Leitmedium

Es gibt kein analoges Leben im digitalen.

Caspar C. Mierau arbeitet als technischer Berater und denkt als Medienwissenschaftler, der zur Computergeschichte promoviert, über die Geschichte und Gegenwart von Technologie nach. Er schreibt und podcastet an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, Technik und Kultur. Notiert kurze Gedanken auf Mastodon. Hat "Leitmedium" ganz offiziell als Künstlername im Ausweis stehen.

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Ich bin es nicht gewesen – das Auto ist schuld!

9. November 2015 by leitmedium

Berlin, Gendarmenmarkt. Es ist wundervolles Herbstwetter, der Himmel ist blau, die Luft riecht nach Laub. Ich möchte gerade mit einem Freund in einen überteuerten CupCake-Laden gehen (2,20 Euro für ein Fingernagel-großes Stück Teig mit Zucker oben drauf), als vor uns ein recht neu aussehender schwarzer Mercedes mit einem Einparkmanöver beginnt. Hinter ihm auf der Straße hält ein kleiner, etwas schäbig wirkender silbergrauer Touristenbus und wartet den Vorgang ab. Der Mercedes beginnt, rückwärtszufahren, langsam in die Lücke einzubiegen, als plötzlich der Fahrer beide Hände hochreißt und demonstrativ durch das offene Dachfenster rausstreckt. Das Auto setzt das Einparkmanöver aber fort. Ich bin kurz irritiert und denke dann: „Angeber. Jetzt will er allen seine Einparkautomatik zeigen“.

Plötzlich hält der Wagen ruckartig an – nur wenige Zentimeter vom Touristenbus entfernt. Der Fahrer des Mercedes, ein grau melierter älterer Herr in betont feinem Anzug, steigt aus und ruft laut „Das war ich nicht! Das war die Einparkautomatik! Ich habe nichts getan!“. Der Busfahrer schaut verwirrt, die Menschen auf der Straße auch. Der Mercedes-Fahrer geht zu der Stelle, wo die beiden Autos nur wenige Zentimeter voneinander entfernt sind. Er gestikuliert wild und ruft „Da ist noch Abstand! Die Autos haben sich nicht berührt!“. Der Busfahrer reagiert nicht. „Da, sie haben einen Kratzer an ihrem Bus, der ist aber nicht von mir!“. Der Busfahrer rollt mit Augen, setzt den linken Blinker und fährt am Mercedes vorbei, weiter seines Weges. Der Mercedes-Fahrer steigt sichtbar erleichtert wieder ein und setzt sein Einpark-Politikum fort. Ob automatisch oder manuell, ist nicht zu sehen. Für ihn offenbar vor allem eine Frage der Verantwortlichkeit.

Ich denke darüber nach, ob sich solche Situationen in Zukunft öfter abspielen werden. Wahrscheinlich. Werden wir dann in brenzligen Situationen auch die Hände hochreißen und alles auf die Maschine schieben? Die Versuchung liegt nah. Ich freue mich auf die Automatisierungen der Zukunft und bin gespannt, wann ich endlich auf der Autobahn in Ruhe lesen und aus dem Fenster sehen kann. Aber ich hoffe, zugleich auch Verantwortung zu fühlen. Aber bin ich dann verantwortlich? Ein komplexes Thema.

Bildnachweis: Bei dem Bild handelt es sich nicht um das besagte Auto, sondern ein freies Stockfoto von Pixabay.

  • Politik als Feuilleton, Umblättern im Web – re:publica-Fragmente
  • FAZ-Layout: “Ab durch die Mitte”
  • Am Abend: Der Körper des Präsidenten, Neudefinition von links, kurze Lektüre

Filed Under: Allgemein

Comments

  1. mutterseele says

    9. November 2015 at 16:41

    Kann man die Verantwortung an Maschinen abgeben? Mein Exmann hat mir erzählt, dass er solche Probleme damit hat, die Kinder am Wochenende vom Daddeln an den Tablets wegzukriegen (bei mir gibt’s keine, bei ihm hat jedes Kind, 8 und 10J. eins). Er hat das jetzt so gelöst, dass die Tablets nach einer Stunde ausgehen. Was er also pädagogisch nicht hinkriegt, übergibt er an die Technik.
    Dummerweise hat der 8jährige es geschafft, das Teil zu hacken – ganz der Vater 🙂

  2. Markus Heurung says

    9. November 2015 at 22:36

    @leitmedium jetzt weiß ich wieder an was mich das erinnert.