Leitmedium

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Caspar C. Mierau arbeitet als technischer Berater und denkt als Medienwissenschaftler, der zur Computergeschichte promoviert, über die Geschichte und Gegenwart von Technologie nach. Er schreibt und podcastet an der Schnittstelle von Praxis und Theorie, Technik und Kultur. Notiert kurze Gedanken auf Mastodon. Hat "Leitmedium" ganz offiziell als Künstlername im Ausweis stehen.

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Sense8, oder: Wie unendlich dehnbar ist eigentlich Zeit?

10. Juni 2015 by leitmedium

Mit den folgenden Worten werde ich mir wahrscheinlich wenig Freunde machen (nachdem ich schon von Mad Max nur mäßig begeistert war), aber es muss kurz raus: Sense8, die neue Netflix-Serie der Wachowskis, ist wirklich unerträglich für mich. Ich habe mich, nachdem Twitter tagein tagaus mir mitteilt, dass ich nicht sterben dürfe ohne dieses Meisterwerk gesehen zu haben, gestern mit meinen neuen Kopfhörern hingesetzt und erwartungsvoll die erste Folge angemacht. Und dann wieder ausgemacht. Warum? Das hat Chris Bennion recht passend zusammengeschrieben: Sense8 ist meisterhaft darin, Zeit ins Unendliche zu dehnen, klischeebehaftet und handwerklich teilweise mies. Ein paar Auszüge aus der Kritik, die ich so unterschreiben kann:

Bafflingly, despite the action taking place all around the world, every single character speaks in English at all times (though, of course, using the accent of whichever country they’re in).

Hat mich auch sofort genervt. Szene in Berlin (ich freue mich eigentlich über Szenen in Berlin) und deutsche Schauspieler reden gebrochen Englisch. Wir regen uns ja gern über schlechte deutsche Synchronisationen auf – zurecht. Das halbherzige Umsetzen lokaler Schauplätze in US-Serien scheint dagegen weniger Kritik einstecken zu müssen. Mich stört es gerade bei so einem Hochglanz-Format ungemein.

Our eight ‘sensates’ are so hilariously clichéd (the Mexican guy is a hammy actor, the Indian woman is having a wedding – of course! – and the gay intellectual lives in, you’ll never guess, San Francisco) that it feels less like a TV programme and more like the character selection screen of Street Fighter 2.

Meine Güte, ja! Natürlich muss das lesbische Pärchen erstmal Sex haben, in San Francisco leben und dann noch ganz dolle in “der Szene” sein. Und auch die anderen Charaktere triefen teilweise vor Klischees, dass es eher an einen B-Movie als eine moderne Serie erinnert.

In among the towering inferno of exposition and Character Information (sample dialogue: ‘You know my work is important to me, father.’ ‘But it’s your wedding soon!’) we were tossed a greasy rag of philosopho-neuro-pseudoscience to wipe our hands on. ‘Limbic resonance. It’s a language older than our species.’ Ah, ok then.

Ja. Langweilige Dialoge, die an Einfachheit kaum zu übertreffen sind. Oder ganz dolle ominöses Geschwafel mit dem einzigen Ziel, auf noch mehr Geschwafel zu hoffen, damit man das Geschwafel von vorher vielleicht besser versteht.

Ich könnte jetzt noch stundenlang rummeckern. Faktisch habe ich irgendwann auf Pause gedrückt, um zu gucken, ob ich bald durch die erste Folge durch bin. Aber ich hatte nicht einmal die Hälfte geschafft. Denn das kann Sense8 auch für mich: Die Zeit dehnen:

The kindest thing you can say about Sense8, produced by a dream team of Netflix and The Wachowskis (creators of The Matrix, a modern classic, and The Matrix Revolutions, one of the worst films in living history) is that it does some very clever things with metaphysics and time. All 66 minutes of the opening episode feel like a small eternity and you’ll often find your mind transported elsewhere.

Nun denn.

Filed Under: Allgemein

Comments

  1. Feathers McGraw says

    10. Juni 2015 at 15:21

    Ach naja, die Sprachkritik finde ich seltsam. Ich finde das ganz schlau gelöst, alle sprechen Englisch wie halt Englisch sprechen, damit man alles versteht und sie ohne Untertitel kommunizieren können. Da gibt es eine schöne Szene später in Seoul/Nairobi wo das kurz thematisiert wird. Und die deutschen Schauspieler reden überhaupt nicht gebrochen Englisch, ich weiss gar nicht wie der Eindruck entstanden sein könnte, die Dialoge sind alle in gleich gutem Englisch geschrieben.

