Herunterladen der Quellen ist derzeit nicht vorgesehen – eine sehr unpraktische Eigenschaft, die die Mitnahme zum Beispiel auf mobilen Geräten und insbesondere eine wissenschaftliche Arbeit behindert. Ein Export (.pdf, .txt, …) gehört im Jahr 2007 einfach dazu – alles andere ist Maßregelung des Nutzers. Navigation und Suche sind eine Katastrophe – man findet schneller, wenn man gleich eine externe Suchmaschine benutzt.
Doch spannend ist ein Blick auf die Nutzungsbedingungen: Es ist untersagt, urheberrechtlich nicht mehr geschützte Werke in ihrer Gänze zu kopieren (Kommentar durch Benutzer weiter unten beachten). Die Erklärung ist dürftig:
Das heißt, dass nichts dagegen spricht, aus Goethes Faust den Prolog im Himmel auf die eigene Website zu stellen, wir aber sehr wohl unser Recht verletzt sähen, wenn der komplette Goethe kopiert würde. Von schnöden juristischen Erwägungen mal abgesehen finden wir es auch einfach nicht sinnvoll, riesige Bestandteile aus dem Zenodotangebot zu kopieren. Schließlich geht ja auch niemand in die Bibliothek, um regalweise Bücher zu fotokopieren, nur um sie “zu haben”. Es hat sie doch ohnehin jeder, denn zeno.org ist 24 Stunden am Tag geöffnet, 7 Tage in der Woche, und zwar für jeden.
Quelle: zeno.org
Goethes Faust – man fährt also gleich mit schwerem Geschütz auf. Der Punkt ist: Wenn das Werk nicht mehr urheberrechtlich geschützt ist, lässt sich darüber streiten, ob die Übertragung ins Digitale ein schützenswerter Akt ist. Da zwei Übertragungen des selben Werkes auch das selbe Resultat haben (sollten) – es handelt sich schließlich nicht um eine Übersetzung mit eigener geistiger Arbeit – ist diese Regulierung fragwürdig und vor allem nicht zu billigen. Das lässt die Frage aufkommen, ob die Übernahme eine Buchpatenschaft, also die finanzielle Beteiligung an der gezielten Übertragung eines Werks in das Archiv letztlich nicht eine kurzfristige Geldsenke in einem eben doch geschlossenen Archiv ist.
zeno.org ist nicht offen, soviel steht fest. Auf “Nachhaltigkeit”, einem politischen Modewort der letzten Jahre, wird weniger Wert gelegt, als auf die Verwertbarkeit über Werbeeinnahmen. Kommerz ist per se sicher kein verwerfliches Motiv, jedoch muss sich zeno.org damit genau den selben Vorwürfen wie Google stellen, Offenheit zu versprechen und Einnahmen zu meinen. Ironischerweise scheut man nicht davor zurück, große Bestandteile der Wikipedia zu übernehmen (die dies ausdrücklich gestattet), genau jene Freiheit aber anderen zu untersagen. Nehmen ist eben doch seliger als Geben.
Statt zentral an einer Referenzbibliothek der deutschen Sprache zu arbeiten, die offen ist für die Nutzung, wird also weiterhin an vielen Stellen mehrfache Arbeit geleistet. Konkurriert statt kooperiert. Das ist schade und irgendwie auch dumm. Wie man es besser macht, hat erst kürzlich das juristisch möglicherweise wackelige Projekt 0xdb bewiesen.
p.s.: Auf dem hier erwähnten Übersetzertag wurde darauf hingewiesen, dass durch die Veröffentlichung nicht mehr urheberrechtlich geschützter Übersetzungen fremdsprachiger Texte eine mögliche Qualitätsminderung in der Wahrnehmung älterer Texte zu beobachten ist. Viele Texte werden kontinuierlich neu übersetzt, eine freie Veröffentlichung einer älteren Übersetzung suggeriere hier vielleicht eine Sinnlosigkeit dieses Unterfangens.
Zum Weiterlesen:
- Die Zeit: Alexandria im Netz
- Open Mind Blog: Zeno.org: Digitale Bibliothek mit gemeinfreien Büchern
* Wikipedia klärt auf:
Zenodotos (Ζηνόδοτος), kurz Zenodot, (* um 323 v. Chr. oder 333 v. Chr.; † um 260 v. Chr. in Alexandria) war ein griechischer Philologe aus Ephesos. Er war ein Schüler des Philetas und Lehrer des späteren Königs Ptolemaios II. Im Jahre 284 v. Chr. wurde er von Ptolemaios I. zum ersten Leiter der großen Bibliothek von Alexandria berufen und baute hier die Basis der größten Schriftensammlung der Antike auf.
Quelle: Wikipedia
Nichts verstanden, aber laut schreien scheint Dein Motto zu sein.
