Triggerwarnung: Suizid.
Lieber F.,
es ist nun einige Zeit her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben. Wir saßen in einem britischen Restaurant, aßen mittelmäßige Burger und führten ein beklemmendes Gespräch über Geld. Dir ging es nicht gut, das sah ich und Du vermitteltest mir das Gefühl, ich sei mit Schuld an Deiner Lage. Das traf mich hart. Es war schwer, Dich so zu sehen, doch ich wusste, es ging nicht um mich. Es war unser letztes Treffen. Hätte ich das gewusst, ich hätte mich anders verabschiedet.
Doch gehen wir etwas zurück. Vor einigen Jahren habe ich Dich kennengelernt. Wir waren Kollegen, haben an langen Abenden gemeinsam Projekte bearbeitet, „rumgehackt“ und uns ab und zu gegenseitig besucht. Ich erinnere mich noch heute gern daran, wie Du mit mir zusammen zu meiner Hochzeit einen Anzug kaufen gehen wolltest. Wir wurden in Läden, die ich sonst nie betreten hätte, mit Sekt bewirtet und mit „Na, was wollen die Herren?“ angesprochen. Du konntest Dich auf solchem Parkett nonchalant bewegen, ich war gern einmal dort Gast und hatte das schöne Gefühl, einen Freund zu haben.
Irgendwann wurde es kompliziert. Es gab diesen einen Abend. Du warst bei meiner Frau und mir zu Hause. Wir hatten Essen bestellt, saßen auf dem Fußboden. Ich erzählte Dir, dass wir unser erstes Kind erwarten. In diesem Augenblick zerbrach etwas. Du wurdest unruhig, sprachst über all Deine Freunde, die jetzt Kinder bekommen. Von da an wurde die Freundschaft etwas distanzierter, doch es war schön, weitere Jahre mit Dir befreundet zu sein.
Es wurde aber immer schwerer, Dich zu erreichen. Manchmal warst Du für Wochen von der Bildfläche verschwunden. Freunde und Kunden riefen mich an und fragten, wo Du bist. Ich hatte keine Ahnung, war aber gut darin, Geschichten zu erzählen. Ich wusste auch nicht, wo Du bist, aber ich vermutete, dass Du Dich einfach zu Hause eingeschlossen hast.
Ich hatte meine Vermutungen, was mit Dir los war. Depressionen, Drogen, Alkohol? Es waren Thesen, aber ich konnte Dich nie darauf ansprechen. Dafür warst Du zu unnahbar und ich zu sehr damit beschäftigt, eigene Probleme zu bewältigen und Verbindungen zu Menschen zu lösen, für die ich zu viel da gewesen war.
Ich erlebte, wie es auch finanziell immer schlechter bei Dir lief. Dabei verstand ich gar nicht, warum. Wir verdienten gut, Du hattest keine Familie zu versorgen. Genug Arbeit war da. Doch alles passte nicht mehr zusammen.
Ich hörte immer seltener von Dir. Wie eine Lampe, die langsam erlischt. Du hast die Wohnung gewechselt. Freunde erzählten, dass sie manchmal nachsahen, ob Licht bei Dir im Fenster war. Eine der wenigen Möglichkeiten, um überhaupt ein Lebenszeichen zu erhalten.
Dann kam nach einer langen Pause der Anruf. Ich kann kaum in Worte fassen, was mir erzählt wurde. Du hättest Dir wahrscheinlich das Leben genommen. Wahrscheinlich. Auf einer Fähre Richtung Skandinavien seist Du eingestiegen. Als sie ankam, bemerkte man Deine ordentlich zusammengepackten Sachen in Deiner Kajüte. Dein Laptop war gelöscht.
Niemand hatte etwas gesehen. Bist Du ins Wasser gesprungen oder doch einfach an Land gegangen und für immer verschwunden? Hast Du Deine Pläne doch wahr gemacht und hast Dich nach Kanada oder Afrika abgesetzt? Es gibt verschwommene Überwachungsvideos, auf denen Du auf dem Schiff zu sehen bist. Du hast alles für einen Abgang vorbereitet, Deine Dinge geklärt. Doch Du hast Dich nicht verabschiedet und ein Rätsel hinterlassen.
Und so fand ich mich Wochen später auf einer Abschiedsfeier wieder, in der wir uns beteuerten, dass Du nicht mehr lebst. Als Deine Mutter sprach und sagt, dass dies ihre Überzeugung sei, verstand ich sie. Wie soll man auch anders weitermachen? Doch ein bisschen Zweifel bleibt. Wird für immer bleiben.
Und deswegen bin ich auch sauer auf Dich. Sauer auf den Egoismus, Menschen im Unklaren zu lassen. Im Zweifel. In der Hoffnung. Auf was auch immer. Doch ich werfe es Dir nicht vor. Und manchmal sitze ich da und denke mir „Vielleicht sitzt er jetzt auf einer Veranda und sieht in den Sonnenuntergang“. Das ist ein schöner Gedanke und den nehme ich mit, wenn ich an Dich denke.
Es war schön mit Dir, F. Es tut mir leid, dass es so schwer war. Egal wo Du jetzt bist, ich hoffe, es geht Dir gut da.
Caspar.
p.s.: Einen lieben Gruß auch von Susanne.
Bildnachweis: Das Bild “the hopes we had” stammt von Flickr-Nutzer Kai Schreiber und steht unter einer CC-BY-SA-Lizenz (nachbearbeitet).