    • Jörg says

      10. Juni 2015 at 21:47

      Sehe Ich genau so…
      Sie fallen ja bei ihren “Begegnungen” kurz in ihre Muttersprache zurück. Man wollte wohl so deutlich machen, das sie -miteinander eng verbunden- eine gemeinsame Sprache sprechen…

  2. Turtle says

    10. Juni 2015 at 16:35

    Hm, also bis jetzt hat noch keine(r) wirklich begeistert von der Serie geschrieben. Werde ich mir wohl sparen, wobei ich bei den Wachowskis sowieso immer skeptisch bin. Ich fand deren Werke bisher immer recht langweilig und klischeereich, das fing schon mit Matrix an und hat sich danach imho nicht geändert.
    Das mit den Sprachen hat Netflix auch schon besser hinbekommen. In Daredevil wird ganz selbstverständlich nicht nur englisch sondern auch chinesisch, japanisch, russisch und spanisch geredet. Diese Passagen sind dann halt untertitelt. Hätte sich bei Sense8 vielleicht auch angeboten.

  3. dridde says

    10. Juni 2015 at 17:23

    Genau meine Gedanken, ich schaute mir die erste (und die Hälfte der zweiten) folge an und war eher underwhelmed. Das Englisch sprechen der Protagonisten hat mich nicht wirklich gestört, aber die klischeehaften Charaktere sind mir auch sehr negativ aufgefallen.
    Und ich erwischte mich mehrfach, nachzugucken wie lange das denn jetzt noch läuft, die 66 Minuten fühlten sich eher nach 2 Stunden an. Während der zweiten Folge dachte ich nur irgendwann “oar ne, erstmal keinen Bock mehr”.

  4. TC says

    11. Juni 2015 at 7:36

    Das lustige ist, dass ich die Serie bis jetzt nicht guckte und mich auch nicht dafür interessierte, bis ich deine Kritik gelesen habe. Jetzt bin ich bei Folge 3 und muss sagen, dass sie sich zwar Mühe geben die Charaktere vorzustellen, deren Leben, aber etwas mühseelig und langatmig umgesetzt. Irgendwie frage ich mich worauf die Geschichte hinauslaufen soll und gucke nur deswegen weiter, während ich nebenbei noch andere Sachen erledige. Ein kleiner Lichtblick ist der Schauspieler Naveen Andrews…

  5. Hakan Tanriverdi says

    21. Juni 2015 at 20:58

    @leitmedium klappt für mich dennoch. idee ist irre trotz allem. ???

  6. Kathrina. says

    21. Juni 2015 at 21:00

    @hakantee @leitmedium Nix gegen Sense8, ja! #banausen

  7. Matthias Bauer says

    21. Juni 2015 at 21:03

    @leitmedium Die Wachowskis liefern doch schon ewig nur solche Dinge ab.

  8. jensbest says

    21. Juni 2015 at 21:03

    @leitmedium @hakantee Ist eben kein klassisches Storytelling, auch keine klassische TV-Serie. twitter.com/jensbest/statu…

  9. Hakan Tanriverdi says

    21. Juni 2015 at 21:07

    @jensbest @leitmedium Ja, habe ich mitbekommen. Dennoch strange, wenn a.) erst niemand Bescheid weiß, dann b.) alle. Ohne Erklärung = lame.

  10. hagen says

    21. Juni 2015 at 21:08

    @moeffju @leitmedium irgendjemand sollte denen halt mal sagen, dass sie schreiben, aber nicht regie führen können.

  11. Hakan Tanriverdi says

    21. Juni 2015 at 21:09

    @ohhellokathrina @leitmedium #Connaisseur

  12. Matthias Bauer says

    21. Juni 2015 at 21:09

    @ausnahmsweise @leitmedium Ich würde ihnen nach Jupiter Ascending und Cloud Atlas auch das absprechen. Sie können Effekte!

  13. hagen says

    21. Juni 2015 at 21:09

    @moeffju @leitmedium jupiter ascending hat mir spaß gemacht.

  14. jensbest says

    21. Juni 2015 at 21:11

    @hakantee @leitmedium Ja, die Wachowskis sind in letzter Zeit zunehmend…sphärisch unterwegs. Bei Sense8 stören die plot holes schon sehr.

  15. Hakan Tanriverdi says

    21. Juni 2015 at 21:11

    @jensbest @leitmedium All I’m saying! (neben der Geschwindigkeit, ; ) )

  16. Matthias Bauer says

    21. Juni 2015 at 21:12

    @ausnahmsweise @leitmedium Ja, lustig war’s leidlich, aber wie die Siblings ihn vorher hochgeredet haben? Nee.