Was passiert mit der Gesellschaft, wenn sie auf der gegenseitigen, öffentlich sichtbaren Bewertung von Menschen beruht? Dieser Frage geht der in der ZDF Mediathek erschienene SciFi-Film »Hyperland« nach.
In der fiktiven, gar nicht so fern wirkenden Zukunft von Hyperland leben Menschen in einer schrillen Feel-Good Augmented Reality Welt, deren Basis der auf Bewertungen basierende »Carma Count« ist. Menschen mit hohem Carma Count genießen viel Aufmerksamkeit, höheren Einfluss und Zugang zu besseren Locations. Doch, was zunächst noch wie eine Hochglanz-Utopie daherkommt, zeigt schnell seine Schattenseiten, als »Cee«, die als Künstler-Scout arbeitet, sich wegen einer versuchten Vergewaltigung an die Öffentlichkeit wendet und nicht die Reaktion bekommt, die sie erhofft hat und die ihr zusteht. Es beginnt ein «Krieg« in der Öffentlichkeit mit Schmutzkampagnen, sozialen Bots, rücksichtslosen Videobloggern und gesteuerten Falschinformationen, an deren Ende soziale Isolation und neue Freundschaften stehen, die wiederum Konfliktpotential bergen.
Hyperland bietet einen zunächst klassischen Science-Fiction-Plot in einer für eine öffentlich-rechtliche Kooproduktion teils beeindruckenden bildgewaltigen Sprache. In trist wirkenden Neubaugebieten in Köln und Düsseldorf gedreht, hat der Motion Designer Fritz Gnad mit seinem Team eine schrille, moderne Version bekannter Science-Fiction Elemente wie sprechender Häuserwände auf erfrischende Weise umgesetzt. In teils verstörend verzerrten Bildsequenzen wird werden optische Wahrnehmung und körperliche Leiden der Akteure direkt nachfühlbar.
Der Journalist und Regisseur Mario Sixtus („Operation Naked“, „Elektrischer Reporter“) hat das Drehbuch für sein Spielfilmdebüt 2016/2017 geschrieben. Seitdem ist in unserer realen virtuellen Welt viel passiert. Ein US-Präsident log auf offener Bühne und wurde letztlich von sozialen Plattformen verbannt und Facebook kündigt Meta an. Diese Entwicklung hat Hyperland nicht vorausgesehen und doch ist der Film dadurch nicht bereits bei seinem Erscheinen anachronistisch. Sein Fokus liegt weder auf technologischer Entwicklung, noch auf konkreten Plattformen oder gar einer Kritik digitaler Kommunikation. Auch mögliche Assoziationen mit dem in den deutschsprachigen Medien überstrapazierten und nicht selten wenig fundierten Analysen des chinesischen Social Credit werden der Geschichte nicht gerecht. Der Film ist vielmehr die Sozialstudie einer Gesellschaft, die längst auf gegenseitiger und öffentlich sichtbarer Bewertung beruht. Damit macht Hyperland den Kniff, den viele Science-Fiction-Geschichten folgen: Er verschiebt ein aktuelles Thema in ein Zukunftsszenario, um es durch die Verfremdung besser greifbar zu machen.
Hyperland ist keine Dystopie, an deren Ende ein Befreiungsschlag oder eine fatalistische Zukunftsprognose stehen. Der Film zeigt keinen Ausweg und will nicht missionieren, sondern einen aktuellen Zustand diagnostizieren und damit zum Nachdenken anregen. Das gelingt ihm und er zeigt dabei, wie eine TV-Produktion aktuelle Diskurse aufgreifen kann, ohne sich an ihnen abzuarbeiten. Es ist erfrischend, wie unprätentiös ein Film mit diversen Themen wie Hautfarben und Geschlechteridentitäten umgehen kann, ohne dass dies das eigentliche Thema des Films wären. Am Ende wünscht man sich nach 104 Minuten vielleicht doch ein konkreteres Ende, denn dann wüsste man vielleicht, wie man mit der eigenen Lebensrealität umgeht. Aber einfache Antworten auf komplexe Fragen gibt es genug, wie Sixtus als erschreckend überzeugender Fake-Psychologe mit hanebüchenen Ferndiagnosen in den wenigen lustigen Momenten des Films beweist und in diese Falle will der Film zurecht nicht treten.
Hyperland (2021): Regie und Drehbuch: Mario Sixtus, Kamera: Hajo Schomerus, Schnitt: Sandra Brandl, Musik: Andreas Resch, Motion Design: Fritz Gnad.