Als ich letztens in einer kleinen Stadt in der Uckermark spazieren ging, stutzte ich: Mitten auf dem Gehweg stand ein massiver Betonklotz – nicht einfach ein Poller, sondern ein überdimensionierter Klemmbaustein aus dem brutalistischen Spätkapitalismus. Er stand dort mit stoischer Gelassenheit, scheinbar bedeutungslos, aber offensichtlich nicht zufällig. Ich sah mich um und entdeckte weitere dieser Sperren. Teils dicht an dicht versperrten sie großzügig die Zufahrten rund um den Marktplatz.
Diese Anti-Terror-Poller sind mittlerweile wohlvertraut – aber eher aus dem urbanen Umfeld. Sie schützen Weihnachtsmärkte und Großveranstaltungen vor in Waffen verwandelten Autos. Nun scheinen diese Bausteine für autofreie Sicherheit auch in die Kleinstädte eingezogen zu sein.
Doch nicht nur die über Nacht aufgetauchten Betonklötze verändern das Bild des bevorstehenden Stadtfestes. Zwischen Kleinkunstbühnen, Bratwurstständen und Informationszelten verweisen nicht nur sie auf eine neue öffentliche Ordnung der Sicherheit. Wo das Fest früher nur den halben Marktplatz einnahm, beansprucht es heute den ganzen – ohne ihn ganz zu belegen. Denn um im Sinne einer durchgeplanten Sicherheitsarchitektur jede Zufahrt zu blockieren, muss der gesamte Platz samt angrenzender Straßen abgesichert werden. Wie in einem Computerspiel werden Zonen gesichert, und die Logik verschlossener Kanäle diktiert ein neues form follows security.
Die Genealogien solcher Sicherheitsarchitekturen im öffentlichen Raum sind anderswo sicher bereits fundiert notiert worden. Ich erinnere mich zumindest daran, wie die Türen zur Pilot:innenkabine in Flugzeugen verstärkt und verriegelt wurden – und wie der freundliche Habitus des „Wir laden mal ein Kind nach vorn ins Cockpit“ der steten Angst vor Eindringlingen wich. Auch Konzert- und Konferenzeingänge wurden umgebaut, der Flughafenduktus zog ein: Absperrbänder, Taschenkontrollen, Metalldetektoren. Was man zunächst bespöttelte, dann entnervt kritisierte, nimmt man heute mit stoischer Routine hin.
Während ich über all das nachdenke, fahre ich in eine andere brandenburgische Kleinstadt ein. Am Straßenrand stehen überdimensionierte Säcke. Sie sehen aus wie kubikmetergroße, prall gefüllte Laubbeutel. Doch es ist noch nicht einmal offiziell Sommer. Was machen die hier, denke ich. Und da fällt es mir ein: Auch hier steht ein Stadtfest an. Die Betonpoller sind hier gefüllte Säcke. Was da wohl drin ist? Eine Industrie der „gefüllten schweren Dinge“ scheint entstanden zu sein. Auch das hat der Kapitalismus verdaut.
Kommentar verfassen Antwort abbrechen
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.