Leitmedium

Es gibt kein analoges Leben im digitalen.

Caspar C. Mierau arbeitet als technischer Berater und denkt als Medienwissenschaftler, der zur Computergeschichte promoviert, über die Geschichte und Gegenwart von Technologie nach. Er schreibt und podcastet an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, Technik und Kultur. Notiert kurze Gedanken auf Mastodon. Hat "Leitmedium" ganz offiziell als Künstlername im Ausweis stehen.

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Jedes Jahr aufs Neue: Berlin kriegt ein “freies” Wlan. Diesmal von einer … Werbeagentur

23. Juni 2015 by leitmedium

In Berlin soll es ein freies Wlan geben. Mal wieder. Abgesehen davon, dass es seit vielen Jahren das Freifunk-Projekt gibt, blamiert sich die Stadt Jahr um Jahr mit neuen Vorstößen, in der Stadt eine kostenfreie Wlan-Infrastruktur aufzubauen. 2012 hieß es noch, dass man 100 Hotspots an zentralen Punkten für Touristen aufstellen wolle. Die Nutzungsdauer sollte auf 30 Minuten begrenzt sein und die Kooperation mit Kabel Deutschland war etwas fragwürdig. Gibt es diese 100 Hotspots noch und hat die Stadt dafür Geld bezahlt? Ich will es lieber nicht wissen.

Es ist aber schon drei Jahre her, also Zeit, mal wieder ein neues “freies” Wlan aufzubauen. Diesmal präsentiert die Stadt einen Kooperationspartner, bei dem man erst einmal recherchieren muss: Die abl social federation GmbH. Eine Google-Suche lässt schon in der Vorschau nichts Gutes erahnen:

Eine Werbeagentur! Das klingt nach einem idealen Partner für flächendeckende Wlan-Versorgung in einer Metropole. Das Geschäftsmodell scheint auch schon abgesteckt:

Zur Finanzierung soll es beim Login Werbung für 10 Sekunden geben und am Ende einen Link auf eine Webseite, berichtet die Boulevardzeitung BZ aus informierten Kreisen.

Aber was wäre eine Kooperation mit der Stadt, wenn diese nicht erst einmal investiert? Immerhin 170.000 Euro sollen vorab als Anschubfinanzierung fließen für “mehrere Hundert” Hotspots. Gehen wir mal von 650 Hotspots aus, wie in der Pressemitteilung angekündigt. Das sind das immerhin EUR 260,- pro Zugangspunkt. Warum die Stadt Berlin ein Nürnberger Werbeunternehmen subventionieren muss, um ein Werbe-finanziertes Wlan anzubieten, bleibt unklar. Zumindest kann man schon seine Uhr danach stellen, dass in drei Jahren das nächste Berliner Wlan-Projekt vorgestellt wird. Dann vielleicht in Kooperation mit einem Autoreifen-Hersteller.

p.s.: Auch wenn ich das Freifunk-Projekt sehr schätze, halte ich mittlerweile einen Ausbau und eine bessere Regulierung des LTE-Marktes für eine gute Option. In ländlichen Regionen bringt Wlan nur in Gegenden mit bereits vorhandener Infrastruktur etwas, während LTE über lange Strecken hohe Bandbreiten zur Verfügung stellen kann. Auch innerstädtische Orte wie U-Bahn-Tunnel können mit LTE/UMTS versorgt werden. Auch ist es mir lieber, mich nicht immer wieder mit der Frage beschäftigen zu müssen, ob ein Wlan verschlüsselt ist oder nicht. Selbst, wenn man ein VPN verwendet, ist es nicht immer trivial, zu verhindern, dass Programme noch vor Nutzung des VPNs schon unverschlüsselt kommunizieren. Von der eingeschränkten Bewegungsfreiheit einmal ganz abgesehen. Was fehlt, sind bezahlbare Traffic-Kontingente und Regelungen fürs Netz-übergreifende Roaming. Ich bin da aber kein Experte und es gibt sicher auch viele Argumente für eine Wlan-Infrastruktur.

[Update]

Es gibt einen Nachtrag zum Artikel.

Bildnachweis: Wifi signal around here von Nicolas Nova, veröffentlicht unter einer CC-BY-Lizenz (nachbearbeitet).

 

Filed Under: Allgemein

Comments

  1. Andreas Baum says

    23. Juni 2015 at 10:37

    @leitmedium grundsätzlich teile ich deine ansicht zu lte. aber als touri freue ich mich im ausland immer sehr über nen freies wlan

  2. leitmedium says

    23. Juni 2015 at 10:37

    @rka Ja, die Wahrheit liegt da wahrscheinlich irgendwo in der Mitte.

  3. MissInformation says

    23. Juni 2015 at 10:57

    @leitmedium Für das Geld könnte man 5.000 Freifunk-Router aufstellen und hätte noch genug um diese 1 Jahr zu betreiben.

  4. Oliver Lysiak says

    23. Juni 2015 at 23:24

    Berlin kriegt endlich Sommer wäre auch schön.

  5. DSLnachPankow says

    24. Juni 2015 at 11:04

    Für die WLAN-Hotspots von KDG, von Wall und von einem dritten Anbieter – Name gerade nicht präsent – hat Berlin nichts bezahlt. Im Gegensatz dazu wird der Freifunk via MABB sogar finanziell unterstützt (keine Frage, da wäre mehr drin).

    LTE, mindestens aber HSPA sind in den Tunneln verfügbar, wurde bspw von Eplus/O2 gerade im Nordsüdtunnel der S-Bahn modernisiert. Ob jeder Anbieter in jedem Tunnelmeter mit Höchstgeschwindigkeit verfügbar ist, entzieht sich natürlich unserer Kenntnis.

    Der Bequemlichkeit des WLAN -Zugangs, den Andreas Baum angesprochen hat, steht ein zunehmendes Risiko des Abgriffs sensibler Daten entgegen. Solange getunnelte, ebenso schnelle und bequeme Zugänge nicht der Regelfall sind, stellt sich die Frage, ob Hotspots oder ein stadtweites WLAN überhaupt anstrebenswert ist. Du hast aufs Risiko hingewiesen.