Das Internet war einmal ein Netz der Verweise. Heute ist es ein Strom aus Bildern, Videos und Zitaten ohne Herkunft. Zwischen KI-Scherzen, algorithmischen Feeds und der Bequemlichkeit des Teilens droht der Hyperlink zur Randnotiz zu werden. Die Quellenkultur erodiert.
Quellenlosigkeit als Alltagsschmerz
Man hat ja so seine persönlichen Befindlichkeiten, die irgendwo ihren Punkt haben, aber man vielleicht ein wenig überstrapaziert. Eine meiner Schrulligkeiten ist, dass ich mich endlos darüber aufregen kann, wenn in Social-Media-Kanälen Bilder, kleine Videos oder Zitate ohne Quellenangaben gepostet werden. Ich empfinde es als ungerecht den UrheberInnen gegenüber (zum Beispiel bei gern geposteten Webcomics), sehe mich aber auch zusehends außerstande, nachvollziehen zu können, wo eine Information nun eigentlich herkommt. Ich sitze dann also so da, scrolle durch meinen Feed und murmel leise vor mich hin, „Hätte ich ja gerepostet, wenn Du eine Quelle genannt hättest!“ Und mache so vermeintlich die Welt ein klein wenig besser und meinen Tag ein klein wenig schlechter.
Nicht zuträglich ist das massiv zunehmende Posten von „KI“-generierten Bildern. Während oft deutlich wird, dass die Bilder generiert werden, gibt es ein Genre, das die Nutzung von Social Media zunehmend erschwert: der generierte Scherz. Oft als Inside-Joke gedacht, wird es für eine bestimmte Zielgruppe eindeutig als Scherz erkennbar erstellt. Ich folge einigen Retro-Computing-Kanälen, und eine Weile war es Mode, Geräte, die es angeblich als Prototypen gab, zu posten. Da entstanden dann wundersame Apple-Entwürfe, die man auch heute noch vom Design her bestaunen würde, und natürlich habe ich mit einem „Ooooh“ diese Posts weiterverbreitet, um erst später zu verstehen, dass sie Scherze sind.
Vom Fake zum Verdacht: Misstrauen als Grundmodus
Die sich nicht gut anfühlenden Erfahrungen, lustig gemeinte Fakes zu verbreiten, haben bei mir dazu geführt, dass meine Quellen-Schrulligkeit sich noch weiter verschärft hat. Ohne nachvollziehbare Quellenangabe obliegt nun jedes Bild, Video oder Zitat einem Generalverdacht. Das führt mittlerweile dazu, dass sich der Generalverdacht immer mehr in eine Annahme verdreht hat, dass ein Bild, das irgendeinen besonderen Kern enthält und vielleicht auf eine spezielle Art witzig oder besonders ist, ja doch wohl generiert und die postende Person eben ruchlos sei.
Wie sehr sich mein Verhältnis zum Web verschärft hat, musste ich feststellen, als ich mir mal wieder selber beweisen wollte, dass jemand ein böses Spiel spielt. Auf Mastodon geisterte ein Asterix-Comic-Cover durch meinen Feed, das „Astérix et les Goths“ zeigte. In einem lustigen Wortspiel, das die Doppeldeutigkeit von „Goth“ als Gote im Sinne des ostgermanischen Volkes (dazu gibt es einen offiziellen Asterix-Comic) und Goth als Anhänger der Gothic-Kultur zuspitzt, ist Asterix mit einigen anderen Charakteren im Goth-Stil gezeichnet. Kurz dachte ich, „Das war ja ein lustiger Comic“, und dann wandelte es sich in „Diese Scheiß KI-Bilder“, und wutentbrannt begann ich, die Quelle zu suchen.