– Das Urheberrecht erlischt 70 Jahre nach dem Tod des Autors, nicht 80 Jahre.
– Neu gemacht wurde nichts, im Gegenteil: Es ist sehr lobenswert, daß viele Ausgaben der Digibib (Digitale Bibliothek CD-ROMs von Direct Media) jetzt kostenlos im Web verfügbar sind.
– “Werbeeinblendungen stören”: Das ist ja was ganz Neues im Internet. Pfui Teufel!
– “Navigation und Suche eine Katastrophe”: Ging mir genau anders.
– “Es ist untersagt, urheberrechtlich nicht mehr geschützte Werke in ihrer Gänze zu kopieren.” Das ist falsch. Für ein kommerzielles Projekt sind die Bedingungen erstaunlich liberal: “Dieser Inhalt darf als Einzelwerk oder Werkbestandteil – auch zu kommerziellen und gewerblichen Zwecken – kopiert, verbreitet, öffentlich wiedergegeben und Dritten zugänglich gemacht werden.” Nach § 87a gilt lediglich: “Die Übernahme der Gesamtheit der verfügbaren Inhalte wie auch von wesentlichen Teilen in eine andere Datenbank ist nicht gestattet.” Ein großer Unterschied!
– Buchpatenschaft: Zitat: “Der Verlag erhebt auf mit Ihrer Unterstützung digitalisierte Werke selbstverständlich keinerlei Rechteanspruch, auch nicht den des Datenbankschutzes.” Warum also Geldsenke?
Und so weiter. Sehr schwacher Beitrag. Bitte recherchier besser, bevor du ein höchst lobenswertes Projekt mit Kot bewirfst.
Ein Fan der Digitalen Bibliothek (seit vielen Jahren).
Vielen Dank für die Hinweise. Ich habe die Jahreszahl korrigiert.
Allerdings gibt es ganz offensichtlich Verwirrungen bei zeno.org, wenn auf der selben Seite einerseits eine Weiternutzung gestattet, andererseits aber gerade von einem freien Werk wie Goethes Faust geschrieben wird:
“Das heißt, dass nichts dagegen spricht, aus Goethes Faust den Prolog im Himmel auf die eigene Website zu stellen, wir aber sehr wohl unser Recht verletzt sähen, wenn der komplette Goethe kopiert würde.”
Zur Werbesache ist völlig berechtigt, wenn Du darauf hinweist, dass dies normal ist – für eine wissenschaftliche Arbeit ohne Exportfunktion jedoch ist das völlig inakzeptabel und vor allem unnötig.
Die Navigationsfrage ist natürlich Geschmacksfrage. Als Beispiel: Suche Kafkas Roman “Amerika”. Wie viele Klicks benötigst Du? Suchergebnisse sind recht undifferenziert dargestellt. Es ist Geschmacksfrage, für meinen jedoch völlig ungeeignet für eine bequeme und effiziente Nutzung.
Als “Fan der Digitalen Bibliothek” wundert mich, dass Dich ein weiterer “Fork”, wie es so schön in der Techniksprache heißt, nicht stört. Das Projekt ist weder technisch noch organisatorisch innovativ. Es leistet unnötige Mehrarbeit, Bücher werden abermals eingescannt. Dahinter steckt eine übliche GmbH. Ein Projekt dieser Art kann nach meiner Sicht nachhaltig eher durch eine Stiftung gehalten werden. “Referenzportal” der deutschen Sprache…
So, noch einmal angesehen. Auch wenn ich einige Hinweise durchaus akzeptiere, halte ich das Projekt nach wie vor für überflüssig. Allein die Tatsache, dass nicht einmal eine Druckansicht vorgesehen ist, macht es für ernsthafte Zwecke unbrauchbar. (Und ich meine nicht eventuell bereits hinterlegte Facsimiles).
p.s.: Es mag Dir als Fan sicher bedeutsam vorkommen, dass die Inhalte eines Offline-Datenträgers jetzt online verfügbar sind. Das muss dennoch keine positive Entwicklung sein:
“Free software” is a matter of liberty, not price. To understand the concept, you should think of “free” as in “free speech,” not as in “free beer.”
Eine interessante Diskussion. Als Geschäftsführer und technischer Vorantwortlicher von Zeno.org kann ich unserem “Fan” (1) nur zustimmen (aber nicht im Ton, hüstel).
Das angegebene Beispiel “Prolog im Himmel ist ok, der komplette Goethe nicht” sagt bewusst nichts über Goethes Faust aus. Es ist schwer, eine konkrete Grenze im Sinne des Datenbankschutzes festzulegen. Der komplette Goethe ist aber zweifelsohne ein wesentlicher Teil der Datenbank und somit geschützt.
