Leitmedium

Es gibt kein analoges Leben im digitalen.

Caspar C. Mierau arbeitet als technischer Berater und denkt als Medienwissenschaftler, der zur Computergeschichte promoviert, über die Geschichte und Gegenwart von Technologie nach. Er schreibt und podcastet an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, Technik und Kultur. Notiert kurze Gedanken auf Mastodon. Hat "Leitmedium" ganz offiziell als Künstlername im Ausweis stehen.

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Acht Stunden beim Notar – Wie eine Millionen-Investition hinter den Kulissen aussieht

15. September 2015 by leitmedium

Vor kurzem war ich zu einem merkwürdigen Termin eingeladen: »Hast Du Lust, acht Stunden bei einem Notar zu sitzen und englische Vertragstexte vorgelesen zu bekommen?«. Meine Lust hielt sich in Grenzen, aber ich wurde schließlich von moviepilot.com gebeten, für die ich nun seit fast sieben Jahren arbeite (genau genommen habe ich vor knapp sieben Jahren angefangen, für moviepilot.de zu arbeiten, das mittlerweile an Webedia verkauft wurde). Aber der Anlass war alles andere als langweilig: Es ging um die Unterzeichnung der Verträge der gerade erst bekannt gegebenen Millionen-Investition durch – Trommelwirbel – Webedia (erstaunlich, dass sie keine deutsche/englische Wikipedia-Seite haben bei all den Webseiten, die ihnen mittlerweile gehören). Um rechtliche Formalitäten zu erfüllen, wurde eine Art Zeuge gesucht. Also, hey – warum nicht?

Ich fand mich ein paar Tage später stilecht am Potsdamer Platz wieder. Bei so offiziellen Terminen plagt mich ja immer die Angst, mich daneben zu benehmen oder durch Kleidung gegen die Etikette zu verstoßen. Ich fing auch gleich gut an, indem ich einen Concierge ca. zehn Minuten lang mit der Aussage belästigte, dass ich in diesem Haus einen wichtigen Termin bei einem Notar hätte, aber nicht wisse bei welchem und es ginge um moviepilot. Der Concierge telefonierte ganz tapfer das gesamte Haus ab – denn es bestand nur aus Notar-Büros, konnte mir aber keinen Namen nennen. Dann kam der erlösende Anruf – man werde mich abholen. Am Nebenhaus. Ich hatte mir die falsche Adresse gemerkt. Na, immerhin habe ich mich nur im falschen Haus blamiert.

Der Termin fand in einem vollklimatisierten Büro (es war noch heiß) mit großer Glasfront und weitem Blick statt – wie man es sich vorstellt. Ein reichliches halbes Dutzend Personen saßen um einen Tisch, am Kopfende der Notar. Es wurden »reading copies« verteilt: beidseitig bedrucktes Papier – mehrere hundert Seiten. Es war hell draußen und ich dachte noch »aber das wird doch jetzt nicht alles vorgelesen?« – doch, wird es. Und zwar schnell…

Für viele notarielle Vorgänge ist es eine Bedingung, dass diese laut vorgetragen werden, so dass sichergestellt ist, dass es keine versteckten Klauseln gibt oder etwas übersehen wurde. Ich kannte das von kurzen deutschen Veträgen, aber nicht Papier-Stapel-dicken englischsprachigen Vertragswerken. In meiner Vorstellung würde ich die nächste Woche in diesem Büro ausharren, aber der Notar las in einer atemberaubenden Geschwindigkeit die Verträge vor. Das klang ungefähr so:

Immer, wenn in einem Vertrag ein anderer Vertrag oder ein Anhang referenziert wurde, musste dieser vorgetragen werden. Es wurde also viel Papier gewälzt. Die verschiedenen anwesenden Personen achteten dabei darauf, dass die über Monate ausgearbeiteten Verträge den Vorstellungen der Parteien entsprachen, die sie vertraten (moviepilot selber, bisherige Investoren und der neue Investor). Auch wenn schnell vorgetragen wurde, folgte jeder auf seine reading copy. Meine Aufgabe bestand nur darin, anwesend zu sein und später zu versichern, dass vor Ort alles geregelt über die Bühne gegangen ist.

Ich nutzte daher die Zeit und fing an, englische Fachbegriffe aus den Verträgen zu googeln. Ich lernte Termini wie »tag along«, »drag along« und typische Vertragskonstruktionen, die sich wahrscheinlich in vielen Investment-Verträgen für Startups wiederfinden. Ich hätte nicht gedacht, dass ein einfach zu beschreibender Vorgang (Firma X investiert Betrag Y in Firma Z) so komplex ausdefiniert wird. Diese Komplexität hat es durchaus in sich, denn in den acht Stunden gab es immer wieder Momente, in denen geklärt werden musste, ob die Verträge eindeutig seien oder hier und da nachgebessert werden müsse.

Ein wenig erinnerte mich die ganze Situation an die US-Anwalts-Serie Suits. Anwälte und Notar sagten hier und da »Stop!« und warfen etwas ein, wie »in dem anderen Vertrag vor 50 Seiten war das aber anders ausgelegt«. Dann wurde geblättert und geklärt, ob sich Widersprüche fanden. Dabei hatte der Notar den Vertrag erst wenige Tage zuvor das erste Mal gesehen. Ich vermute leichte Superhelden-Kräfte, aber das darf ich hier nicht schreiben, weil das ist bestimmt geheim.

Ich schlug mir also mit Ergoogeln von Fachbegriffen acht Stunden in einem Notar-Büro um die Ohren, war ein bisschen beeindruckt von dem Können der Juristen und kann mir jetzt genauer vorstellen, wie so eine Investition, von der man oft liest, hinter den Kulissen abläuft. Es ist erstaunlich unprätentiös, obwohl es um so viel Geld geht. Es knallen keine Sektkorken, es wird nicht gejubelt. Es wird vor allem sehr angestrengt an nicht enden wollenden Texten und Tabellen gearbeitet. Kurz vor Mitternacht verließen wir das Büro und ich fiel in ein Taxi. Hauptberuflich würde ich sowas nicht machen.

Aber heute – da wird kurz gefeiert. Denn mit der Investition sind noch einige spannende Vorhaben geplant.

Filed Under: Allgemein

Comments

  1. Theodoré says

    15. September 2015 at 16:33

    @leitmedium habt ihr entlich das “triaden” geld von der Insel geholt? Wurde ja auch mal zeit!

  2. Janos Matuschewski says

    15. September 2015 at 16:49

    @leitmedium klingt, als hättest du ‘nen guten Eindruck hinterlassen 😀

  3. leitmedium says

    15. September 2015 at 16:49

    @IamNoSuperman hihi 🙂

  4. Stefan says

    15. September 2015 at 17:00

    @leitmedium Ich mag die Beschreibung mit der Sichtweise eines neugierigen Außenseiters. Danke.

  5. leitmedium says

    15. September 2015 at 17:01

    @Surfin_Bird Ja, war auch wirklich interessant mal dabei zu sein. Danke fürs Feedback!

  6. Stefan says

    15. September 2015 at 17:01

    @leitmedium Und es ist wirklich so. Man arbeitet Monate an den Verträgen und merkt dann, daß der Verweis auf Seite 327 nicht stimmt.