Dabei wurde ich freudig enttäuscht. Es handelte sich gar nicht um ein „KI“-Bild. Der französische Grafiker und Colorist Michael “MiKL” Olivier zeichnete den Comic bereits 2008 und postete ihn auf Toonpool. Dort – als Kunstwerk und Scherz zu erkennen – passierte nun Folgendes: Das Bild verselbständigte sich auf den üblichen Wegen im Netz, und Personen posten es als „haha, guck mal“ ohne Quellenangabe. Ich bleibe hier schrullig und muss betonen, wie unangenehm ich das finde. Es ist unfair, den Personen gegenüber, die diese Medien erstellen – ganz abgesehen von urheberrechtlichen Fragen, die wir aber nicht überstrapazieren wollen, um einen Pyrrhussieg zu erzielen und die Remix-Kultur zu gefährden. Doch es stellt sich immer wieder die Frage, was nun so schwierig daran ist, einen Link zu einer Quelle einzufügen. Ich erinnere mich an frühe Tumblr- und Twitter-Zeiten, in denen man so lange „via“-Links geklickt hat, bis man an einem „Original“-Posting angekommen ist. Ja, das habe ich schon damals gemacht, und nicht selten ergibt sich durch den Rückgriff auf die Originalquelle neben einer Absicherung vielleicht auch ein spannender neuer Kontakt.
Der Eternal Fools Day
Nun stellte ich also fest: Das Bild ist einmal wieder ohne Credits gepostetes Bild. Das ist eben der unangenehme Alltag. Doch vielmehr musste ich mir eingestehen, dass seit dem Einzug der „KI“-Bilder ein Eternal Fools Day meinen Medienalltag bestimmt. Das ist eine Anspielung auf die etwas herablassende Feststellung eines Eternal September, in der die alteingesessenen frühen Internet-UserInnen sich über den seit AOL steten Zufluss unbedarfter neuer, oft nicht-akademischer UserInnen beschwerten, die ihre Codes und ungeschriebenen Gesetze nicht kannten und zum Beispiel das Usenet fluteten. Nun findet wieder eine Flut statt, aber mit Bildern, deren Quelle unklar ist und die oft nur durch bestimmte Codes als „Fakes“ erkennbar sind. Es ist, als wäre täglich erster April, und man muss sich bei jedem Posting die Frage stellen: Stimmt das oder gehe ich hier auf den Leim?
Natürlich ist das Thema mit seinen Fake News und Propaganda-Bots letztlich ein größeres, doch wenn man einen eigentlich kuratierten Feed hat, geht man vielen dieser Postings aus dem Weg. Und doch muss man feststellen: Wir machen uns selber das Leben schwer, indem wir posten, ohne zu verlinken, ohne zu belegen, ohne einzuordnen. Dabei ist es gerade der Hyperlink, der dem World Wide Web zum Durchbruch verhalf. Während uns algorithmisch getriebene Social-Media-Plattformen wie Instagram, Facebook, LinkedIn usw. nahelegen, möglichst keinen von der Seite wegführenden Quellenlink einzufügen und sogar dafür mit Reichweiten-Entzug bestrafen, sollten wir dies nicht hinnehmen und der Schwemme des Unbelegten nicht noch Auftrieb geben, indem wir posten, ohne zu verlinken. Denn der Link ist es, der Vertrauen befördert. Wir sollten uns nicht von kommerziellen Plattformen und eigener Faulheit oder um des Jokes Willen abgewöhnen, Informationen nachvollziehbar zu verbreiten. Das ist sonst ein selbstgemachter “dumb down“, an dem wir selber Schuld sind. Eine Quellenangabe ist das Minimum an Höflichkeit gegenüber der Quelle und den RezipientInnen.
p.s.: Ich habe den Künstler kontaktiert, der den Asterix-Webcomic erstellt hat, und darum gebeten habe, sein Bild hier aufnehmen zu dürfen. Er hat sich gefreut und zugestimmt. Das war ein schöner, kleiner Austausch per Mail. Er fühlte sich wertgeschätzt, ich freute mich über die Zustimmung. Auch so kann das Internet sein
p.p.s.: Zum Thema Quellen-Recherche bin ich einmal exemplarisch dem gern – völlig falsch – zitierten »Don’t get it right, just get it written« nachgegangen.