Zeno.org kann als kommerzielles Unternehmen nicht auf diesen Schutz verzichten. Aber wen stört das in der Praxis? “Ein Projekt dieser Art kann nach meiner Sicht nachhaltig eher durch eine Stiftung gehalten werden.” Einverstanden. Aber es gibt keine Stiftung. Macht dieser Umstand Zeno.org schlechter bzw. wäre es besser, wenn es Zeno.org (von einer GmbH betrieben) gar nicht geben würde?
Ja, die Druckansicht fehlt, sollte aber bis Ende des Monats implementiert sein. Der Export bzw. Download als PDF ist für März 2008 geplant.
Man findet Kafkas “Amerika” indem man “kafka amerika” eingibt und den ersten Treffer nimmt. Ich bin aber für Tipps dankbar, wie man das noch einfacher machen kann 🙂
Schöne Grüße, Vlado
Vielen Dank für die klärenden Worte, insbesondere bezüglich Export und Druckansicht.
Eine gute Frage ist, ob es besser wäre, wenn Zeno.org lieber gar als von einer GmbH betrieben wäre – eine sehr gute. Natürlich stimme ich insoweit zu, als dass man eben lieber einen (nicht unbedeutenden) Spatz in der Hand, als eine Taube auf dem Dach hat. Allerdings ist es eine ebenso berechtigte Frage, inwieweit mehrere Spatzen nicht verhindern, dass man doch nach größerem greift – es gibt ja dies und jenes und das auch noch. Dieses Argument ist natürlich der Gefahr des Vorwurfs ideologischer Färbung ausgesetzt und das zurecht. Doch ohne eben jene strikte (Software-/Wissens-)Ideologie wären Projekte wie Wikipedia kaum in dieser Form entstanden – die es überdies, wenn auch mit Schwierigkeiten – bis heute zu einer weltweit beachtlichen Größe gebracht haben und zugleich die Übernahme sowohl von Inhalten als auch der zugrundeliegenden Software äußerst liberal gestalten.
Der zugegeben sehr zugespitzte Vorwurf der “Geldsenke” ist in diesem Sinne als deutlicher Hinweis auf ein noch immer fehlendes Projekt auf einer Stiftungs-artigen Basis zu verstehen. Diese Lücke – und das ist (mein) Punkt – wird durch die kurzfristigen Erleichterungen, wie Zeno.org sie bieten mag – verdeckt statt geschlossen.
Eine detaillierte Diskussion über Punkte wie Goethes macht an dieser Stelle sicher nicht so viel Sinn, wenn ich auch unterstreichen möchte, dass mit ihren Ausführungen sich das verwendete Beispiel unter den Nutzungsbedingungen als in die Irre führend erweist. Ein Beispiel, warum es auch durchaus stören kann, nicht das komplette Werk Goethes übernehmen zu dürfen, sei noch gestattet: Ein (privates, wissenschaftliches oder kommerzielles) Projekt verschreibt sich der Analyse von Goethes Texten. Dabei geht es nicht um die Darstellung sondern Verarbeitung/Prozessierung der Texte – ein nicht weit entferntes Szenario. Dem Nutzer einer Seite ließen sich eigene Filter und ähnliches Anbieten. Dies ist durch den von Ihnen erwähnten Datenbankschutz nicht möglich (auch wenn ich vermute, Sie könnten jetzt anführen, man könne Einzelfälle ja gesondert aushandeln).
Auch hätte ich es für sehr transparent gehalten, wenn man sich, statt eigene Nutzungsbedingungen zu entwickeln, für eine bereits akzeptierte und verfügbare Lizenz wie eine der vielfältig konfigurierbaren Creative Commons Lizenzen entschieden hätte – hier wäre sicher eine starke Annäherung an Ihr Modell möglich gewesen und man hätte auf bereits erfolgte Erklärungen verweisen (und sich in entsprechende Suchen einbinden lassen) können. Eventuell sprechen hier aber juristische Gründe dagegen, was ich mir jedoch kaum vorstellen kann.
Für die Suchergebnisse eine bescheidene Idee, die sicher bereits in Arbeit ist: Statt der weißen Vierecke wäre eine Symbolik wie Buch, Lexikonbände und so weiter sehr hilfreich, um schnell die Art der Quelle zu erkennen. Zusätzlich eine entsprechende Sortiermöglichkeit sowie Einschränkbarkeit auf bestimmte Quellarten in der Erweiterten Suche…
Ansonsten danke ich für den Kommentar und freue mich, dass die Hitzigkeit etwas abgekühlt ist.
Ich fühle mich von dem neuen Konzept als Wissenschaftler nicht so sehr angesprochen.
Was geschieht mit der alten ‘Digitalen Bibliothek’? Wird sie neben ‘Zeno’ weitergeführt, um die alten Kunden u. Nutzer zu erreichen? Oder wird jetzt unter dem neuen Logo alles geschluckt?